Peter B. Steiner / Claus Grimm (Hgg.): Jan Polack. Von der Zeichnung zum Bild. Malerei und Maltechnik in München um 1500 (= Diözesanmuseum für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising. Kataloge und Schriften 38 / Haus der Bayerischen Geschichte. Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 49/04), Freising: Diözesanmuseum Freising 2004, 264 S., ISBN 978-3-927233-96-6, EUR 18,00
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Der Katalog dokumentiert auf ansprechende Weise ein Projekt, dessen Idee während eines wissenschaftlichen Kolloquiums zur Ausstellung 'Münchner Gotik in Freising' 1999 entstand: Die Gemälde von Jan Polack, einem der berühmtesten und auftragsstärksten Münchner Maler um 1500, sollten mithilfe der Infrarot-Fotografie auf ihre Unterzeichnungen hin untersucht werden. In den Jahren 2002 und 2003 verwirklichte man das Vorhaben bei den Tafeln Polacks im Freisinger Museum, im Bayerischen Nationalmuseum, in der Pfarrkirche St. Peter in München, im Münchner Dom und in der Schlosskirche der Blutenburg bei München. Die Untersuchung wurde von Prof. Dr. Ingo Sandner von der Fachhochschule Köln unter Beteiligung des Hauses der Bayerischen Geschichte geleitet. Anschließend stellte man für die beiden Ausstellungen im Diözesanmuseum Freising und im Bayerischen Nationalmuseum in München die aufbereiteten digitalen Infrarotreflektografien den Gemälden in Originalgröße gegenüber. Der Begleitband zur Ausstellung dokumentiert die aus dem Projekt hervorgegangenen Erkenntnisse.
Der Hauptteil der Katalogbeiträge widmet sich folglich den technischen Untersuchungsmethoden, ihrer Funktionsweise und ihrem Nutzen. Claus Grimm beleuchtet die naturwissenschaftlich-technische Bildforschung auf die erzielten Fortschritte der letzten Jahrzehnte hin, in denen vielfache Zuschreibungskorrekturen stattfanden, die mithilfe von dendrochronologischen Bestimmungen, Pigment- und Holzartanalysen erreicht wurden. Die Infrarotreflektogramme der Unterzeichnungen konnten über verwendete Zeichengeräte, die Art der Entwürfe und die Arbeitsteilung Aufschluss geben. So zeigt dieses Herangehen an spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kunstwerke andere Ergebnisse als die klassischen Methoden der Kunstgeschichte. Stellt Grimm diese "Formkritik" gegen die traditionelle Stilkritik, so sollte aber bedacht werden, dass die heutige Kunstgeschichte die im Beitrag zitierten "geniegeschichtlichen Entwicklungsreihen" (76) längst verlassen hat und die Intentionen der Auftraggeber und Hersteller immer stärker mit berücksichtigt. Dass diese Ansätze besonders durch die Ergänzung der naturwissenschaftlich-technischen Untersuchungen auf einem solideren Fundament stehen und viele zusätzliche Erkenntnisse bringen, steht mittlerweile außer Frage.
In den drei anschließenden Beiträgen von Ingo Sandner erfahren die Leser, wie das technische Verfahren der digitalen Infrarot-Reflektografie im konkreten Fall der Untersuchung der Polack-Altäre angewendet wurde, wie es funktioniert und was es aufzeigt. Dabei wurde deutlich, dass die zeichnerischen Entwürfe in der Polack-Werkstatt nicht mit Stift oder Feder, sondern mit Holzkohlestäbchen oder Rußtusche aufgetragen wurden. Erstmals konnten sowohl verschiedene Mitarbeiter als auch Planänderungen festgestellt werden.
Zunächst unterscheidet Ingo Sandner zwei Hauptgruppen von Unterzeichnungen. In der ersten Gruppe wurde die Vorzeichnung in frei gezogenen Hauptlinien wenig detailliert aufgetragen, während in der zweiten Gruppe eine genauere Ausarbeitung mit Licht- und Schattenlinien stattfand, sodass vermutet wurde, sie sei unter Verwendung eines Entwurfskartons mithilfe von Pausen entstanden. Hier lässt sich kein individueller Zeichenstil mehr ausmachen. Diese vielfältigen Vorarbeiten sind nach Sandner typisch für einen großen Werkstattbetrieb mit einem Meister, der sich mehrfach wechselnde, geschulte Partner zu Hilfe holte. In seinem dritten Beitrag geht Sandner deshalb ins Detail und unterscheidet nochmals sechs Unterzeichnungstypen. Dabei sieht er die Hand Polacks im ersten, äußerst plastisch gestalteten Unterzeichnungstyp, der vorwiegend auf den unter der größten Sorgfalt entstandenen Festtagsseiten der Altäre zu finden ist. Außerdem meint er, die Hand des besonders als Kupferstecher bekannten Hanns Mair von Freising und Landshut zu erkennen, dessen Tätigkeit in München 1490 im Steuerbuch erwähnt wird. Sandner bezeichnet den Werkstattbetrieb dennoch nicht als manufakturartigen Malbetrieb, wie beispielsweise den Lukas Cranachs. Zwar überließ auch Polack seinen Mitarbeitern bisweilen sowohl den Entwurf und die Unterzeichnung der Komposition als auch die Ausführung der Malerei, aber die fünf beteiligten Mitarbeiter lassen sich laut Sandner durch die Untersuchungsmethoden zumindest noch einigermaßen erfassen.
