Barbara Frenz: Frieden, Rechtsbruch und Sanktion in deutschen Städten vor 1300. Mit einer tabellarischen Quellenübersicht nach Delikten und Deliktgruppen. Mit einem Vorwort von Gerhard Dilcher (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen; Bd. 8), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003, XVII + 810 S., ISBN 978-3-412-04203-5, EUR 79,90
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Mit der vorliegenden Monografie dokumentiert das von Gerhard Dilcher geleitete Teilprojekt "Frieden und Strafe in deutschen Städten des 12. und 13. Jahrhunderts" aus dem von der DFG geförderten Schwerpunktprogramm "Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts" seine Ergebnisse. Zu diesem Zweck bietet der von Barbara Frenz verantwortete Band eine Zusammenstellung strafrechtlich relevanter Aussagen aus deutschen Stadtrechtstexten bis zum Ende des 13. Jahrhunderts sowie eine umsichtig argumentierende Auswertung dieses Quellenbestandes. Man könnte konstatieren, Frenz habe aus der Not fehlender Überlieferungen zur Rechtspraxis eine Tugend gemacht und die umfangreich vorliegenden normativen Quellen ausgewertet. Mit Recht verweist sie jedoch darauf, dass auch normative Vorgaben soziale Realität darstellen und man lediglich dem Umstand Rechnung tragen muss, dass die Texte nicht ohne weiteres als Belege gesellschaftlicher Praxis gelesen werden dürfen. Gegenüber dem strafrechtshistorischen Forschungsstand, den Frenz als weitgehend von konkreten Entstehungs- und Überlieferungszusammenhängen abstrahierende Dogmatik charakterisiert, besteht sie darauf, auf eine glättende Systematisierung heterogener Quellenaussagen zu verzichten, um sorgfältig die konkreten Anlässe, Trägergruppen und auch zeitlichen Schichtungen strafrechtsrelevanter Bestimmungen nachzuzeichnen, die sich nicht zu einem geschlossenen Bild des deutschen Strafrechts oder auch des städtischen Strafrechts im 12. und 13. Jahrhundert zusammenfügen lassen. Stattdessen lotet der Band sorgsam aus, wann sich wo Ansätze zu einem öffentlichen Strafanspruch ausmachen lassen und wer im Spannungsfeld von Stadtherr, Rat und Gemeinde dafür verantwortlich zeichnete.
Gerhard Dilcher skizziert in seinem Vorwort kurz die Leitideen des Arbeitsvorhabens (IX-XVII). Entscheidend sei es, die Gewährleistung des Friedens als Grundlage für das städtische, auf Willkür und Eid basierende Recht zu erfassen. Von hier aus sei es möglich, "die rechtlichen Reaktionen und Konsequenzen aus dem Friedensgebot" zu erfassen (XII), wobei Dilcher betont, dass sich im Untersuchungszeitraum die nordalpinen Städte in einem sehr langsamen Prozess der Ausbildung und Emanzipation kommunaler Strukturen befanden. In Auseinandersetzung mit der historischen Kriminalitätsforschung und Strafrechtsgeschichte betont er im oben angesprochenen Sinne den Nutzen einer Erschließung normativer Quellen, durch die "ein hohes Maß von 'Anschlußfähigkeit' [...] nach beiden Seiten gegeben" sei (XVII).
