Rezension über:

Marc Heijmans: Arles durant l'antiquité tardive. De la duplex Arelas a l'Urbs Genesii (= Collection de l'École française de Rome; 324), Rom: École française de Rome 2004, 446 S., 247 Abb., ISBN 978-2-7283-0626-8, EUR 80,00
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Rezension von:
Ralf Behrwald
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Christian Witschel
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Behrwald: Rezension von: Marc Heijmans: Arles durant l'antiquité tardive. De la duplex Arelas a l'Urbs Genesii, Rom: École française de Rome 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/7470.html


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Marc Heijmans: Arles durant l'antiquité tardive

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Eine genauere Untersuchung der Transformation einzelner Städte des Römischen Reiches während der Spätantike kann als ein dringendes Desiderat gelten. Dieses Phänomen, an dessen Ende der Verfall der Stadtkultur stand und damit der Verlust einer der grundlegenden Errungenschaften der griechisch-römischen Antike, wird in jüngster Zeit intensiv diskutiert. Einerseits ist dabei deutlich geworden, dass die Konzentration auf vermeintliche Niedergangserscheinungen leicht den Blick auf anders geartete Veränderungen verstellt, etwa auf neue Formen aristokratischer Repräsentation oder auf ein gewandeltes Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Raum. Viele dieser Prozesse bedeuteten zwar einen grundlegenden Wandel, nicht aber notwendigerweise einen "decline" antiker Stadtkultur. Andererseits wäre es, wie etwa Wolf Liebeschuetz wiederholt angemahnt hat, verfehlt, wenn die Analyse dieser Transformationsprozesse von dem massiven Rückgang materieller Ressourcen ablenken würde, welcher letztlich - in verschiedenen Regionen des Reiches zu unterschiedlichen Zeiten - das Ende der antiken Stadtkultur herbeiführte. [1] Für die Erforschung des spätantiken Städtewesens können mithin "Wandel" und "Niedergang" keine exklusiven Alternativen darstellen. Sie sind vielmehr zwei Kategorien der Beschreibung, die getrennt zu betrachten und in ihrer Interdependenz zu analysieren sind.

Das hier anzuzeigende Buch von M. Heijmans erfüllt diese Anforderungen in hervorragender Weise. Es bietet nicht nur eine gründliche Untersuchung der Stadt Arles in der Zeit zwischen dem 3. und dem 6. Jahrhundert, sondern ist zugleich ein methodisch wie inhaltlich wegweisender Beitrag zur Erforschung spätantiker Stadtkultur. Heijmans ist seit langen Jahren an der archäologischen Erforschung von Arles maßgeblich beteiligt und bereits mit zahlreichen einschlägigen Publikationen hervorgetreten. Die Bedeutung der vorliegenden Monografie besteht jedoch nicht allein darin, dass Heijmans seine Forschungen hier in einer Synthese bequem zugänglich macht; er stellt sie auch in den weiteren Zusammenhang anderer Städte der Narbonensis und darüber hinaus der westlichen Provinzen insgesamt.

Nach einer einleitenden Skizze der urbanistischen Entwicklung von Arles in vorrömischer und augusteischer Zeit behandelt Heijmans zunächst den Niedergang der suburbanen Regionen der kaiserzeitlichen Stadt. In verschiedenen vorstädtischen Bereichen von Arles zeugen Brandschichten von großflächigen Zerstörungen während des 3. Jahrhunderts, auf die kein Neuaufbau der betroffenen Viertel mehr folgte. Es scheint nahe zu liegen, hier auf die Entwicklung anderer Städte in der Provence zu verweisen, in denen es ebenfalls teilweise bereits seit dem späten 2. Jahrhundert zu einer deutlichen Reduzierung der Siedlungsfläche und einer Aufgabe peripherer Wohnviertel kam. Heijmans meint jedoch nachweisen zu können, dass die Brandspuren in Arles das Resultat eines singulären Ereignisse sein müssen, wohl eines feindlichen Übergriffes. Dessen Identifikation mit einem der beiden Germaneneinfälle der Jahre 260 und 275/76 diskutiert Heijmans mit Rekurs auf die literarischen Quellen und die Münzschatzfunde der Narbonensis. Sein vorsichtig formuliertes Ergebnis, dass es sich vermutlich um die Invasion des Jahres 260 handele, ist ebenso überzeugend wie sein Hinweis, dass eine solche kriegerische Zerstörung kein Beleg für eine städtische Krise sei: Das ungeminderte Fortbestehen der Vorstädte von Arles bis zu diesem Zeitpunkt erweist sich gerade als ein Spezifikum dieser Stadt, die als prosperierender Handelsknotenpunkt an der Rhone vom Niedergang anderer Siedlungen in der Region zunächst nicht betroffen war. Erst das Ausbleiben eines Neuaufbaus zeige dann auch für Arles einen Rückgang der ökonomischen Ressourcen im letzten Drittel des 3. Jahrhunderts.

