Filippo Focardi: La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Bari / Roma: Editori Laterza 2005, 372 S., ISBN 978-88-420-7609-4, EUR 20,00
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Mit "La guerra della memoria" - der Krieg der Erinnerung - hat Filippo Focardi eine ebenso intelligente wie überfällige Synthese der Debatten um die Vergangenheitspolitik in Italien vorgelegt. Indem er zum einen die Entstehung der kollektiven Erinnerung an die Resistenza rekonstruiert und zum anderen die Wirkungsmacht dieses Gründungsmythos für die italienische Nachkriegszeit analysiert, verdeutlicht er die bis heute fortwirkende politische Brisanz der verschiedenen Interpretationen des italienischen Widerstands gegen Faschismus und Okkupation zwischen 1943 und 1945, und zwar sowohl für die Politik als auch für die Historiografie.
Im ersten Kapitel beschreibt Focardi die Ursprünge der antifaschistischen Interpretation des Kriegs noch während der deutschen Besatzung des Landes und in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Aus dem "Universum der zersplitterten Erinnerung" (4) Einzelner an den Krieg entwickelte sich angesichts der Deutungshoheit der siegreichen antifaschistischen Kräfte bald die Interpretation der 20 Monate währenden Phase vom 8. September 1943 bis zum April 1945 als ein "zweites Risorgimento" (7) beziehungsweise als ein "nationaler Befreiungskrieg" (7). Dabei kam der Konstruktion des Antagonismus cattivo tedesco (böser Deutscher) versus bravo italiano (guter Italiener) eine entscheidende Funktion zu. Die Italiener waren im Sinne dieser Erzählung sowohl Opfer von Mussolinis Diktatur als auch seiner Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland; durch den vom ganzen Volk getragenen Befreiungskrieg der Resistenza hätten sie sich selbst von jeglicher Schuld befreit.
Eine erste Krise erfuhr diese "hegemoniale Erzählung" in den vom wachsenden Antikommunismus geprägten Jahren von 1948 bis 1953. Im zweiten Kapitel analysiert Focardi unter Berücksichtigung der verschiedenen Brüche innerhalb des antifaschistischen Bündnisses den nunmehr unterschiedlichen Gebrauch der Kriegserinnerung. Während insbesondere die kommunistische Linke zunehmend eine nur "halbe Revolution" (24) beklagte, wurde die Resistenza aufseiten der Christdemokraten unter Betonung des "Kampfes für Unabhängigkeit und Freiheit" (26) mit Beginn des Kalten Krieges auch gegen die ehemaligen kommunistischen Verbündeten instrumentalisiert. Weitere Rückschläge erlitt der Resistenza-Mythos in dieser Phase auch durch Rufe nach nationaler Einheit und Versöhnung von Seiten der Neofaschisten. Sahen diese doch weiterhin in den Aktionen der Resistenza einen "brudermörderischen Krieg" (19) und pochten auf die vermeintlich patriotische Funktion der Republik von Salò. Nur durch das "Opfer" Mussolinis habe Schlimmeres verhindert, habe die Zerstörungswut der Deutschen abgemildert werden können. Darüber hinaus wurde die legitimatorische Funktion der Erinnerung an den Widerstand der Besatzungszeit durch die Kriminalisierung der Resistenza in Untersuchungsverfahren und Prozessen gegen Partisanen unterminiert.
Im dritten Kapitel erklärt Focardi die allmähliche Rückbesinnung auf die Resistenza als Mittel der politischen Mobilisierung in den Jahren zwischen 1953 und 1960 mit der Wahlniederlage der Democrazia Cristiana (DC) im Juni 1953. Darüber hinaus beförderte die Wahl Giovanni Gronchis im Frühjahr 1955 den von der DC ausgehenden Wandel in der Erinnerungskultur hin zu einem Resistenza-Mythos als gemeinsamem Referenzpunkt aller demokratischen Kräfte.
