Heiko Buschke: Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer (= Campus Forschung; Bd. 866), Frankfurt/M.: Campus 2003, 404 S., ISBN 978-3-593-37344-7, EUR 45,00
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Der Charakter der in (West-)Deutschland nach 1945 erfolgten Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist seit über 50 Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung ebenso wie allgemeiner, öffentlicher Diskussion. Bedingt durch die Notwendigkeit der "Bewältigung" der zweiten Diktatur auf deutschem Boden nach der Wiedervereinigung sind gerade in den 1990er-Jahren eine Vielzahl einschlägiger Studien entstanden, die dem Leser in sehr unterschiedlichen methodischen Zugriffen außerordentlich disparate Antworten auf die Frage, ob und wie die Deutschen ihre Vergangenheit "bewältigt" haben, anbieten.
In diesen Kontext ist Heiko Buschkes Göttinger Doktorarbeit "Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer" einzuordnen. Der Autor hofft durch eine Analyse der Berichterstattung über rechtsextremistische Vorfälle und Skandale in den Jahren 1949-1960 in sechs überregionalen Zeitungen und Zeitschriften (FAZ, FR, Welt, SZ, Zeit, Spiegel) nicht nur einen aussagekräftigen Beitrag über die deutsche "Vergangenheitsbewältigung" zu leisten, sondern auch Antworten auf die Frage zu finden, welchen Anteil die Presse an der Konstruktion eines "angemessenen" Bewusstseins um die NS-Verbrechen und die Natur des NS-Staates hatte (28). Zudem soll geklärt werden, "welche Rolle der in der Presse geführte Rechtsextremismus-Diskurs im Prozess einer gesellschaftlichen Demokratisierung einnahm".
Da Buschkes Studie sich in Terminologie und Vorgehensweise an die thematisch einschlägige Arbeit Norbert Freis anlehnt, andererseits dem Werk Manfred Kittels "Die Legende von der zweiten Schuld" "methodische Mängel" (17) und "vorschnelle Urteile" auf der "Grundlage von einigen wahllos ausgesuchten Zeitungskommentaren" (385) vorwirft, verwendet der Autor in der Einleitung einige Mühe auf eine methodische und theoretische Fundierung seiner Arbeit.
Buschke will sich durch die Beachtung des konflikttheoretischen Ansatzes der Soziologen Thomas Herz und Michael Schwab-Tropp absetzen (25), weist zugleich aber auch qualitative publizistik- und kommunikationswissenschaftliche Methoden der Zeitungsauswertung zurück (34). Ob die Umsetzung dieses Vorhabens im Hauptteil schließlich abgesehen von einem höheren Differenzierungsgrad zu wesentlicheren oder gar völlig anderen Einsichten als bei Kittel führt, erscheint allerdings fraglich.
Untersucht werden der Fall Hedler 1949-51, die Geschichte der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1949-52, der Braunschweiger Renner-Prozess 1952, die Affäre um den Bund Deutscher Jugend (BDJ) 1952/53, die Naumann-Affäre 1953, der Schlüter-Skandal 1955 und antisemitische Schmieraktionen Ende der 50er-Jahre. Die Behandlung dieser Vorfälle in den berücksichtigten Presseorganen zeigt nach Meinung des Autors, dass die Presse mehr noch als die Adenauer-Regierung auf eine entschiedene Stigmatisierung neonazistischer Aktivitäten drängte. Das bestätige, so Buschke, "dass man keineswegs von einer Verdrängung der jüngsten Vergangenheit reden kann". Allerdings sei die in diesen Artikeln zum Ausdruck kommende Ablehnung des Dritten Reiches defizitär, z. T. auch schöngefärbt: "Die Erkenntnis, dass sich der Rechtsextremismus auch auf entsprechende Einstellungen und antisemitische Dispositionen der Bevölkerung stützen konnte, tauchte in der Analyse der Presse zunächst nur ansatzweise bzw. lediglich bei liberalen Blättern auf" (385). Ein anderes Ergebnis ist nach Ansicht des Autors freilich bereits für die Mitte der 1950er-Jahre zu konstatieren, denn seit dieser Zeit zeigte sich ein deutlicher Zug zur Verknüpfung rechtsextremistischer Aktivitäten mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit, der zum "Umdenken" und der "Demokratisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft" beigetragen habe. Buschke stellt daher schließlich fest, dass die Presse der 50er-Jahre doch kritischer mit dem Thema Rechtsextremismus und Nationalsozialismus umgegangen sei, als dies oft angenommen werde.
Heiko Buschkes Arbeit über die Behandlung des Rechtsextremismus in wichtigen deutschen Zeitungen der 50er-Jahre stellt mithin aufgrund ihrer sehr differenzierenden Analyse eine Bereicherung der Forschung dar, die in ihrer Tendenz jedoch die kritisierte Studie von Manfred Kittel weit mehr bestätigt als korrigiert.
Michael Kißener