Die ausführlichen Vorüberlegungen der Verfasserin klären die Voraussetzungen für die folgende Auswertung, indem Charakteristika der städtischen Rechtsüberlieferung ebenso diskutiert werden wie grundsätzliche Fragen der Schriftkultur bzw. der Verschriftlichung von Rechtsaufzeichnungen sowie einschlägige Forschungen der Strafrechtsgeschichte und der historischen Kriminalitätsforschung (3-55). Als Ziel ihrer Studie benennt sie, es "geht [...] dieser um die Erschließung historischer Konzeptionen von obrigkeitlich gesteuerter Konfliktregelung und Verfolgung von Rechtsbrüchen und deren herrschaftlich-politischer Ordnungsgrundlage" (49). Neben Delikten gegen den städtischen Frieden und deren Sanktionierung sollen auch die Ordnungsideen rekonstruiert werden, die der konkreten Regelung zu Grunde lagen. Als Leitfragen für die Einordnung ihrer Befunde in die Geschichte der Entstehung eines öffentlichen Strafrechts benennt Frenz die nach der Durchdringung älteren Gewohnheitsrechts durch neues Willkür- und Einungsrecht, nach dem Auftreten des "sogenannten öffentlichen Strafanspruch[s]" (53) sowie nach der Zurechnung individueller Verantwortung bzw. Schuld des Täters.
Die folgende Auswertung der gesammelten Quellenpassagen erfolgt nach systematischen Gesichtspunkten, indem einzelne Belege ausführlich interpretiert werden. Den Ausgangspunkt stellen programmatische Aussagen dar, in denen Stadtherren oder auch der Rat sich auf Werte wie Frieden, Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Ehrbarkeit berufen (56-78). Auffällig ist die Bedeutung kirchlicher Stadtherrschaft für die Formulierung derartiger Konzepte sowie die starke Betonung von Ehre und Ehrbarkeit durch Ratsregimenter. Es erweist sich allerdings, dass gleichsam "quer zu dem [...] erörterten stadtrechtlich-kirchlichen Ordnungsdenken" (78) personale Kategorien von Herrschaft für die Stadtherren auch noch im 13. Jahrhundert von erheblichem Gewicht blieben.
Der folgende Abschnitt widmet sich den politischen und sozialen Verhältnissen in der Stadt als notwendig zu beachtendem Kontext zur Einordnung der strafrechtshistorischen Befunde (78-191). Grundsätzlich kann Frenz die einheitliche "Tendenz im Streben nach gerichtlich bzw. amtlich kontrollierter Verbrechensverfolgung" ausmachen (184). Trotz des Dualismus zwischen stadtherrlicher und stadtbürgerlicher Gerichtsbarkeit zeichnet sich eine enge Kooperation beider Kräfte bei der Friedenswahrung ab, die durch eine effiziente Praxis der Rechtssprechung ebenso zu gewährleisten war wie durch die Durchsetzung des Klagezwangs durch das Verbot der so genannten Hehlsühne. In dieses Bild einer Modernisierung der Konfliktkontrolle fügt sich auch, dass der Begriff Huld sich im Zuge eines Prozesses "der Verrechtlichung und Entpersonalisierung in den Vorstellungen städtischer Ordnung und Herrschaft" (189) während des 13. Jahrhunderts von der Bezeichnung eines ungestörten personalen Verhältnisses eines Bürgers zu seinem Stadtherrn ablöste. Diese Beobachtungen lassen sich allerdings nicht zu einem linear verlaufenden, einer inneren Logik folgenden Gesamtprozess zusammenführen, vielmehr blieben traditionelle, stadtherrlich geprägte Gerichte und Gerichtsverfahren ebenso bestehen wie die Konkurrenz zwischen Sühne- und Strafregelungen. Es gibt also Ansätze zur Konzeptionalisierung und Durchsetzung eines öffentlichen Strafanspruchs, die aber einen engen Zusammenhang mit älteren Konventionen der Konfliktführung und -kontrolle sowie der Durchsetzung von Herrschaft wahren.