Nachdem sich dieser Gründungsmythos der italienischen Republik Mitte der 1960er-Jahre endgültig etabliert hatte, wurde die Erinnerung an den Krieg - wie Focardi im vierten Kapitel darlegt - in der Phase von 1960 bis 1978 (erneut) von unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. So betonte die Studentenbewegung unter dem Diktum der "unterbrochenen Revolution" (47) die Klassengebundenheit des italienischen Widerstands. Im Kontext des Linksterrorismus (1969-1973) erstarkte dagegen die Idee eines aus der Resistenza geborenen "militanten Antifaschismus" (48). Doch letztendlich beförderte die Herausforderung durch den Terrorismus der Linken wie der Rechten die Konsolidierung des antifaschistischen Paradigmas in der Bevölkerung. Eine Politik der "nationalen Solidarität" (53) einte erstmals seit 1947 italienische Kommunisten und Katholiken in der Verteidigung der bedrohten Demokratie.
Das fünfte Kapitel widmet Focardi den unterschiedlichen Herausforderungen der öffentlichen Erinnerung an den Widerstand von den Jahren der Ära Craxi bis in die Gegenwart. Während der Resistenza-Mythos nach dem Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems Anfang der Neunzigerjahre zunächst seinen Einfluss auf die gesellschaftspolitischen Diskussionen einzubüßen schien, gelangte er als gemeinsamer Referenzpunkt der Opposition gegen die regierende Mitte-Rechts-Koalition von Silvio Berlusconi zu neuer Bedeutung. Während vonseiten der Rechten der Druck in Richtung einer "nationalen Versöhnung" wächst und die Begründung eines "neuen Patriotismus" jenseits des Antagonismus Faschismus/Antifaschismus für notwendig erachtet wird, sind aufseiten der Linken zweierlei Entwicklungen erkennbar: Zum einen lässt sich ein wiedererstarkendes Interesse an deutschen Kriegsverbrechen in Italien beobachten, wodurch indirekt die ehemals konstitutiven Elemente der antifaschistischen Erzählung, welche die Italiener als Opfer des so genannten Nazifaschismus und als "Volk vereint im Kampf gegen den Tyrannen" (87) sieht, reaktiviert werden. Dies impliziert eine erneute Verdrängung italienischer Schuld und Verantwortung und führt zu einer weiteren Bekräftigung des Topos italiani brava gente. Zum anderen markieren die 1990er-Jahre gleichzeitig aber auch ein Erwachen des kritischen Bewusstseins der antifaschistischen Kultur für verdrängte, wenig rühmliche Aspekte der italienischen Geschichte, wie beispielsweise den Giftgaseinsatz im aggressiven Eroberungskrieg gegen Abessinien 1935/1936, die intensive Verfolgung der italienischen Juden ab 1938 und die in Jugoslawien und Griechenland begangenen Kriegsverbrechen des italienischen Militärs.
Abschließend untersucht Focardi im sechsten Kapitel die zentrale Rolle des italienischen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi bei der Wiederbegründung der Erinnerung an die Resistenza durch eine strikt patriotische Interpretation des Widerstands, wofür er viel Zustimmung in der öffentlichen Meinung Italiens findet.
Ein umfangreicher und sehr nützlicher Dokumentenanhang rundet die gelungene Studie ab, allerdings würden Hinweise im Text die sinnvolle Nutzung der Dokumente erleichtern und damit teilweise auch zu einem besseren Verständnis der Argumentation beitragen.
Insgesamt hat Focardi mit "La guerra della memoria" die Geschichte der Erinnerung an die Resistenza auf spannende Weise mit der Nachkriegsgeschichte Italiens und der politischen Kultur des Landes verwoben. Dass er dabei neben partei- und gesellschaftspolitischen Diskussionen auch immer wieder auf historiografische Debatten Bezug nimmt, erhöht vor allem für Fachkollegen den Wert der Arbeit. Nicht zuletzt deswegen wäre der Arbeit eine deutsche Übersetzung zu wünschen.
Frauke Wildvang