Rezension über:

Andrzej Kątny (Hg.): Das literarische Erbe von Danzig und Gdańsk (= Danziger Beiträge zur Germanistik; Bd. 15), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 215 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-631-53226-3, EUR 39,00
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Rezension von:
Jens Stüben
Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Irgang
Empfohlene Zitierweise:
Jens Stüben: Rezension von: Andrzej Kątny (Hg.): Das literarische Erbe von Danzig und Gdańsk, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/9692.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Andrzej Kątny (Hg.): Das literarische Erbe von Danzig und Gdańsk

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Die seit 1993 erscheinende 'gelbe' Reihe der Danziger Germanistik "Studia Germanica Gedanensia" hat, obwohl sie sich bestens entwickelt und immer reichhaltigere Einzelbände hervorgebracht hat, 'Konkurrenz' aus dem eigenen Hause bekommen: die Reihe "Danziger germanistische Beiträge". Nach einem Band über die deutsche Literatur aus Stolp/Słupsk in Pommern und dreizehn Bänden zu sprachwissenschaftlichen Themen legt der Reihenherausgeber, der derzeitige Direktor des Instituts für Germanistik der Universität Danzig/Gdańsk, Prof. Andrzej Kątny, einen Sammelband zur Kultur- und Literaturgeschichte Danzigs vor, der das 1997 erschienene, von Marek Jaroszewski herausgegebene Buch "1000 Jahre Danzig in der deutschen Literatur" (Studia Germanica Gedanensia, Bd. 5, 1997) vortrefflich ergänzt. Hatten die Autoren des Millenniumsbandes den Weg der Danziger (oder thematisch auf Danzig bezogenen) Literatur vom Barock bis zur Gegenwart abgeschritten, so verfolgt die jetzige Publikation die Literaturgeschichte der einstmals größten polnischen, bis 1945 überwiegend deutsch besiedelten Stadt in umgekehrter Richtung: Sie führt den Leser, von den aktuell viel genannten Autoren Stefan Chwin und Paweł Huelle und ihrem Rekurs auf die "gemeinsame deutsch-polnische Geschichte Danzigs" (7) und deren dingliche Zeugen ausgehend, didaktisch geschickt immer tiefer in die Vergangenheit der Danziger Literatur und Kultur hinein. Selbstverständlich können in einem handlichen Sammelband nicht alle wichtigen Erscheinungen dieses Bereichs der deutschen Literaturgeschichte erfasst werden, aber es ergibt sich doch ein facettenreiches Bild, in dem man nichts, was unverzichtbar wäre, vermisst.

Nicht weniger als fünf Beiträge erweisen dem Danziger Literaturnobelpreisträger die Ehre: Wulf Segebrecht hebt in seiner Deutung der Novelle "Im Krebsgang" hervor, dass Günter Grass anhand der Hauptfiguren, die drei Generationen vertreten, die verschiedenen Beweggründe demonstriere, mit Geschichte, speziell deutscher Opfergeschichte vor dem Hintergrund deutscher Tätergeschichte, auf unterschiedliche Weise umzugehen. In einem Exkurs gibt der Verfasser einen bedenkenswerten kritischen Kommentar zu deutschen und polnischen Reaktionen auf das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen". Sabine Richter kennzeichnet die Gestaltung der jüdischen Figuren in der "Blechtrommel" als realistisch und unsentimental, während sich Mieczysław Dąbrowski in seinem hauptsächlich Huelle und Chwin gewidmeten Beitrag mit den mythischen und sakralen Orten in Grass' erstem Roman beschäftigt. Lucyna Wille betreibt Literaturpsychologie und analysiert die - sic! - "Grasserotik". Mit dem vergleichsweise braven Thema der Aufnahme der "Danziger Trilogie" durch die polnische und die schwedische Literaturkritik befasst sich Janina Gesche.

