Michael Cole / Mary Pardo (eds.): Inventions of the Studio, Renaissance to Romanticism, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2005, 241 S., ISBN 978-0-8078-5568-3, GBP 15,50
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Das Atelier des Künstlers in der Frühen Neuzeit ist ein Ort doppelter Fiktion: Zum einen war das studio der faktische Ort des Entstehens jeder bildkünstlerischen Idee, dort, am Tisch oder an der Staffelei, wurden die Bilderfindungen der Künstler geschaffen. Zum anderen wurden auch die Bilder von diesem Entstehungsort, die wir heute kennen, im Atelier selbst wieder von ihren Meistern entworfen, pointiert und gelegentlich auch karikiert. Der von Michael Cole und Mary Pardo herausgegebene Sammelband "Inventions of the Studio", der Beiträge eines Symposiums vom April 2001 veröffentlicht, versammelt fünf Einzelstudien, die sich sowohl mit dem historischen locus, dem studio, als auch dem symbolischen Atelier des Künstlers als räumlichem Äquivalent zum Konzept von Autorschaft und künstlerischer Identität beschäftigen. Zwei Atelierbilder des 17. Jahrhunderts haben die Herausgeber als emblematische Leitbilder für die Zielsetzung vorangestellt (3): Peter Paul Rubens "Vier Philosophen" (1611, Galleria Palatina, Florenz) sowie Gerrit Dous "Mann schreibend neben einer Staffelei" (um 1630, Privatsammlung). Rubens verewigte sich mit seinem verstorbenen Bruder und befreundeten Gelehrten unter der Büste des Philosophen Seneca im Akt des gemeinsamen geistigen Studiums, und auch Gerrit Dou präsentiert den Maler im Atelier bei einer geistigen Tätigkeit: vor der Kulisse seines aufgeräumten Arbeitsraumes schreibt er in ein großes Buch. Der Ort des Ateliers, der hier vorgestellt wird, entwirft somit auch eine bestimmte Form der künstlerischen Tätigkeit, die an diesem Ort statt zu finden hat und es ist eine zentrale These des Bandes, dass das Atelier des Künstlers in der Frühen Neuzeit ein ebenso konzeptueller wie gegenwärtiger Ort ist.
Michael Cole und Mary Pardo beginnen in ihrem einleitenden Essay mit den Quellentexten des italienischen Quattro- und Cinquecento, wobei vor allem die kunsttheoretischen Schriften von Cennino Cennini und Leon Battista Alberti im Zentrum stehen (4-7). In einem breit angelegten Querschnitt werden frühe Bild- und Textquellen zu den Studierzimmern der Künstler seit der Frührenaissance angeführt. Findet sich der Leser gerade noch in Cenninis "studietto" für Glasarbeiten im späten 14. Jahrhundert, ist der nachfolgende Bericht von Carlo Ridolfi zu den Atelierräumen Tintorettos erst 1648 entstanden (15). Mit Michelangelos Entwurf für sein Haus in Florenz um 1545 ist das studio dann ein benenn- und beschreibbarer Ort der geistigen Tätigkeit geworden: "The painter's studio was, as it could be for the scholar, too, a retreat reserved for contemplative activities" (16). Die theoretische Scheidung eines kontemplativen Raumes des Studiums von der handwerklichen botthega wird, etwa am Beispiel einer Lukas-Darstellung von Giorgio Vasari (1570-71, SS. Annunziata, Florenz) oder den Akademiedarstellungen von Pierfrancesco Alberti bis Sébastien Leclerc, von den Autoren wiederum auf Bildwerke appliziert, was allerdings im Anbetracht des Textvolumens nur sehr kursorisch geschehen kann.
Zum Atelier als Innenraum ist komplementär die Welt (Natur) als Außenraum zu denken, denn von ihr handeln die Bilder, die in den Ateliers der Meister imaginiert werden. Christopher S. Wood untersucht im zweiten Aufsatz des Bandes, wie das Aufkommen des Atelierbetriebs auch althergebrachte Techniken der Kunstproduktion verändert: Nicht die Räume, sondern die Konzepte von Kunst ändern sich im 15. und 16. Jahrhundert und die damit verbundenen autoritativen Modelle. Es ist vor allem die Definition von Kunst als Erfahrungswissenschaft, die er anhand des aufkommenden Naturstudiums nachweist. Es sind die Zeichnungen nach dem Leben und der Natur, die um 1500 im Norden wie im Süden Einzug in den Raum des Ateliers halten. Sie ersetzten um 1500 nicht nur die Gliederpuppen und den überlieferten Kanon der Studienbücher und Kopien, sondern der Mythos vom "draußen sein" des Künstlers spiegelt sich, so Wood, in der Inversion sogar in der Künstlerbiografik, die den künstlerischen Nachwuchs gerne beim Zeichnen von Schafen entdeckt werden lässt. Doch erweist sich das freie Naturstudium schließlich doch nur als Mythos kreativer Autonomie, der letztlich über die Homologien akademischer Ausbildung wieder absorbiert wird: Das Naturstudium wird mit der Moderne letztlich zur archaischen, wenn nicht gar rückschrittlichen Tätigkeit umgedeutet (71).
