Konrad Dussel: Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert (= Einführungen - Kommunikationswissenschaft; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, 272 S., ISBN 978-3-8258-6811-6, EUR 19,90
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Konrad Dussels Geschichte der Deutschen Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert wird vom Münsteraner LIT-Verlag als erster Band einer Reihe mit dem Titel "Einführungen - Kommunikationswissenschaft" vorgestellt. Leider ist allerdings weder in dem Band selbst noch auf der Homepage des Verlages etwas über die Konzeption der Reihe und dessen Adressatenkreis zu erfahren. Dussel verweist in seiner Einleitung lediglich darauf, dass auf dem relativ begrenzten Raum von ca. 250 Seiten "ein komprimierter (und relativ preiswerter) Überblick" (3) über die Pressegeschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte gegeben werden soll. Zudem ist sowohl dem Reihentitel als auch Dussels Einleitung implizit zu entnehmen, dass sich der Band nicht primär an Historiker wendet. Es sei eine Vielzahl von Abbildungen eingefügt worden, um, so Dussel, "erste Begegnungen mit historischem Material und seiner mehr oder minder großen Andersartigkeit (im Vergleich zum heutzutage Gewohnten)" zu ermöglichen.
Tatsächlich gehören die Abbildungen, insbesondere von Titelseiten alter Zeitungen, zu den Stärken des Bandes. Keineswegs nur Nicht-Historiker können hier den Wandel, aber auch manche Stagnation in der äußeren und damit auch der konzeptionellen Entwicklung der Zeitungen sehr plastisch nachvollziehen. Auch wenn die Schrift der Nachdrucke zum Teil fast unleserlich klein ist, bleibt man an manchem Artikel hängen und bekommt auf diese Weise Einblicke in die jeweilige Zeitungssprache sowie in teils gezielt und teils eher zufällig ausgewählte Artikel. Verschiedene Illustrationen, Quellenabdrucke - nicht zuletzt einige Anzeigen - sowie mehrere Schaubilder und Tabellen ergänzen die grafische und visuelle Aufmachung, die insgesamt abwechslungsreich und gefällig gestaltet ist.
Zeitlich erstreckt sich der Band weiter, als es der Titel angibt. Dussel beginnt seine Darstellung mit der Erfindung des Buchdrucks und skizziert knapp die Frühgeschichte der Zeitungen von den ersten Messrelationen bis zu den Intelligenzblättern des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Der für diese Zeit verwendete Begriff der "Vorgeschichte" erscheint allerdings unangemessen, da er ohne weitere Begründung den Eindruck vermittelt, die "eigentliche" Geschichte der Presse beginne erst im 19. Jahrhundert. Dussels nicht recht nachvollziehbare Bemerkung, dass die Forschung zu den Intelligenzblättern "weitgehend brach" liege, zeigt zudem, dass dies nicht unbedingt der Zeitraum ist, in dem er sich am besten auskennt.
Der Aufbau der Darstellung orientiert sich weitgehend an der politischen Geschichte: die Zeit bis zur 48er-Revolution, die Revolution und die darauf folgende "Reaktion", das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die NS-Zeit sowie die Presse in den Besatzungszonen, der DDR und der Bundesrepublik. Allein das vierte Kapitel entzieht sich dieser politischen Gliederung ein wenig. Hier erhalten die pressegeschichtlich bedeutsamen Neuerungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bereich des Druck-, Nachrichten- und Anzeigenwesens eine eigene Behandlung. Davon abgesehen, überwiegt klar ein politischer Blick auf die deutsche Pressegeschichte.
Da die Darstellung explizit einführenden Charakter hat und sich insbesondere an Nicht-Historiker wendet, ist die Erwartung an eine ganz neue Syntheseleistung sicherlich verfehlt. Zudem ist in Rechnung zu stellen, dass eine Überblicksdarstellung in hohem Maße auf Vorarbeiten angewiesen ist, sodass eine Darstellung dort, wo die Forschung dünn und trocken ist, solche Mängel mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auch widerspiegelt. Auf manche Lücken verweist Dussel zu Recht, an vielen Stellen hat er sich allerdings auch nicht die Mühe gemacht, aus durchaus vorhandenen Einzelergebnissen eine größere Linie zu zeichnen. Sicherlich wüsste man gerne noch mehr über die Repressionspraxis gegenüber der Presse in der Zeit nach 1848. Doch so wenig, wie Dussel suggeriert, indem er allein auf fehlende Zahlen von Beschlagnahmen verweist, ist nun auch nicht bekannt. Dussel verlässt sich stark auf ältere Forschungsmeinungen und verzichtet weitgehend auf eigene Interpretationsansätze. Auch lässt er längere Quellenzitate teilweise kommentarlos stehen, sodass der Eindruck entsteht, das Programm einer Zeitung sei gleichbedeutend mit deren tatsächlicher journalistischer und verlegerischer Praxis.
Je mehr sich der Autor dem 20. Jahrhundert nähert, desto deutlicher wird, dass er sich vor allem hier zu Hause fühlt. Allerdings bleibt die Darstellung politiklastig. Neuerungen im Bereich der Boulevardpresse, die zunehmende Visualisierung, der Aufstieg des Fotojournalismus und anderes mehr werden kaum beachtet. Dies liegt ebenso am bislang unzureichenden Forschungsstand wie an der Konzeption des Bandes, sich nur auf die Zeitungen zu konzentrieren und das Zeitschriftenwesen auszublenden. Dass Dussel diesen Entwicklungen wenig Beachtung schenkt, hängt auch damit zusammen, dass er der Berliner Presse für das ausgehende Kaiserreich und die Weimarer Republik explizit keine besondere Aufmerksamkeit widmet. Dussel hat zwar gewiss recht mit seiner Bemerkung, dass die auflagenstarke Berliner Presse weitgehend regional beschränkt blieb. Gleichwohl spielten sich hier unter mediengeschichtlichen Gesichtspunkten eine Reihe von Entwicklungen ab, welche die Hauptstadtpresse des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts doch zu einer besonderen Art von Regionalpresse werden ließen.
So ist insgesamt ein Buch entstanden, in dem man nicht ungern blättert und gerade in den abgedruckten Abbildungen und Quellen einiges entdeckt. Zudem ist die Leistung nicht gering zu achten, auf rund 250 Seiten die Pressegeschichte seit ihren Anfängen zu skizzieren. Dabei bemüht sich Dussel um eine lesbare und verständliche Sprache. Doch da sich das Buch in weiten Teilen ganz konventionell an der traditionellen Geschichte der politischen Presse abarbeitet und dabei wenig Mut zu größeren Linien zeigt, wirkt es an vielen Stellen etwas versatzstückartig. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, dem Leser zu zeigen, dass es sich bei der Pressegeschichte "an sich" um "ein spannendes Feld" handelt (4), hätte Dussel vielleicht etwas mutiger vorgehen sollen.
Jörg Requate