Peter Rauscher: Zwischen Ständen und Gläubigern. Die kaiserlichen Finanzen unter Ferdinand I. und Maximilian II. (1556-1576) (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 41), München: Oldenbourg 2004, 480 S., ISBN 978-3-486-57598-9, EUR 49,80
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Friedrich Edelmayer / Maximilian Lanzinner / Peter Rauscher (Hgg.): Finanzen und Herrschaft. Materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2003
Peter Rauscher / Andrea Serles (Hgg.): Wiegen - Zählen - Registrieren. Handelsgeschichtliche Massenquellen und die Erforschung mitteleuropäischer Märkte (13.-18. Jahrhundert), Innsbruck: StudienVerlag 2015
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Vor über einhundert Jahren beklagte Franz Freiherr von Mensi hinsichtlich finanzgeschichtlicher Forschungen, dass "auf diesem Gebiet im Ganzen noch sehr wenig geschehen sei." Als Gründe führte er "die erdrückende Masse des einschlägigen Quellenmaterials und die Sprödigkeit des zu bearbeitenden Stoffes" an. An diesem Befund hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten wenig geändert, obwohl inzwischen einige grundlegende finanzgeschichtliche Arbeiten erschienen sind. Trotzdem hält diese Teildisziplin der Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte keinem Vergleich mit dem Ausstoß an Büchern und Aufsätzen der anderen Sparten des Faches stand, wenngleich mit Hilfe der Finanzgeschichte zentrale Fragen und Probleme, die gegenwärtig übergreifend diskutiert werden (Kulturgeschichte der Kaiser- und Fürstenhöfe, Ständeforschung), umfassend erörtert und erläutert werden können. Besonders beklagenswert war es, dass es keine tief schürfende, zusammenfassende und problemorientierte Studie zu den kaiserlichen Finanzen unter Ferdinand I. und Maximilian II. gab. Peter Rauscher hat diese Lücke mit einer herausragenden Arbeit geschlossen. Es ist ihm sehr überzeugend gelungen, drei strukturell völlig unterschiedliche Etats für die Jahre von 1556 bis 1576 zusammenzuführen. Im Zentrum der Untersuchung stehen (1.) die Erträge aus dem Kammergut der österreichischen Länder, Kameraleinkommen der böhmischen Länder und aus dem Königreich Ungarn, (2.) Steuern aus den österreichischen Ländern, Böhmen (einschließlich der Nebenländer) und Ungarn sowie (3.) die Reichssteuern. Neben den Einnahmen werden aber auch die Ausgaben für den Kaiserhof und die Türkenkriege analysiert.
Im ersten Kapitel führt der Autor zu seinem Thema hin. Er setzt sich eingehend mit Forschungstendenzen zur Geschichte von Kaiser, Reich und den habsburgischen Territorien im 16. Jahrhundert sowie mit generellen Problemen der frühneuzeitlichen Finanzgeschichte auseinander, erörtert die Quellenlage und diskutiert verschiedene theoretische Modelle und einschlägige methodische Zugriffe. Ausdrücklich weist Peter Rauscher darauf hin, dass er seine Arbeit als einen Beitrag zur Analyse der Strukturbedingungen kaiserlicher Herrschaft in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verstanden wissen möchte. Ihm geht es weniger um das Problem der Staatsbildung bzw. um den Staatsbildungsprozess, was - zumindest nach den wirkmächtigen Modellen von Otto Hintze und Gerhard Oestreich - eng mit den landesherrlichen und ständischen Finanzen verflochten ist. Ungeachtet dessen liefert Rauscher genügend empirische Befunde, um die Diskussionen über das Imperium Romanum als "Teutschen Reichs-Staat" neu zu entfachen. Aber auch für die vergleichende Ständegeschichte bietet das Buch qualitativ neues Material und enthält wichtige Beobachtungen, die zu einem abermaligen Überdenken vorgefasster Ansichten und Lehrmeinungen führen sollten.