In Bezug auf das 4. Jahrhundert geht Heijmans zunächst auf die Rolle der Stadt im administrativen System und ihre Bedeutung für den kaiserlichen Hof ein. Für die konstantinische Zeit hatte bereits die ältere Lokalforschung eine kaiserliche Residenz in Arles und eine umfangreiche Bautätigkeit des Herrschers postuliert. In jüngerer Zeit hat T. Grünewald auf der Grundlage der konstantinischen Meilensteine der Narbonensis erneut Arles als Residenzstadt Konstantins ins Spiel gebracht. Archäologische Zeugnisse konstantinischer Zeit sind allerdings in Arles rar, doch in einer umsichtigen Diskussion der Quellen und des epigrafischen Befundes zeigt Heijmans, dass hier ein definitiver Beweis noch aussteht. Ebenfalls ausführlich besprochen wird die literarische Überlieferung zur Entwicklung von Arles im späteren 4. und im 5. Jahrhundert. Wenn Heijmans dabei versucht, neben der politischen Geschichte anhand der Schriften des Sidonius Apollinaris auch das alltägliche Leben der Stadt zu rekonstruieren, so kann dieser Versuch über wenige Impressionen nicht hinausgelangen. Ähnliches muss für die in Arles verfassten Predigten des Caesarius gelten, denen aber immerhin Hinweise auf das Fortbestehen heidnischer Traditionen in der Stadt sowie auf die Existenz einer größeren jüdischen Gemeinde zu entnehmen sind.

Dem archäologischen Befund wendet sich Heijmans dann wieder im Kapitel über die städtische Bautätigkeit zu. Er bespricht zunächst die Errichtung einer im Umfang deutlich reduzierten Stadtmauer, die als wichtiger Hinweis auf eine gesunkene Einwohnerzahl gelten kann. Die Befestigung von Arles zeichnet sich durch großformatiges, häufig aus Spolien bestehendes Mauerwerk aus, für das bislang Datierungen zwischen der konstantinischen Zeit und dem 9. Jahrhundert vertreten wurden. Heijmans weist jedoch darauf hin, dass die Einrichtung kleinerer befestigter Kerne in den Städten der Narbonensis kaum vor dem 5. Jahrhundert einsetzte. In diese Zeit deutet auch der Befund in Arles, obwohl eine Erbauung der Mauer erst im 6. Jahrhundert möglich bleibt. Mit der Verkleinerung des städtischen Zentrums korrespondiert der Befund zu Wasserversorgung und Straßenbau, der bereits für das 3. bzw. 4. Jahrhundert einen zunehmenden Verfall außerhalb der später ummauerten Fläche ausweist. Auch das Forum wurde um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert teilweise ausgeraubt, scheint seine Funktion als öffentlicher Platz jedoch bis in das 6. Jahrhundert behalten zu haben. Von besonderem Interesse ist schließlich der in der Lokaltradition als Konstantinspalast gedeutete "Palais de la Trouille", dessen zentralen Part Heijmans überzeugend als Thermenanlage identifiziert. Neben diesem in seiner Chronologie nicht genau fixierbaren Komplex war der Circus ein weiterer wichtiger Schwerpunkt der Bautätigkeit im spätantiken Arles. Hier wurde ein Obelisk aufgestellt, und in der Nähe befand sich ein großes Mausoleum. Da die genaue Datierung dieser spätantiken Eingriffe jedoch auch in diesem Fall ungewiss bleibt, können sie nach Auffassung von Heijmans gegenwärtig noch nicht als sichere Hinweise auf eine konstantinische Residenz in Arles herangezogen werden.

