Rezension über:

Ulrich Straus: The Anguish of Surrender. Japanese POWs of World War II, Seattle: University of Washington Press 2004, xx + 282 S., ISBN 978-0-295-98508-4, USD 24,95
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Rezension von:
Andreas Hilger
Hamburg
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Hilger: Rezension von: Ulrich Straus: The Anguish of Surrender. Japanese POWs of World War II, Seattle: University of Washington Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/7735.html


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Ulrich Straus: The Anguish of Surrender

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In den letzten Jahren hat sich die Kriegsgefangenschaft als eigenes Forschungsthema etabliert. Gerade mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg spielen dabei nicht mehr nur die Politik der Gewahrsamsmächte, sondern auch die Erfahrungen der Gefangenen und schließlich auch ihr Anteil an der Erinnerungskultur der Nachkriegsgesellschaften eine immer wichtigere Rolle. [1] Dieser Perspektive fühlt sich auch die Studie von Ulrich Straus verpflichtet. Straus, der bereits als Kind in Japan lebte, dann 1946 als Sprachoffizier zurückkehrte und im Zuge seiner weiteren Karriere im State Department immer wieder mit Japan befasst war, kann für sich in Anspruch nehmen, dieses komplexe Thema einfühlsam und kenntnisreich zu bearbeiten. Äußeres Zeugnis hiervon ist die Bereitschaft von über 80 ehemaligen japanischen Kriegsgefangenen, sich ihm für die Interviews zur Verfügung zu stellen. Sie stellen neben veröffentlichten Memoiren einen wesentlichen Grundstock seiner Monografie dar, die sich auf die Gefangenen, die während des Kriegs gemacht wurden, konzentriert.

In der Zeit vom Dezember 1941 bis zum Kriegsende im August 1945 sind allerdings nur rund 35.000 japanische Soldaten in westalliierte Kriegsgefangenschaft geraten. Dagegen waren auf dem europäisch-afrikanischen Kriegsschauplatz bis zur Kapitulation rund 950.000 Deutsche und 490.000 Italiener in die Hände der Alliierten gefallen. Für das offenkundige Missverhältnis in den Gefangenenzahlen ist immer auch die rigide Politik Japans gegenüber seinen imperialen Kriegern verantwortlich. So verbot die Armee am 7. Januar 1941 ihren Angehörigen, in Gefangenschaft zu gehen: Nur der Tod könne sie vor dieser vermeintlichen Schande bewahren. (38 f.). 1942 postulierte dann das Militärstrafgesetzbuch die Strafverfolgung für Offiziere, die mit ihren Truppen kapitulierten. Diese Befehlslage kann mit erklären, warum etwa von rund 5.000 Japanern, die Ende 1943 die Insel Tarawa verteidigten, nur 17, und von 21.000 japanischen Soldaten und Seeleuten auf Iwo Jima nur etwas über 200 überlebten (48). Die unweigerliche Barbarisierung der Kriegführung, die sich beispielsweise durch faktische Selbstmordangriffe Eingekesselter manifestierte, fand in gewissem Umfang ihren Widerhall auf alliierter Seite: Amerikanische Soldaten und Kommandeure haben in diversen Situationen erst gar keinen Versuch gemacht, Gefangene einzubringen. Daneben darf aber nicht übersehen werden, dass hierfür mitunter auch rassistisch unterfütterte Feindbilder ihre Rolle spielten (54, 116 f.).

Vor diesem Hintergrund verdienen die japanischen Soldaten, die tatsächlich lebend in Gefangenschaft kamen, besonderes Interesse. Straus geht es hier einmal um die Beweggründe derer, die sich bewusst den strikten japanischen Normen entzogen und sich gegen den Tod entschieden. Andere hatten sich nach einer unfreiwilligen Gefangennahme an eine Situation zu gewöhnen, auf die sie völlig unvorbereitet waren. Für beide Gruppen bedeutete die Gefangenschaft zunächst eine vollständige Trennung von der Heimat: Niemand von ihnen mochte an eine von den Vorkriegswerten bestimmte Gesellschaft glauben, und in Japan selbst hielt man das Schicksal von Gefangenen auch vor den eigenen Angehörigen verborgen.

Es war diese psychologische Belastung, die Verhöroffizieren auf Dauer einen Hebel für ergiebige Befragungen von Gefangenen eröffnen konnte. Doch die Gewahrsamsmacht USA wiederum erkannte erst zögerlich den militärischen und politischen "Wert" von Gefangenen. Zudem waren nach Pearl Harbour erst noch die Grundlagen für angemessene Aktivitäten und Verhöre zu legen. Dass das entsprechende Personal häufig aus den Internierungslagern für japanisch-stämmige Amerikaner gewonnen wurde, verdeutlicht einmal mehr, wie schwierig deren Position war. Der tatsächliche Erfolg der "Arbeit mit Gefangenen" ist naturgemäß kaum messbar. Die informative und kompakte Darstellung von Straus betont die Bedeutung dieser detailliert geschilderten Operationen, doch bleibt er bei diesen Beispielen.