Walter Melion stellt am Beispiel dreier illustrierter Stichwerke von Benedictus Arias Montanus das Modell eines virtuellen Studierzimmers vor, das den Leser dieser Andachtsbücher in der Rolle des Studierenden verortet. Illustriert mit aufwändigen Kupferstichen von Philip Galle laden die Humanae salutis monumenta (1571), Divinarum nuptiarum conventa et acta (1573-74) und David, hoc est virtutis exercitatissimae probatum Deo spectaculum (1575) den Leser ein zu einer "meditative journey and the act of composing upon Holy Scripture" (75). Hier wird die Schwelle vom studio zum studiolo überschritten, und der implizite Leser zum Künstler, der die im Bild angelegte spirituelle Reise in den Raum der Bildproduktion und -imagination (98) für sich vollziehen soll.
Den Reisen des Geistes stellt der nachfolgende Beitrag von H. Perry Chapman den minuziösen Raumeindruck niederländischer Atelierbilder des 17. Jahrhunderts an die Seite. Er untersucht die Tradition des Atelierbildes in den Niederlanden, wobei die Dichotomie zwischen dem Gezeigten und dem Nicht-Gezeigten besonders am Beispiel der Künstlerselbstdarstellung von Rembrandt und Vermeer aufgezeigt wird. Marc Gotlieb beendet den Band mit der Melancholie des Ateliers, die in der Romantik zu einem beliebten Bildthema wird, und um das Künstler wie François-Marius Granet Sujets kreieren: Der Arbeitsort des Künstlers wird zur Arena für Szenen von Einsamkeit, Verzweiflung und Tod und das Atelier zur Bühne der Historienmalerei. Gemälde wie Granets 1815 geschaffenes Bild "Der Maler Sodoma im Hospital" (Louvre, Paris) imaginieren eine Eigengeschichte des Künstlers als Außenseiter der Gesellschaft: "All of this is to say that the studio served the Romantics as a symbolic space disguised as a real one" (182).
Die Programmatik von Künstlerselbstdarstellungen ist ein gut untersuchtes Forschungsgebiet und viele bisher wenig beachtete Werke wurden in den letzten Jahren durch Ausstellungen publik gemacht. Auch Künstlerhäuser und botthege wurden seit den 80er-Jahren umfangreiche Forschungen gewidmet. Das Verdienst der von Cole und Pardo herausgegebenen Textsammlungen besteht weniger darin, neue Forschungsergebnisse zu liefern, als vielmehr das Bedeutungsspektrum aufzuzeigen, das sich hinter dem studio als geistigem und räumlichem Konzept der Frühen Neuzeit verbirgt. Der Band lebt dabei ganz maßgeblich von dem engen diskursiven Begriffsfeld, das, ausgehend vom lateinischen studium, im Englischen und Italienischen die Begriffe auch heute noch studio-study und il studio- i studi miteinander verbindet. Diese selbstverständliche Evidenz der Wortfamilie ist im Deutschen in der Form nicht gegeben, und manche etymologische Transferleistung lässt sich, wie auch die ein oder andere hermeneutische Pointe der Interpretation, so nicht in den hiesigen Sprachkreis übertragen. In den Einzelstudien findet sich, auch auf Grund des sowohl nord- als auch südeuropäische Gebiete abdeckenden Untersuchungsgebiets, die wichtigste Forschungsliteratur zum jeweiligen Spezialthema verzeichnet. Doch ist dies, wie von den Herausgebern auch ausdrücklich vorgetragen, kein Nachschlagewerk, sondern ein kulturwissenschaftlich ausgerichteter Band, der das studio als Dreh- und Angelpunkt im Kräftefeld rund um den Genius der Frühen Neuzeit auslotet.
Mila Horky