Das zwiespältige Bild von verstreuten Ansätzen zu einer staatlichen Kontrolle und Sühne strafrechtlich relevanter Tatbestände verfolgt Frenz im zweiten Hauptteil ihrer Studie eingehend am Beispiel von Delikten, die gegen das städtische Friedensgebot verstoßen (191-261); im Einzelnen sind dies Tötung, Wundtat, handgreiflicher Streit, unerlaubter Waffengebrauch und Schmähworte. Die städtische Friedenswahrung grenzt die Verfasserin von älteren Regelungen, namentlich dem Hofrecht Burchards von Worms sowie den Gottes- und Landfrieden des 11. und 12. Jahrhunderts, ab. Erst in den Städten habe sich die Zurückdrängung unrechtmäßiger Gewalt vor allem auf die Instrumentarien des Rechts und des Gerichts gestützt, was zunehmend zu einer Kriminalisierung und Pönalisierung nicht nur von Gewalttaten selbst, sondern auch gewaltvorbereitendem Agieren geführt habe. Allerdings kann Frenz vom sozialen Status der Verdächtigen abhängige unterschiedliche Möglichkeiten zum Beweis der eigenen Unschuld ebenso ausmachen wie eine verschiedene Handhabung von Strafe oder Versöhnung zwischen den Konfliktparteien. Grundsätzlich bestätigt sich jedoch am Beispiel der stadtrechtlichen Bestimmungen zur Friedenswahrung, dass sich in den deutschen Städten des 12. und 13. Jahrhunderts konzeptionelle Ansätze zu einem obrigkeitlichen Strafanspruch ausmachen lassen, ohne dass man von einem öffentlichen Strafrecht im modernen Sinne sprechen kann, wie auch die Zusammenfassung der Studie noch einmal betont (262-272).
Neben den üblichen Hilfsmitteln zur Erschließung einer Monografie beinhaltet das Buch eine umfangreiche tabellarische Zusammenstellung der Quellen, geordnet nach 32 Delikten und Deliktgruppen, innerhalb derer die Belege in chronologischer Reihenfolge aufgeführt werden (295-804). Mit Ausnahme der Kategorie "Verlieren von Unschuldsproben", bei der die Spalten 3 und 4 wegfallen, verzeichnet die Tabelle 1. die Stadt oder den Personenkreis, für die oder den eine Bestimmung galt, sowie die Datierung; 2. die Fundstelle sowie eine Bezeichnung bzw. Umschreibung des Tatbestands; 3. Tatmerkmale, -umstände und -folgen sowie Merkmale des Missetäters und des Opfers; 4. Angaben zum Verfahrensablauf und daran beteiligten Institutionen und Amtsträgern; 5. Angaben zu Sanktionen und Rechtsfolgen; 6. Einordnung in den Zeitraum der Entstehung in 50-Jahres-Schritten. Mit dieser Tabelle, die Dilcher in seinem Vorwort als "das primäre Ergebnis des Projekts" (XIII) bezeichnet, stellt das Forschungsvorhaben sein zentrales Arbeitsmittel zur Verfügung. Das ist begrüßenswert, weil ja in vielen Fällen derart aufwändig erstellte Arbeitsmaterialien nach Abschluss eines befristeten Projekts in Aktenschränken verstauben. Ob die an der spezifischen Fragestellung des Teilprojekts ausgerichtete Materialsammlung, wie von den Bearbeitern erhofft, zur Grundlage für weitere Forschungen werden kann, muss sich mit der Zeit erweisen.
Insgesamt liegt mit der Studie eine vorsichtig argumentierende Auswertung strafrechtshistorisch relevanter Bestimmungen aus deutschen Stadtrechten des 12. und 13. Jahrhunderts vor. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie in erster Linie nicht bestrebt ist, für ihr Untersuchungsgebiet die entscheidenden Ansätze zur Beantwortung der Kernfrage des Forschungsverbundes nach der Entstehung des europäischen Strafrechts zu reklamieren, sondern in bedächtiger Weise Anhaltspunkte abwägt, die für und gegen eine derartige These sprechen. Bedauerlich ist es allerdings, dass darauf verzichtet wird, die Resultate in den Zusammenhang der Erkenntnisse der anderen Teilprojekte des Schwerpunktprogramms einzuordnen. Wenn die Untersuchung als "ein Baustein" (264) für eine Synthese zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts zu verstehen ist, wären zumindest einige Hinweise über seine Spezifika und über die Stelle, an der er Verwendung finden kann, wünschenswert gewesen.
Christoph Dartmann