Im zweiten Kapitel werden der habsburgische Herrschaftsraum und die Grundlagen kaiserlicher Finanzpolitik im Kontext territorialpolitischer Spezifika beschrieben. Konkret geht es beispielsweise um die räumlich-politische Gliederung der österreichischen Erblande, das Verhältnis zu den einzelnen Landständen, die Kosten für die Türkenabwehr in Ungarn, die schleppende Entfaltung des Steuerwesens im Reich zwischen Gemeinem Pfennig (1495) und den Reichstürkenhilfen oder um die kaiserliche Münzpolitik in den Jahren von 1556 bis 1576.
Die Kapitel drei bis neun bilden den eigentlichen Kern der Arbeit. So erläutert der Autor nicht nur die kaiserliche Finanzverwaltung eingehend, sondern er analysiert auch die Verzahnung zwischen den zentralen, regionalen und lokalen Kassen und Behörden und streicht nachdrücklich die herausragende Stellung der Hofkammer im politischen System der Habsburger heraus, wobei für die sozialgeschichtliche Forschung die zusammengestellten Personallisten der Hofkammerräte und Hofkammersekretäre für die Jahre von 1527/30 bis 1576 von besonderer Bedeutung sind. Wie in der gesamten Arbeit ist auch bezüglich der Finanzverwaltungsgeschichte die vergleichende Perspektive von ausschlaggebendem Interesse, denn die Wiener Zentrale musste bei ihren Standardisierungsversuchen immer die historischen Entwicklungen in Ungarn, Böhmen und den Nebenländern beachten. Rauscher zeigt eindrucksvoll, dass eine tief schürfende Verwaltungsgeschichte stets Herrschafts- und Sozialgeschichte ist, die eigentlich immer in die Zentren der Macht hineinstößt.
Eine solide finanzgeschichtliche Darstellung steht und fällt mit dem Zahlen- und Tabellenwerk. Es ist an dieser Stelle unmöglich, über die aus den Quellen erarbeiteten und zusammengetragenen Daten, Befunde, Zusammenhänge und Ergebnisse zu referieren. Diesbezüglich liefert das Buch grundlegend Neues, was sowohl für die Erforschung des habsburgischen Territorialkomplexes en détail als auch für überregionale Vergleiche von Bedeutung ist. Die finanziellen Verhältnisse im Kammergut (Kapitel vier) wurden auf Grundlage der österreichischen Länderteilung nach 1564 rekonstruiert. Demnach betrugen die potentiellen Einkünfte aus Nieder-. Ober- und Innerösterreich knapp 1,1 Millionen fl.; allerdings waren von jenen Erträgen circa 20% verpfändet. Ungeachtet dessen stellen jene 887 000 fl., die allein aus Österreich kamen, einen europäischen Spitzenwert dar. Aufschlussreich ist ebenfalls das Volumen der Schulden, die beim Tode Ferdinands I. auf dem Kammergut lagen: über zwölf Millionen Gulden! Dieser Schuldenberg symbolisiert weniger eine unzulängliche Haushalts- und Finanzpolitik; vielmehr dokumentiert er die unmittelbare Kreditfähigkeit des Kaisers, die mittelbare Leistungskraft von "Land und Leuten" sowie letztendlich auch die Effizienz der kaiserlichen Finanzverwaltung.
