Kristian Davies: The Orientalists. Western Artists in Arabia, The Sahara, Persia and India, New York: Laynfaroh 2005, 304 S., 316 Farbabb., ISBN 978-0-9759783-0-6, USD 70,00
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Maler unter Orientalisten sind Leute mit der außergewöhnlichen Begabung, wunderbare Motive in ihrer Kunst festzuhalten, erklärt Kristian Davies den Inhalt seines prächtigen Bildbandes. Der in Hongkong geborene und in Amerika aufgewachsene Kunsthistoriker hat die beste Sammlung von Gemälden der Orientmaler aus Amerika und Europa ediert. Ihre Bilder stammen aus 60 Instituten in zehn Ländern.
Zum Genuss gereicht es, darin zu stöbern und Reproduktionen sowohl im Großformat als auch in Detailauszügen auf sich wirken zu lassen. Sie sind meisterlich arrangiert und inhaltlich höchst kompetent besprochen. Davies darf sich gewiss sein, vor allem mit einem frischen und positiven Ansatz in seiner historischen Umschau auch zur Kontroverse um den Orientalismus beizutragen. Bevor dies näher ausgelotet wird, sei der Inhalt des Werkes kurz umrissen.
Davies hat den Kunstband generell thematisch und in einzelnen Fällen auch nach dem Schaffen von Malern geordnet. Er wählte die Motive Wüste und Karawane, Straßen und Märkte, Krieger, Frauen, Glaube und Gebet sowie Vergnügungen aus. Seine Favoriten fingen noch die Epoche vor der Modernisierung ein, also oft die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die goldene Ära hat den Sonderwert, die unwiederbringlich entschwundenen Szenen des Lebens im Orient vorzustellen.
Der Kunsthistoriker betont die sinnliche Ausstrahlung seiner Exposition. Da ist zum Beispiel der Franzose Léon Belly mit dem Hauptwerk "Pilger ziehen nach Mekka", das Davies zugleich auf den Einband gebracht hat. Denn Belly war einer der Ersten, der sich diesem Sujet überhaupt zugewandt hat. Der Leser erfährt viel über die Entstehung und die frühen Skizzen zu dem Prachtwerk, von dem nicht nur Mysteriöses ausgeht, sondern das mit der Pilgerfahrt ein sehr prägendes Erlebnis vieler Muslime aufhellt.
Wie beim Deutschen Gustav Bauernfeind mit "Markt in Jaffa" oder beim Amerikaner James Fairman mit "Blick auf Jerusalem", erklärt der Autor die Entstehung des Bildes.
Ein Farbenfest feiern hier gleichwohl Arthur Rimbaud, Johann Ludwig (Jean-Louis) Burckhardt, Sir Richard F. Burton, Jean-Léon Gérôme, James Tissot, Jane Digby el-Mezrab, Ilja Repin und Wassili W. Wereschagin. Sie und viele mehr mit kleineren Werken vermerkte Künstler bilden den Höhepunkt des malerischen Orientalismus, einer Periode also, die einhundert Jahre gedauert hat.
Ja, es gibt den Orientalismus noch, aber nicht mehr jenen vor der Moderne, um den es hier geht. Kristian Davies hat in seiner historischen Einführung das Werden solcher Verhältnisse zwischen Orient und Okzident nachgezeichnet. In diesem Licht geht er auch auf die schon erwähnte Kontroverse ein. Er bietet dafür seine Interpretation an. Sie markiert hoffentlich eine positive Wende im Disput. Daher mag sein Erklärungsansatz nunmehr angedeutet werden.
Der damalige Orient von Marokko über Persien bis Indien, so Davies, sei denkbar verschiedenartig gewesen. Aber von ihm ging eine Uniformität der exotischen Attraktion aus, die viele Maler in ihren Bann geschlagen hat. Diese Aufnahme durch den einzeln reisenden Künstler sei unschuldig gewesen, bar der absichtlichen Verdrehung. Ein anderer Fall wäre es, führt der Autor aus, wenn die exotische Attraktion ganze Regierungen und die Außenpolitik befallen habe. Hierin liege das Nervenzentrum der Orientalismus-Debatte.
Edward Said habe in seinem Orientalismus-Buch 1978 eine neue Art der akademischen Kritik aufgebracht: das gesamte westliche Konzept des Orients wäre eine Erfindung, eine Idee. Was immer Europäer und Amerikaner von der Linguistik bis zur Archäologie getan hätten, sei untauglich. Jahrhunderte in der Orientalistik, Orientalist studies, wären nur Spionage und Infiltrationsmittel gewesen, stellt der Autor Saids Kritik dar. Dieser Orientalismus nutzte in jeder Form dem westlichen Interesse, er habe nicht nur keinen historischen Wert, sondern er sei fast Komplize in einem Verbrechen.