Stephan Wolting beleuchtet schlaglichtartig die Danziger Theaterszene zwischen den beiden Weltkriegen, namentlich das Wirken des Regisseurs Hermann Merz und des Literaturwissenschaftlers Heinz Kindermann, der von 1927 bis 1936 (so richtig Seite 74, zweimal anders dagegen Seite 73) das Danziger Ordinariat für Germanistik innehatte. Peter Oliver Loew verfolgt scharfsichtig die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Max Halbe und Danzig, der Stadt und 'ihres' Dichters, die zu ihrer Selbstbestätigung wechselseitig aufeinander angewiesen waren und voneinander profitierten. In die Weichselniederung, den Danziger Werder, und zu den damals dort siedelnden Mennoniten mit ihrer Identitätskrise zwischen religiösem Traditionalismus und aufkommendem Nationalismus führt der Beitrag von Marek Jaroszewski, der ein historisches Drama des Bismarckzeitautors Ernst von Wildenbruch überzeugend interpretiert. Małgorzata Wittenberg skizziert das kulturelle Leben im Danzig der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts auf Grund von Mitteilungen über kulturelle Veranstaltungen und gesellschaftliche Ereignisse in Danziger Zeitungen und Zeitschriften. Das ganze Panorama medialer Kultur im 18. jahrhundert entfaltet kenntnisreich Edmund Kotarski.

Einen einfühlsamen Vergleich der vorliegenden Biografien Johanna Schopenhauers, darunter die Bestseller von Ulrike Bergmann (2002) und Carola Stern (2003), bietet Marion Brandt. Unterstreichenswert ist ihr Hinweis, dass ein polnischsprachiges Buch über die Danzigerin fehle und die lesenswerte Autorin daher im heutigen Gdańsk noch zu wenig bekannt sei. Ein Beitrag also, der dazu anregt, einen vom Vergessenwerden bedrohten Teil des "literarischen Erbes" der Stadt (im Sinne des Bandtitels) in die heutige, polnisch geprägte Kulturlandschaft zu integrieren und auch künftig zu pflegen. Katherine R. Goodman vergleicht die Auffassungen von Luise Adelgunde Kulmus, der "Gottschedin", und ihres Gemahls Johann Christoph Gottsched über den Republikaner Cato vor dem Hintergrund der Geschichte der Stadtrepublik Danzig um die Zeit des Polnischen Erbfolgekriegs. Einen neu entdeckten Beleg (in einer handschriftlichen Marginalie zu Reinhold Curickes "Der Stadt Dantzig Historische Beschreibung", 1687) für die seinerzeit für Theateraufführungen englischer Wandertruppen genutzte Danziger "Fechtschule" präsentiert Jerzy Limon, Gründungsmitglied einer von Prinz Charles von Großbritannien unterstützten Stiftung "Theatrum Gedanense", die sich die Rekonstruktion des Baues zum Ziel gesetzt hat. Piotr Maciej Kociumbas schließlich liefert gründliche literar- und kulturhistorische Analysen der Texte zu der Madrigalsammlung des Danziger Stadtkapellmeisters Andreas Hakenberger, "Newe Deutsche Gesänge", von 1610. Dass er sich unglücklicherweise auf die Terminologie von Erwin Arndts "Deutscher Verslehre" bezieht und einige Begriffe ('Rhythmus', 'Assonanz', 'reicher' und 'rührender Reim') in fragwürdiger Weise verwendet, tut seiner vorbildlich detailgenauen Interpretation allerdings kaum Abbruch.

Vier Rezensionen, darunter über den schönen Sammelband zur Danziger Theatergeschichte, herausgegeben von Jan Ciechowicz (2004), sowie, besonders informativ, Mirosław Ossowskis eingehende Würdigung der Monografie von Peter Oliver Loew zur Danziger Geschichtskultur von 1793 bis 1997 (2003), runden den insgesamt gelungenen Band ab.

Jens Stüben