Ursula Löffler: Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 8), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 266 S., ISBN 978-3-9259-8077-0, EUR 24,90
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Die vom Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit herausgegebene Publikationsreihe "Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit" hat sich in den vergangenen Jahren als eine Plattform der Erprobung und Diskussion neuer Ansätze im Bereich der Erforschung frühneuzeitlicher Herrschaft etabliert. Im Gegensatz zum klassischen Einbahnstraßenmodell, nach dem Herrschaft als ausschließliche Befehlsgewalt von oben nach unten dargestellt wurde, werden neuerdings Konzepte diskutiert, die Herrschaft eher als "soziale Praxis" [1] verstehen wollen und das "Aushandeln" von Herrschaftsbeziehungen in den Vordergrund der Betrachtung stellen.
Dieser Forschungskonzeption ist auch die anzuzeigende (ursprünglich im Jahr 2002 an der Universität Halle-Wittenberg als Dissertation eingereichte) Studie verpflichtet. Die Frage, die Ursula Löffler in der Einleitung aufwirft, mutet zunächst durchaus konventionell an: Die Autorin möchte nämlich die - bereits im Westfälischen Friedensvertrag festgelegte und seit 1680 nach dem Ableben des Administrators August von Sachsen vollzogene - Eingliederung des Herzogtums Magdeburg an Brandenburg-Preußen im Hinblick auf den preußischen Staatswerdungsprozess untersuchen.
Dabei bedient sich die Verfasserin jedoch einer ganz neuen Vorgehensweise: Sie will nämlich die Entwicklung von einem lose mit Brandenburg verbundenen, weitgehend selbstständigen Bestandteil jenes bekannten Konglomeratsstaates hin zu einer Provinz Preußens auf der untersten Ebene der ländlichen Verwaltung untersuchen. Löffler interessiert sich für die Frage, wie Herrschaft in den einzelnen landesherrlichen Ämtern funktionierte, wie also der Staat seinen Arm über diese Ämter bis ins Dorf hinein verlängern konnte. Dabei stößt sie auf die so genannten "Unterbedienten" oder "dörflichen Amtsträger", die in den Quellen so unterschiedliche Bezeichnungen wie "Schulzen", "Richter", "Bauermeister" oder "Schöppen" tragen konnten. Diese Amtsträger identifiziert Löffler als Bindeglieder zwischen der Ämterebene und der Ebene des Dorfes, über sie habe der Kontakt zwischen beiden Ebenen stattgefunden.
Diese Unterbedienten, die - nach einer allgemeinen Charakterisierung und einer Darstellung der Behördenentwicklung in Brandenburg-Preußen - in den Kapiteln 4 und 5 begrifflich erfasst sowie geografisch und sozial verortet werden, blieben in der dörflichen Lebenswelt verankert, wurden also zu keinem Zeitpunkt Teil der staatlichen Bürokratie, waren aber zugleich durch Eid der Obrigkeit verpflichtet. Sie hatten dadurch eine Doppelfunktion inne: Einerseits erledigten sie obrigkeitliche Aufgaben im Dorf, indem sie Edikte und Verordnungen bekannt machten, Frondienste ansagten, sich um die Einsammlung der Abgaben kümmerten und sogar gerichtliche Funktionen übernahmen. Andererseits dienten sie der Dorfgemeinde als Sprachrohr gegenüber dem Amtmann. In dieser Doppelrolle sorgten sie für den Informationsfluss zwischen Dorf und Amt, gerieten aber auch immer wieder in Konflikte, die aus ihrer janusköpfigen Position entstanden.
Leitgedanke der Arbeit ist, dass dieses System von beiden Seiten, von Dorf und Obrigkeit, als sinnvoll angesehen wurde. Löffler geht von einem Basiskonsens zwischen Landgemeinde und Amt aus, weil beide Seite an einem reibungslosen Funktionieren der Landwirtschaft interessiert waren. Weil das so war, blieben sowohl der offene Widerstand der Bauern als auch der Zwang durch die Obrigkeit stets nur allerletzte Mittel, die zum Einsatz kamen, wenn der Dialog abgebrochen war. Normalerweise wurde auch im Konfliktfall die Kommunikation fortgesetzt, wobei die dörflichen Amtsträger sich der Kommunikationssysteme beider Seiten bedienten. Die Autorin betont explizit den kommunikativen Charakter von Herrschaft, die daher als "soziale Praxis" anzusehen sei, an der auch die Untertanen Anteil hatten.