Zwar habe Said faszinierende Entdeckungen in einzelnen Fällen der Literatur gemacht, räumt Davies ein. Doch habe er alles mit seinen oben erwähnten Thesen überzogen. Er sei extrem feindselig geworden. Jüngere Generationen hätten dies dann auf die Malerei des Orients im 19. Jahrhundert bezogen. Saids Polemik diente ihnen dazu, vorgeblich Falsches und Unwahres von Orientalisten zu enthüllen.
Linda Nochlin und andere glaubten, in jenen Bildern Sexismus, Rassismus, Chauvinismus und viele weitere "-ismen" zu entdecken. Schnell waren sie dabei, argumentiert Davies, die Kunstwerke mit der kolonialen Expansion Europas zu verbinden. Im Jahrzehnt der Dekonstruktion, in den 80er-Jahren, seien Werke der Orientmaler von jedem Punkt her demontiert worden: die Authentizität, auch die sublimere Absicht und Verbindung zum Imperialismus sowie das Vorurteil, gar noch bevor ein Künstler seine Reise in den Orient angetreten hat, und wie er Frauen, den Krieg und Handel, die Straßen, die Architektur und die Armut dargestellt habe.
Jeder Pinselstrich, alles galt als vorsätzlich, worauf es oft im Dekonstruktionistischen abziele. Diese Kunstwerke, denen man nicht mehr glauben und trauen durfte, so Davies weiter, sanken auf die Stufe von "Evidenz" herab. Diese Said'sche Art der Kritik habe ein Klima geschaffen, in dem man an die Orientmaler nur als Dekonstruktionist herangehen konnte. Während im Revisionismus aus der historischen Rückschau Vorurteile einer bestimmten Ära aufgedeckt werden können, war dieser Dekonstruktionismus wie der Post-Modernismus untauglich. Dazu sagt Davies: Wenn die Menschen selbst nicht mehr wissen, wie Werke geschaffen wurden und wie sie zu erschaffen sind, was bleibt ihnen übrig als Werke anderer zu sezieren? Das Hauptmotto der Adepten des fanatischen Konzepts laufe darauf hinaus: nur wer glaube, alles sei eine Lüge, komme zur Wahrheit.
Ohne die Kontroverse zu vertiefen, schließt sich Davies den Bewertungen an, wonach Said eine Art "Stalinistischen Stil" oder eine "intellektuelle Verunreinigung" eingebracht habe. Er hält ihm in seinem Buch die Kunstfertigkeit der Orientmaler entgegen: ein schönes Bild darf auch so genannt werden. Die Orientmalerei sei zu lange gefangen gewesen. Impressionisten gehörten allen, ob in der akademischen oder der populären Welt. Und so möge es jetzt mit Orientmalern sein. Sie dürfen wie die anderen Genres auch unkompliziert gefeiert werden. Dies Buch hier soll sie neu definieren.
So viel zum positiven Ansatz und zur Trendwende, die Davies einfordert. Sicher mag noch viel gestritten werden, aber erstens muss man die "Unschuldsvermutung" ebenso für Orientmaler gelten lassen, im Gegensatz zu ideologisch motivierten Anwürfen Saids. Zweitens war die künstlerische Überhöhung auch ein Mittel ihrer Technik. Drittens bilden Orientalisten einen Teil der westlichen Aufklärung und des fortwährenden menschlichen Strebens, sich die Welt anzueignen.
Die Bildauswahl fiel Davies sicherlich nicht leicht. Ich hätte mir mehr vom Orientmaler Wilhelm Gentz gewünscht sowie mehr Gedanken zum Echo auf ihr Schaffen aus dem Orient daselbst, darunter in Mittelost Beiträge wie Tharwat Ukashas beide Bände "Ägypten in den Augen der Westler" (1984). Aber Davies hat einen reifen Stand erreicht. Wir dürfen noch viel von ihm erwarten.
Abbildungen:
Abbildung 1: Léon Belly, Pilger ziehen nach Mekka, 1861.
Abbildung 2: Gustav Bauernfeind, Markt in Jaffa, 1887.
Abbildung 3: James Fairman, Blick auf Jerusalem.
Abbildung 4: Jean-Léon Gérôme, Der Teppichhändler, 1887.
Wolfgang G. Schwanitz