Straus umkreist diese beiden Schwerpunkte in elf Kapiteln. Das Schicksal des am 8. Dezember 1941 gefangen genommenen ersten japanischen Kriegsgefangenen führt ein in die allgemeinen Rahmenbedingungen, bevor Straus in zwei Kapiteln einen äußerst informativen Abriss über die Entwicklung der japanischen Politik gegenüber den Kriegsgefangenen liefert. Der Verfasser benennt die wesentlichen, ambivalenten Entwicklungen bis zum Zweiten Weltkrieg: Dem Dogma der Entehrung durch eine Gefangennahme stand die völkerrechtskonforme Behandlung ausländischer Gefangener im Russisch-Japanischen Krieg und die Unterzeichnung der Haager Landkriegsordnung von 1907 gegenüber. Die Genfer Konvention von 1929 dagegen wurde von Japan schon nicht mehr ratifiziert. Zugleich verlor die moralische Verdammung eigener Gefangener möglicherweise ihre abschreckende Wirkung auf die kämpfende Truppe: In den Gefechten gegen die Rote Armee im Jahre 1939 gerieten erstmals mehr Japaner in gegnerische Hände als umgekehrt. Vor diesem Hintergrund trugen die von Straus nachgezeichnete nationalistische Verengung und Instrumentalisierung althergebrachter Moralvorstellungen wie auch militärische Erwägungen zum Erlass der bereits erwähnten Strafvorschriften in der kaiserlichen Armee bei. Die Auswirkungen auf Gedankenwelt und Selbstzweifel japanischer Soldaten und Kriegsgefangener beschreibt Straus eindrucksvoll anhand zahlreicher biografischer Skizzen. Diese werden in einem weiteren Kapitel um Eindrücke aus der Gefangenschaft einiger besonders bedeutender Gefangener ergänzt: Es fällt auf, dass bis August 1945 nur wenige hochrangige japanische Soldaten in amerikanische Gefangenschaft gerieten. In deren Fall war Japan im Übrigen nicht abgeneigt, ganz pragmatischen Kadererwägungen zu folgen: So gelangte im einzigen Gefangenenaustausch des Krieges 1944 Vizeadmiral und Stabschef Fukudome nach Japan zurück, ohne dass das dort gravierende persönliche Nachteile für ihn hatte.

Nach einer detaillierten Vorstellung der amerikanischen Versuche zur "Abschöpfung" ihrer Gefangenen widmet Straus zwei Kapitel dem Alltagsleben hinter Stacheldraht. Die im Vergleich zur japanischen - oder zuweilen auch deutschen - Gewahrsamsmacht guten Lebensbedingungen in den Lagern haben sicherlich dazu beigetragen, dass ein Teil der Gefangenen sich zur aktiven Kollaboration mit den Amerikanern entschloss. Ihnen stand eine Gruppe unversöhnlicher Gegner der USA gegenüber, deren Hass sich in vereinzelten Lageraufständen entlud. Derartige Ereignisse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich - analog zu anderen Lagergesellschaften des Zweiten Weltkriegs - die Mehrheit der Gefangenen vor allem darum sorgte, nach keiner Richtung hin aufzufallen.

Die Repatriierung der Gefangenen gelang schließlich reibungslos - entgegen vielfältiger Befürchtungen. Dabei half, dass durch die vom Kaiser abgesegnete japanische Kapitulation die Kriegsgefangenschaft ihren Sonderstatus weitgehend verloren hatte. Familien, Kollegen und Freunde, die auf Grund offizieller Desinformation im und auch nach dem Krieg schon Todeszeremonien für die vermeintlich Gefallenen abgehalten hatten, verstießen die Heimkehrer keineswegs. Meist konnten sich diese in die neue Gesellschaft integrieren. Dabei blieb die Gefangenschaft indes ein wichtiger und nicht immer unproblematischer Aspekt der persönlichen Vergangenheit und ihrer Bewältigung.

Die einfühlsame Darstellung von Straus greift in ihrer Gesamtheit ein besonderes Schicksal auf; es vervollständigt unser Bild vom pazifischen Kriegsschauplatz und seiner Gefangenen. Ihm ist eine beeindruckende Darstellung gelungen, die vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen und Stimmungen auch individuelle Erfahrungen nachvollzieht. Das Leben hinter Stacheldraht gewinnt somit neue Plastizität. Auch in ihrer Fokussierung auf die frühen, mit entscheidenden Momente einer Gefangenschaft sollte die Monografie zugleich als Anreiz zu ähnlichen Untersuchungsansätzen auf anderen Kriegsschauplätzen verstanden werden.


Anmerkung:

[1] Vgl. zuletzt Bob Moore; Barbara Hately-Broad (Hg.), Prisoners of War, Prisoners of Peace. Captivity, Homecoming and Memory in World War II, Oxford 2005; Yoshikuni Igarashi, Bodies of memory: narratives of war in post-war Japanese culture, 1945-1970, Princeton 2000.

Andreas Hilger