Im Folgenden wendet sich Heijmans der religiösen Topografie von Arles zu. Wie in anderen gallischen Städten fehlen auch hier archäologische Spuren der literarisch bezeugten Kirchenbauten des 4. Jahrhunderts. Etwas besser liegen die Dinge im südöstlichen Bereich des befestigten Stadtkerns, wo eine Kapelle aus bautypologischen Gründen in das 6. Jahrhundert datiert und mit der Beschreibung des von Caesarius gegründeten Johannesklosters in Verbindung gebracht werden kann. Andere aus spätantiken Quellen bekannte Kirchenbauten entziehen sich hingegen noch der Identifizierung. Ausführlich werden sodann die Nekropolen von Arles besprochen, bei denen eine soziale Stratifikation ebenso erkennbar ist wie die ungebrochene Weiterbenutzung älterer Bestattungsplätze in christlicher Zeit. Bemerkenswert ist ferner die frühzeitige Herausbildung dieser christlichen Nekropolen, in denen erst in einem zweiten Schritt, gegen Ende des 4. Jahrhunderts, ein Heiligenkult eingerichtet und zum Zentrum der Bestattung gemacht wurde.

Abschließend diskutiert H. die privaten Wohnviertel und kehrt damit zu dem Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, nämlich der Frage nach einem urbanistischen Niedergang von Arles, zurück. Auch wenn Ausonius Arles immer noch als duplex bezeichnete, so war doch der rechts der Rhone gelegene Stadtteil Trinquetaille in der Spätantike als Wohngebiet schon weitgehend aufgegeben. Für das Stadtzentrum fehlen noch ausreichende Befunde, um die Entwicklung des 4. Jahrhunderts nachzuzeichnen; Heijmans weist jedoch zu Recht auf die Diskrepanz zwischen den reichen Sarkophagfunden in den Nekropolen einerseits und den fehlenden Spuren der Wohnbebauung andererseits hin, aus denen eben nicht umstandslos auf einen Niedergang von Arles geschlossen werden dürfe. Deutlicher sind die Wohnbauten des 5. und 6. Jahrhunderts zu erkennen, unter denen sowohl parasitäre Einbauten, die auf das Phänomen des "squatting" hindeuten, als auch solide Steinbauten zu identifizieren sind. Heijmans hebt hervor, dass im gesamten innerstädtischen Bereich um 400 eine intensive Bautätigkeit festzustellen ist, die teilweise von qualitätsvollen Bauten geprägt war und erst ab der Mitte des 5. Jahrhunderts abklang. Nun begann eine Phase von "squatter occupation", während sich etwa hundert Jahre später die Zeichen für die Aufgabe einzelner innerstädtischer Bereiche häuften. Diese Chronologie kann Heijmans überzeugend mit der historischen Entwicklung verbinden, da Arles um 400 mit der Verlegung der praefectura Galliarum von Trier einen Zuzug wohlhabender Einwohner erlebte. Den endgültigen Niedergang um die Mitte des 6. Jahrhunderts verbindet Heijmans versuchsweise mit dem Auftauchen der Pest. Eine knappe Skizze des Übergangs von der spätantiken zur mittelalterlichen Stadt Arles, die man sich ein wenig ausführlicher gewünscht hätte, beschließt das Buch.

In der Verbindung einer überaus detaillierten Besprechung des archäologischen Befundes mit ausführlichen Diskussionen aller anderen zur Verfügung stehenden Quellen, mit der Einbettung der Stadtgeschichte von Arles in die spätantike Entwicklung Südgalliens und des Imperiums und vor allem mit der überzeugenden Verbindung übergreifender Fragestellungen und zahlreicher Detailbeobachtungen kann die vorliegende Untersuchung als ein Muster dessen gelten, was die archäologische Stadtforschung zur schwierigen Problematik von "Niedergang oder Wandel" in der Spätantike beitragen kann.


Anmerkung:

[1] Vgl. J.H.W.G. Liebeschuetz: The Decline and Fall of the Roman City, Oxford 2001 sowie jüngst B. Ward-Perkins: The End of Rome and the Fall of Civilization, Oxford 2005.

Ralf Behrwald