Rezension über:

Daniel Joseph Walther: Creating Germans Abroad. Cultural Policies and National Identity in Namibia, Athens, OH: Ohio University Press 2002, XVI + 268 S., ISBN 978-0-8214-1459-0, USD 26,95
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Rezension von:
Philippa Söldenwagner
International University Bremen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Philippa Söldenwagner: Rezension von: Daniel Joseph Walther: Creating Germans Abroad. Cultural Policies and National Identity in Namibia, Athens, OH: Ohio University Press 2002, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/3145.html


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Daniel Joseph Walther: Creating Germans Abroad

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Daniel Joseph Walthers Studie beschäftigt sich mit der Transformation nationaler Identität unter den deutschen Siedlern in Südwestafrika zwischen den Anfängen deutscher Kolonialherrschaft und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, wobei der erste Teil die Jahre zwischen 1894 und 1919 behandelt, während sich der zweite Teil dem Zeitraum zwischen 1919 und 1939 widmet. Walthers zentrale These lautet, dass die Deutschen bereits vor dem Ersten Weltkrieg, aber insbesondere in der Zwischenkriegszeit zunehmend Südwestafrika als ihre Heimat ansahen und ihr "Deutschtum" (der zentrale Begriff in Walthers Studie, den er unübersetzt verwendet) in Bezug auf die spezifische Lokalität Südwestafrikas definierten. Aus "Southwestern Germans" wurden "German Südwester" (180).

Die Entstehung einer eigenen, sich von dem Herkunftsland unterscheidenden Identität stellt an sich nichts Außergewöhnliches für europäische Siedlergesellschaften dar, zeichneten sie sich doch gerade in Afrika durch eine Konservierung "traditioneller, im Mutterland bereits überlebter politischer Vorstellungen und kultureller Werte" aus. [1] Wie Walther aber richtigerweise herausstellt, unterlag die Identitätsbildung der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg besonderen politischen Rahmenbedingungen, die sie von der Situation für die Briten in Kenia oder Simbabwe unterschied. Mit dem Einsetzen der südafrikanischen Mandatsverwaltung wurden die Deutschen von "Herrschern" zu "Beherrschten". In der Folgezeit mussten sie sich also kulturell nicht nur gegen afrikanische Völker absetzen, sondern ihre Gruppenidentität auch gegenüber der rapide ansteigenden Zahl an Afrikaans und Englisch sprechenden Einwanderern aus dem benachbarten Südafrika und der südafrikanischen Mandatsverwaltung behaupten.

Innerhalb der chronologischen Gliederung untersucht Walther den Wandel nationaler Identität anhand von systematischen Kapiteln. Während er für die deutsche Kolonialzeit in erster Linie die Besiedlungs- und Bevölkerungspolitik betrachtet, beschäftigt er sich für die Zwischenkriegszeit vor allem mit der Vereins- und Lokalpolitik der Deutschen. Als maßgeblich für die Identitätsbildung während des gesamten Untersuchungszeitraums sieht Walther die deutsche Schul- und Bildungspolitik an. Sie bietet ein geeignetes Schlaglicht für eine kulturgeschichtliche Arbeit, da Schulen in zweifacher Hinsicht Einblicke in die kulturellen Fundamente einer Gesellschaft gewähren: als kulturelle Praxis, aber auch als autorisierte Vermittler der Kompetenzen, Qualitäten und Werte, die eine Gesellschaft für wichtig erachtete und mit denen sie sich identifizierte. Der zentralen Rolle von Kindererziehung und Schulbildung für die Entwicklung kolonialer Identitäten wird in jüngster Zeit vermehrt Aufmerksamkeit zuteil. In dieser Hinsicht leistet Walthers Studie einen Beitrag zur Vergleichbarkeit europäischer Kolonien. [2]

Für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg zeichnet Walther vor allem die institutionelle Entwicklung deutscher Schulen in Südwestafrika nach. Die Schulen sollten einerseits die deutsche Jugend zu "treuen Bürgern" der Kolonie und des Deutsches Reiches erziehen, erfüllten aber andererseits die ebenso wichtige Funktion, die große Minderheit nicht-deutscher Weißer, insbesondere Buren, zu "germanisieren". Zentraler Akteur war der koloniale Staat, der nicht nur für die Gründung von Grundschulen, Pensionaten und Realschulen sorgte, sondern im Gegensatz zu Ostafrika, der anderen deutschen Kolonie in Afrika mit einem Siedlerelement, auch die Schulpflicht für weiße Kinder einführte und den Schulbesuch von Kindern aus minderbemittelten Familien subventionierte. Angesichts der starken Präsenz sowohl afrikanischer Sprachen als auch des Afrikaans der Buren sollten die Schulen vor allem Horte deutscher Sprachkultivierung darstellen. Dies war umso wichtiger, als sich Afrikaans und Nama sogar in einigen deutschen Haushalten als Alltagssprache etabliert hatten. Leider erwähnt Walther diesen interessanten, auf den hybriden Charakter deutscher Identitäten in Südwestafrika hinweisenden Aspekt nur, ohne ihn weiter auszuführen oder zu problematisieren. Wenig überraschend ist indes die Tatsache, dass die Schulen besonderen Wert auf die Vermittlung "praktischer Fähigkeiten" legten. Sowohl Sport als auch Handarbeit und Werken galten als besonders geeignet, die "Pionierqualitäten" zukünftiger Farmer zu fördern.