Ein eigenes Kapitel nimmt sich der Finanzierung des Kaiserhofes an, wo in den sechziger und siebziger Jahren circa 700 bis 800 Personen besoldet wurden. Insgesamt beliefen sich die Kosten für den Hof des Kaisers auf rund 650 000 fl., was ebenfalls einem europäischen Spitzenwert entsprach. Infolge des Umzuges des kaiserlichen Hofes nach Prag (1583) mussten die Länder der Böhmischen Krone für die Unterhaltung aufkommen, was die finanzielle Leistungskraft Böhmens und der Nebenländer herausstreicht. Neben den Ausgaben für die Hofhaltung waren die Aufwendungen für das Militär exorbitant. Die kalkulierten Besoldungskosten wurden für das Heer an der Türkengrenze in den siebziger Jahren mit circa 1,4 Millionen fl. pro Jahr angegeben, so dass allein des Kaisers Heer und Hof jährlich über zwei Millionen Gulden verschlungen haben. Freilich ist zu bedenken, dass die auf den Reichstagen bewilligten Türkensteuern nur teilweise und zögerlich einliefen: Allerdings gelang Peter Rauscher der Nachweis, dass circa zwei Drittel bis drei Viertel der prognostizierten Reichssteuern eingezahlt worden sind. Zwischen 1566 und 1571 konnte der Kaiser mit einem jährlichen Steuerertrag von circa 300 000 bis 350 000 fl. aus dem Reich rechnen. Doch reichte dies bei weitem nicht aus, um die Südostgrenze wirksam schützen zu können.
In den größeren europäischen Staaten des 16. Jahrhunderts haben die Stände stets geholfen, die Liquidität ihrer Herrscher zu sichern - ebenso bei Ferdinand I. und Maximilian II. Allerdings brachten es die räumlich-politische Gliederung und das komplexe politische System der österreichischen Habsburger mit sich, dass die Landstände in den einzelnen Territorien höchst unterschiedlich auf die finanziellen Begehren ihrer Landesherren eingingen. Es galt stets, die Steuerkraft des jeweiligen Territoriums, die Bevölkerungszahl sowie landständische Entwicklungen und Traditionen zu berücksichtigen. Nach vorsichtigen Schätzungen kam in den einzelnen Ländern der Habsburger weit über eine Million Gulden an Steuergeldern jährlich ein. Ohne im Detail auf die Steuersätze, Modalitäten der Erhebung, Steuerarten, Währungsverhältnisse, Einnahmeschwankungen sowie auf die Quellenproblematik und auf das schwierige Verhältnis von Brutto- und Nettoeinnahmen eingehen zu können, sei darauf verwiesen, dass das Königreich Böhmen abermals fiskalisch am stärksten war (200 000 bis 350 000 fl. Steuern pro Jahr); es folgen Schlesien (140 000 bis 200 000 fl.), Ungarn (weit über 100 000 fl.), Steiermark (150 000 fl.), Österreich unter der Enns (145 000 fl.), Tirol (120 000 fl.), Mähren (50 000 bis 135 000 fl.), Kärnten (60 000 fl.), Österreich ob der Enns (55 000 fl.), Krain (50 000 fl.), die Lausitzen (40 000 bis 50 000 fl.) sowie Vorarlberg, Schwäbisch-Österreich und Vorderösterreich (zusammen zwischen 25 000 und 35 000 fl.). Obgleich diese Steuergelder dem Kaiser nicht zur freien Verfügung standen (ein nicht geringer Teil unterstand einer Zweckbestimmung, welche die Stände kontrollierten), so dokumentieren diese Daten eindrucksvoll, wie die fiskalische Gewichtung verteilt war.
Ein umfangreicher Abschnitt über die Reichssteuern und die finanzpolitischen Beziehungen zur spanischen Krone, Ausführungen über das Kreditwesen mit einer Vielzahl von bemerkenswerten Verbindungen zu den oberdeutschen Bankhäusern sowie zu vielen namhaften Reichsfürsten, die sich über Kredite (und Pfandschaften) vor allem in den Lausitzen, Schlesien und Böhmen territorialpolitische Vorteile erhofften, eine komprimierte Zusammenfassung, in der besonders zukünftige Forschungen diskutiert werden, ein umfassender Tabellenanhang, Quellen- und Literaturverzeichnisse sowie ein mit Sorgfalt angefertigtes Personen- und Ortsregister beschließen dieses sehr beeindruckende Werk.
Uwe Schirmer