Isabelle Kirgus: Die Rathauslaube in Köln (1569 - 1573). Architektur und Antikerezeption (= Sigurd Greven-Studien; Bd. 4), Bonn: Bouvier 2003, 352 S., 119 s/w-Abb., ISBN 978-3-416-03041-0, EUR 24,90
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In einer Stadt wie Köln, die noch heute mit Stolz auf ihre römischen Ursprünge zurück blickt und mit dem Römisch-Germanischen Museum eine der bedeutendsten Antikensammlungen Deutschlands beherbergt, verwundert es, dass bislang nur wenige Forschungen zu den frühneuzeitlichen Wurzeln der wissenschaftlich-antiquarischen Auseinandersetzung mit der antiken Stadtgeschichte vorliegen. Im Vergleich zum reichen mittelalterlichen Bau- und Kunstbestand der Rheinmetropole wurde auch die künstlerische Produktion des 16. Jahrhunderts bislang nur selten eingehender Betrachtungen unterzogen. Diese Forschungslücke eines vernachlässigten Säkulums rheinischer Geschichte zu schließen ist ein Ziel der Sigurd Greven-Stiftung. In der gleichnamigen Reihe ist als Band 4 die hier anzuzeigende, 2002 abgeschlossene und mit dem Paul Clemen-Stipendium ausgezeichnete Kölner Dissertation von Isabelle Kirgus zur Kölner Rathauslaube erschienen. Die Autorin fokussiert in diesem Werk ein Renaissancemonument von singulärem Rang in der Kölner Architekturgeschichte und knüpft zugleich an den von ihr verfassten Band 3 der Sigurd Greven-Studien zur "Renaissance in Köln. Architektur und Ausstattung 1520-1620" an. [1]
Kirgus schildert zunächst detailliert die Planungs- und Baugeschichte der Kölner Rathauslaube und legt eine Rekonstruktion des Ursprungbaus unter Einbeziehung der Aussagen zeitgenössischer Quellen vor. Besonderen Wert legt die Autorin des Weiteren auf die Analyse des geistesgeschichtlichen Hintergrunds im Entstehungsumfeld des Bauwerks. Mit Blick auf die führenden Auftraggeberpersönlichkeiten gibt sie erstmals eine zusammenfassende Gesamtschau über die antiquarischen und humanistischen Tätigkeiten im Köln des 16. Jahrhunderts und analysiert formale Rezeptionsprozesse, die auf eine bewusste Antikerezeption bei Entwurf und Ausführung der Rathauslaube hinweisen.
Dem Bau der Rathausvorhalle, die einen älteren Bau an gleicher Stelle ersetzte, ging eine mehrjährige Planungsgeschichte von 1557 bis 1562 voraus, während der der Kölner Rat Entwürfe verschiedener niederländischer Künstler einholte (73-85). Das Gebäude sollte wie sein Vorgänger als Treppenaufgang in den Ratssaal, aber auch als repräsentative Austrittsfläche für die mindestens einmal jährlich stattfindende "Morgensprache" fungieren, die Ratsverkündung polizeilicher Bestimmungen und sonstiger protokollarischer Verlautbarungen. Seit dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass vier zeitgenössische Entwurfszeichnungen für die Rathausvorhalle von drei niederländischen Künstlern erhalten sind, die im Kölnischen Stadtmuseum aufbewahrt werden. Zwei Zeichnungen sind mit einer Monogrammsignatur versehen, die sie als Werke des Antwerpener Baumeisters Cornelis Floris identifizieren. Floris reichte dem Rat 1557 zwei Entwurfsvarianten ein, wobei der zweite Entwurf mit Erdgeschossarkaden und einem betonten Mittelrisalit für die weiteren Planungen bestimmend blieb. Je einen Entwurf fertigten Henrick van Hasselt um 1560 und Lambert III. Suderman im Jahr 1562.