Der brandenburgisch-preußische Staat griff somit auf der untersten Ebene, unterhalb des Amtes, auf ein Ordnungssystem zurück, das bereits lange vor 1680 existierte und sich weiterhin als funktional erwies. Löffler weist auch darauf hin, dass diese Praxis für den Staat zugleich die kostengünstigste gewesen sei, ein Aspekt, der vielleicht noch stärker hätte herausgearbeitet werden können.
Die Darstellung weist leider einige Schwächen auf. Die Leitgedanken - Basiskonsens zwischen Obrigkeit und Untertanen über das Funktionieren der Landwirtschaft, "Herrschaft als soziale Praxis", Doppelfunktion der Amtsträger - werden mantraartig immer wieder wiederholt, wobei in Einzelfällen schon mal ganze Abschnitte wortidentisch repetiert werden (z. B. 138 und 159 f. sowie 52 f. und 167). Teilweise entsteht der Eindruck nur lose miteinander verbundener Einzelstudien, die freilich alle um dasselbe Thema kreisen, aber eine eigene Einleitung und einen eigenen Schluss aufweisen (z. B. Kap. 7) - ein Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, dass Löffler Einzelaspekte ihrer Arbeit bereits in einer Reihe von Aufsätzen publiziert hat. [2] Ganz am Ende der Arbeit (Kap. 8.2) wird sogar noch ein ganz neues Interpretationswerkzeug - die "Theorie der Strukturierung" von Anthony Giddens - eingeführt, um dann noch einmal die bereits bekannten Erkenntnisse mithilfe dieses Instrumentariums darzustellen. Es stellt sich die Frage, ob die Einführung der Strukturierungstheorie nicht in die Einleitung gehört hätte, um dann im Laufe der Arbeit konsequent angewandt zu werden.
Die genannten Schwächen betreffen allerdings nur die Art der Darstellung, die vielleicht insgesamt noch stringenter hätte sein können. Dies sollte jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass hier tatsächlich eine Pionierleistung vorliegt, die nicht nur die Gruppe der dörflichen Amtsträger begrifflich erfasst und sozial verortet, sondern darüber hinaus wichtige Einblicke in die Mechanismen von Herrschaft vor Ort erlaubt. Der grundsätzlich kommunikative und funktionale Charakter von Herrschaft auf dem Lande, das Interesse von Dorf und Obrigkeit am Funktionieren der Landwirtschaft, die Teilhabe an bzw. das "Aushandeln" von Herrschaft werden hier plausibel vorgeführt und konkretisiert. Ein deutliches Machtgefälle wird von Löffler gleichwohl nicht geleugnet, so dass die Gefahr einer einseitigen Verklärung der ländlichen Verhältnisse in der Vormoderne nicht besteht.
Anmerkungen:
[1] Alf Lüdtke (Hg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 91), Göttingen 1991; Markus Meumann / Ralf Pröve (Hg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses (= Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; Bd. 2), Münster 2004; s. hierzu die Rezension von Ronald G. Asch, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4, URL: http://www.sehepunkte.de/2005/04/7315.html.
[2] Ursula Löffler: Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen: zum Aufgabenprofil dörflicher Amtsträger in der Frühen Neuzeit, in: Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850 (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preußens e.V.; Bd. 2), Berlin 2001, 101-120; s. hierzu die Rezension von Raingard Esser, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 2, URL: http://www.sehepunkte.de/2002/02/2933.html; Ursula Löffler: Herrschaft als soziale Praxis zwischen Dorf und Obrigkeit, in: Meumann / Pröve (Hg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 1), 97-119; dies.: Magdeburgs Weg nach Brandenburg-Preußen: Herrschaftsetablierung und -durchdringung als administrativer Prozess, in: Michael Kaiser / Michael Rohrschneider (Hg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640-1688) (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F.; Beiheft 7), Berlin 2005, 77-98.
Ulrich Niggemann