Dem steht die Meinung des Kunsthistorikers entgegen. Matthias Weniger untersucht in seinem Beitrag das Œuvre des unter den Herzögen Albrecht IV. und Sigismund von Bayern tätigen Jan Polack im Kontext der zeitgenössischen Münchner Kunstproduktion, besonders der beiden erfolgreichen Bildhauer Erasmus Grasser und des Meisters der Blutenburger Apostel. Im Gegensatz zu diesen, die als Werkstattleiter ihren typischen Stil entwickelten, der besonders im Fall Grassers auch später noch formelhaft und schematisch wiederholt wurde, bis hin zur exakten Übernahme einzelner Draperien, lässt sich keine typische Manier Polacks ausmachen. Vielmehr ist bei seinen Arbeiten der Gesamteindruck vorherrschend, der wohl absichtsvoll als Polack-Werkstatt erkennbar sein sollte. Weniger sieht die Voraussetzung dafür im Arbeiten nach Prinzipien und Grundformeln, wie der Dominanz menschlicher Figuren mit bestimmten Gesichtstypen, die sich im Vordergrund drängen und durch überzogene Körperbewegungen und Grimassieren die für die Werkstatt typische theatralische Wirkung hervorrufen. Auch die Bevorzugung von Rot- und Weißakzenten sowie von starken Licht-Schatten-Kontrasten gehört zu den markanten Erkennungszeichen. Die enorm große Produktivität des Betriebes - viele der datierten Werke entstanden nahezu zeitgleich - war nur möglich, indem die Qualität im Detail zurückgestellt und stattdessen auf hohe Ausdruckskraft und gute Lesbarkeit der großen Altarwerke Wert gelegt wurde, wobei man Bildformeln variierend wiederholte. Sehr zurecht verweist Weniger in diesem Zusammenhang auf die jüngeren Untersuchungen von spätmittelalterlichen "Kunst-Fabriken" (35), wie jenen von Weckmann, Notke, Cranach und Riemenschneider, deren Mitarbeiter sich alle einem Werkstattstil unterordneten und somit den althergebrachten Wunsch der Kunsthistoriker nach Händescheidung nicht mehr erfüllbar machen.
Nach der Lektüre der Beiträge entsteht der Eindruck, dass die Ergebnisse des Unternehmens zu relativ unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen, sodass hier auf jeden Fall noch Forschungsbedarf besteht - unter jetzt neuen Voraussetzungen. Erfreulich gestaltet ist der anschließende Katalogteil, in dem die Altarwerke zunächst in ihren verschiedenen Wandlungen gezeigt sind und anschließend jede Bildtafel doppelseitig mit ihrer Unterzeichnung abgebildet wird. Das ermöglicht den Betrachtern und den künftigen Forschern, sich ihr eigenes Bild von dem eindrucksvollen Erzählstil der Werkstatt zu machen. Mit dem Katalog liegt eine nützliche und handliche Monografie jenes "Jan polanus" vor, wie er im Jahr 1484 in den Rechnungsbüchern des Klosters Weihenstephan genannt wird. Als dieser Eintrag 1908 entdeckt wurde, zeigte man sich so froh darüber, endlich einen Namen zu haben, dass man ihm fast die ganze Münchner Malerei um 1500 zuschrieb. Dies hat sich mit den Forschungsarbeiten über Gabriel Angler, dem Meister der Pollinger Tafeln, Gabriel Mäleßkirchner und über Jan Polack selbst gründlich geändert. Heute, fast 100 Jahre nach seiner Entdeckung, wird der Name ganz unromantisch, aber folgerichtig immer weniger mit einem Individuum als mit einer hochkarätigen Marke zu Gunsten der auf unternehmerischen Erfolg ausgerichteten Werkstatt in Verbindung gebracht.
Ingrid Gardill