Im Juli 1567 stimmte der Kölner Rat unter Vorlage verschiedener Planentwürfe, zu denen auch die überlieferten zu zählen sind, dem Neubau der Rathausvorhalle zu und entschied, einen Meister für den Bau unter Vertrag zu nehmen. Dieser wurde in dem aus Kalkar stammenden und zuvor auf Schloss Horst tätigen Wilhelm Vernucken gefunden. Unter Heranziehung aller verfügbaren Quellen zum Bauwerk und zu seinem Baumeister rekonstruiert Kirgus eine ausführliche Bau- und Restaurierungsgeschichte (87-160). Der Autorin kommt das Verdienst zu, zahlreiche bislang unbekannte Archivalien für das Bauwerk erschlossen und dadurch zuvor bestehende Widersprüche und Unklarheiten aufgelöst zu haben. Das Ergebnis ist eine beeindruckende, akribische Rekonstruktion des Bauablaufs mit Fragen zur Baustoffbeschaffung, zur Zollabfertigung auf den Schifffahrtsstraßen bis hin zu den Geschehnissen einer handgreiflichen Auseinandersetzung auf der Baustelle, in deren Folge Vernucken des Landfriedensbruchs bezichtigt wurde. Die eigentliche Errichtung der Rathauslaube kann Kirgus auf einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren zwischen dem Aushub der Fundamente im Juni 1570 und der Stuckverkleidung der Obergeschossdecke im Januar 1573 eingrenzen.
Auf Grund witterungsanfälliger Materialien des Originalbaus zeigten sich bereits dreißig Jahre nach Fertigstellung erste Schäden, die bis in das 19. Jahrhundert immer neue Restaurierungen erforderten, welche das Aussehen des Gebäudes sukzessive veränderten. Kirgus gelingt es dennoch, den Ursprungsbau als zweigeschossige, fünfachsige Arkadenarchitektur zu rekonstruieren, die im Inneren zweischiffig unterteilt war. Statt des heutigen, geschweiften Walmdachs, das die Autorin ebenso wie das Obergeschossgewölbe als Zusatz der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweist, besaß der Ursprungsbau ein Flachdach, das von einer mittleren Ädikula mit dem Reichswappen und dem doppelköpfigen Reichsadler sowie zwei seitlichen Stadtwappen mit Wappenhaltern bekrönt war.
Das folgende Kapitel (161-183) bietet eine Einordnung des Baus in den Kontext der zeitgenössischen Architekturtheorie, speziell der Säulenbücher. Kirgus geht der Frage nach, wie es zur Anwendung der Superposition von korinthischer und kompositer Säulenordnung an der Kölner Rathauslaube kommen konnte, nachdem an vergleichbaren, städtischen Profanbauten des 16. Jahrhunderts v. a. das ionische Säulengenus als angemessen erachtet wurde. In Bezugnahme auf römische Ehrenbögen seien die Säulen vom Magistrat der freien Reichsstadt Köln "als Medium eines Bedeutungsanspruchs benutzt und in den Dienst einer auf Triumph und Sieg bezogenen Aussage gestellt" worden (182). Als ausführender Baumeister ließ sich Vernucken von dem jüngst - 1565 - erschienenen Säulenbuch "Corinthia/Composita" des Niederländers Hans Vredemann de Vries inspirieren und setzte die dort vorgegebene Verbindung von antikisierenden Säulen und neuzeitlichem Ornament am Kölner Bau quasi prototypisch um. Im Detail basiert der Formenschatz einerseits auf Vernuckens bestehendem Repertoire von Schloss Horst, andererseits auf ornamentalen Vorlagenblättern der Antwerpener Schule und Vredemann de Vries' genanntem Säulenbuch.
Die folgende Detailanalyse (185-240) der Bauornamentik und Bauplastik - Kaisermedaillons, Löwenkampfreliefs, Skulpturenschmuck der Dachzone - erweist sich als schwierig, da diese im 19. Jahrhundert vollständig ausgetauscht wurde, weshalb die Autorin formanalytische und ikonologische Fragen in den Vordergrund rückt. An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, dass für die Kölner Rathausvorhalle offensichtlich weiterhin ein grundlegendes Desiderat besteht, das in der vorliegenden Arbeit nicht ausgeräumt werden konnte: nämlich eine exakte Bauaufnahme mit Zuweisung der einzelnen Bauglieder zum Originalbestand bzw. zu den zahlreichen, bis in jüngster Zeit erfolgten Restaurierungen.