Musste die deutsche Siedlergemeinde nach Ende des Ersten Weltkrieges kurzzeitig um den Fortbestand ihrer Schulen fürchten, zeigte sich rasch, dass die südafrikanische Regierung bemüht war, den Wünschen und Interessen der deutschen Bewohner Südwestafrikas entgegenzukommen. In staatlichen Schulen mit einem hohen Anteil deutschsprachiger Schüler wurden so genannte "Deutsche Abteilungen" eingeführt; deutsche Privatschulen erhielten zur Überlebenssicherung finanzielle Zuschüsse von der südafrikanischen Regierung. Der defensive Charakter deutscher Schulbildung wurde in den 1920er- und 1930er-Jahren noch verstärkt. Noch mehr als zuvor sahen die Deutschen vor Ort und die Kolonialrevisionisten in Deutschland die Schulen als Träger deutscher Kultur an. Ultimatives Ziel vieler war die Rückgabe Südwestafrikas an das Deutsche Reich bzw. die Unabhängigkeit von Südafrika unter deutscher Führung. Gleichzeitig fand in manchen Familien aber auch eine kulturelle Entfremdung von Deutschland statt. Eltern, die ihre Kinder zur Ausbildung nach Deutschland geschickt hatten, waren mit Einflüssen des "modernen Deutschlands" nicht unbedingt einverstanden und traten vermehrt für Fortbildungsmöglichkeiten in Südwestafrika ein (144). Außerdem war die Schulausbildung selbst in deutschen Privatschulen längst nicht mehr nur "deutsch"; in Anpassung an die neuen Verhältnisse wurde neben dem Abitur auch das südafrikanische "Matriculation Exam" angeboten.

Während die Behandlung der Schulen insgesamt gelungen ist, tragen die Kapitel zur Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik während der deutschen Kolonialzeit leider wenig dazu bei, die soziale und kulturelle Dynamik innerhalb der entstehenden Siedlergesellschaft zu erhellen. Obwohl es Walther erklärtermaßen um die deutschen Siedler in Südwestafrika geht, verlässt er selten die Vorstellungsebene der Kolonialenthusiasten und Kolonialbeamten, die sich, wie Walther einräumt, oft eklatant von der sozialen Wirklichkeit vor Ort unterschied. So wird denn auch klar, wen sich kolonialinteressierte Kreise gerne als Siedler gewünscht hätten (nämlich nüchterne und anspruchslose Landwirte, die aber auch gebildet und finanziell gut ausgestattet sein sollten), doch bleibt es irritierend nebulös, wer sich eigentlich in Südwestafrika ansiedelte und wie diese Frauen und Männer sich selbst und andere wahrnahmen. Im Hinblick auf die koloniale Vorstellungswelt sei hier auf die Arbeit von Birthe Kundrus hingewiesen, in der die Untersuchung bürgerlicher Projektionen auf Südwestafrika analytisch präziser und erschöpfender als bei Walther ausfällt. [3]

Mit der Thematisierung der nationalsozialistischen Präsenz greift Walther im zweiten Teil seiner Arbeit einen bisher wenig untersuchten Aspekt des "Auslandsdeutschtums" im südlichen Afrika der 1930er-Jahre auf. Walther stellt fest, dass die südwestafrikanische Ortsgruppe der NSDAP die internen Gegensätze innerhalb der deutschen Gemeinde verschärfte und, weniger durch ihre Inhalte als durch ihr Auftreten, Trennlinien zwischen den alteingesessenen Deutschen und jüngeren Einwanderern zog. Damit kann er zeigen, dass sich besonders unter älteren Deutschen eine eigene "Südwester"-Identität herausgebildet hatte, die sich von Entwicklungen in Deutschland abgrenzte. Allerdings wünscht sich der Leser auch in diesem Kapitel eine stärkere "Bodenhaftung", das heißt eine Einbeziehung der demografischen, sozialen und kulturellen Bedingungen, die das Auftauchen der Nationalsozialisten und den Zuspruch, den sie von jungen Deutschen in Südwestafrika bekamen, erklären würde.

In seiner insgesamt klar und verständlich geschriebenen Arbeit zur nationalen Identitätsbildung greift Walther zahlreiche interessante Aspekte deutscher Siedlerpräsenz in Südwestafrika auf. Zu loben ist der Aufbau der Studie, der sowohl den deutschen Kolonialjahren als auch der südafrikanischen Mandatszeit gleich viel Platz einräumt. Da die Studie aber im Stil einer Überblicksdarstellung geschrieben ist, bleibt sie an vielen Stellen an der Oberfläche. Bisweilen werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Zentrale Begriffe wie "Deutschtum" und "middle Stand" werden von Walther nicht diskutiert, sodass der Eindruck entsteht, es ginge um allgemein gültige und nicht um ständig neu zu verhandelnde Konzepte.


Anmerkungen:

[1] Jürgen Osterhammel: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001, 229.

[2] Siehe beispielsweise Elizabeth Buettner: Empire Families. Britons and Late Imperial India, Oxford 2004.

[3] Birthe Kundrus: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien, Köln 2003.

Philippa Söldenwagner