Die zwölf Medaillons mit römischen Kaiserporträts rezipierten in idealisierender Weise antike Münzbildnisse, einerseits wohl nach dem Vorbild realer Münzen in damaligen Kölner Sammlungen, andererseits über dem Umweg von Reproduktionen in zeitgenössischen Buchillustrationen, namentlich in Hubert Goltz' Münzbildbüchern von 1557 und 1563. Maßgeblichen, beratenden Anteil an der Gestaltung der Medaillons hatte vermutlich Johann VI. Helman, der auch die Textvorlagen für die sechs lateinischen Inschriftentafeln der Rathauslaube entwarf. Kirgus konnte für drei der sechs Inschriften die handschriftlichen Entwürfe in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle ausfindig machen, die sie erstmals publiziert und ausführlich interpretiert (241-273). Inschriften und Kaisermedaillons waren Bestandteile eines auf die konkrete, insbesondere antike Kölner Stadtgeschichte bezogenen Bildprogramms, das in einer Huldigung des regierenden Kaisers Maximilian II. gipfelte.
In der Römerstadt Köln entdeckte man im Verlauf des 16. Jahrhunderts antike Funde und Siedlungsreste, was zu einer Auseinandersetzung mit den antiken Ursprüngen der Stadt führte. Verbunden mit diesen wissenschaftlichen Forschungen waren in Köln seit etwa 1550 auch Antikensammlungen entstanden, die insbesondere Kleinfunde wie Gemmen und Münzen, aber auch Steininschriften umfassten. Kirgus leistet einen lange vermissten, detaillierten Überblick über diese Antikensammlungen (25-62). Gestützt auf Originalquellen in Kölner Archiven zeichnet sie ein lebendiges Bild der damaligen Kölner Antikenforschungen und belegt deren Vertrautsein mit "innovativsten Strömungen in der Altertumsforschung" (292). Durch personengeschichtliche Untersuchungen zum Kölner Gelehrtenkreis zeigt sie, dass v. a. zwei Ratsmitgliedern eine bedeutende Rolle bei der Planung und Errichtung der Rathauslaube zugekommen sein muss: dem vielseitig humanistisch interessierten Ratsherrn, Juristen und führendem Lokalgeschichtsforscher Johann VI. Helman, sowie dem Antikensammler Konstantin von Lyskirchen, der zwischen 1554/5 und 1581/2 zehnmal als Kölner Bürgermeister amtierte.
Die abschließenden Betrachtungen sind Fragen nach der politischen und kulturellen Bedeutung des Bauwerks im Kontext seiner Entstehungszeit gewidmet (275-298). Kirgus arbeitet heraus, dass der Rathauslaube und ihrem Bildprogramm ein reichsideologisches Konzept zur Machtdemonstration des Magistrats zu Grunde lag. Auf dem Höhepunkt des Ansehens angelangt, beanspruchte Köln in dieser Zeit den ersten Platz in der Hierarchie der Reichsstädte, der beispielsweise im Sessionsstreit von 1571/3 "argumentativ über das höhere Alter der Stadt und die seit der Antike kontinuierlich andauernde Reichsfreiheit begründet" (297) wurde.
Der Text ist ergänzt um ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie um drei Appendices mit Dokumenten zur Erbauung und Restaurierung der Kölner Rathauslaube, einem Verzeichnis von Plänen und Grafiken sowie einem Verzeichnis nachweisbarer Antiken aus Kölner Sammlungen des 16. Jahrhunderts. Kritisch anzumerken ist das Fehlen jeglicher Abbildungsverweise, was nicht nur die Handhabung des Texts, sondern insbesondere der Appendices unnötig erschwert.
Insgesamt liefert das Buch nicht nur für das untersuchte Bauwerk, sondern auch für die frühneuzeitliche Kölner Wissenschafts- und Sammlungsgeschichte sowie das Bauwesen interessante und anregende Erkenntnisse und bildet damit einen wichtigen Ausgangspunkt für weitere Forschungen zur Renaissance im Rheinland.
Anmerkung:
[1] Rezension in KUNSTFORM 2 (2001), Nr. 3 von Anke Neugebauer. (http://www.kunstform.historicum.net/2001/03/5632.html)
Ute Verstegen