Rezension über:

Jeremy Rifkin: The European Dream. How Europe's Vision of the Future Is Quietly Eclipsing the American Dream, Cambridge: polity 2004, XIII + 434 S., ISBN 978-0-7456-3425-8, GBP 50,00
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Rezension von:
Thomas Raithel
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Raithel: Rezension von: Jeremy Rifkin: The European Dream. How Europe's Vision of the Future Is Quietly Eclipsing the American Dream, Cambridge: polity 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/01/7604.html


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Jeremy Rifkin: The European Dream

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Jeremy Rifkin ist einer der weltweit meistgelesenen Publizisten. Der US-amerikanische Trend- und Zukunftsforscher hat bislang 17 Bücher zum technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel der Gegenwart verfasst, darunter eine Reihe von Bestsellern wie Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft (1995) oder Die H2-Revolution (2002). Werke von Rifkin wurden bislang in über 20 Sprachen übersetzt. Parallel zu seiner publizistischen Tätigkeit ist der ehemalige Aktivist der amerikanischen Bürgerrechts- und Friedensbewegung ein viel gefragter und hoch dotierter Vortragsredner sowie Wirtschafts- und Politikberater - insbesondere in Europa, wo er zeitweise für den EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi tätig war.

Auch das hier vorzustellende Buch hat bereits weite Beachtung gefunden. Nahezu zeitgleich mit der englischsprachigen Ausgabe erschien eine deutsche Übersetzung (Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht, Frankfurt - New York 2004). Französische und italienische Ausgaben liegen ebenfalls bereits vor. Im September 2005 wurde Rifkin für den Europäischen Traum mit dem Sonderpreis in der Kategorie Wirtschaft ausgezeichnet, der im Rahmen des neu geschaffenen, unter der Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten stehenden Corine Internationalen Buchpreises vergeben wird.

Der englischsprachige Untertitel deutet auf die zentrale These des Buches: Während der "amerikanische Traum" angesichts wachsender sozialer und ökonomischer Strukturprobleme in den Vereinigten Staaten und angesichts weltweit schwindender Ressourcen allmählich an seine Grenzen stoße und an Kraft verliere, entwickle sich mit dem "europäischen Traum" eine neue Vision, die das Potenzial der Universalisierung in sich trage. Die Metapher vom "amerikanischen Traum" wird dabei in einem weit gefassten Sinne verwendet: als Streben nach wirtschaftlichem Wachstum, nach Wohlstand und Unabhängigkeit, verwurzelt in einem assimilatorischen Patriotismus und in traditioneller Religiosität, verbunden mit Optimismus, Tatkraft und der Neigung zum Einsatz militärischer Mittel. Mit der Wendung vom "europäischen Traum" meint der Autor zum einen die Hoffnung auf den Prozess der europäischen Integration; zum anderen verwendet er sie aber als Antithese. Der "europäische Traum", so Rifkin, ziele auf nachhaltige Entwicklung, Lebensqualität und Interdependenz, er sei säkular, multikulturell und kosmopolitisch, eher auf Diplomatie und Konfliktprävention ausgerichtet denn auf militärische Einsätze. Rifkin gibt mit dieser transatlantischen Gegenüberstellung und mit seiner Vision von einer "neuen", von den Werten des "europäischen Traums" bestimmten historischen Epoche auch eine dialektische Antwort auf zwei andere US-amerikanische Bestseller: auf Francis Fukuyamas Buch Das Ende der Geschichte (1992), das mit dem vermeintlichen Sieg der liberalen, marktwirtschaftlichen Demokratie erreicht sei, und auf Robert Kagans europakritische Schrift Macht und Ohnmacht (2003).

The European Dream ist nicht nur politisch von Interesse, sondern auch weil Rifkin den Versuch einer breit angelegten historischen Analyse unternimmt. Dieser Ansatz spiegelt sich bereits im Aufbau des Buches. In einem kürzeren ersten Teil ("New Lessons from the Old world") werden einerseits der vermeintliche "slow death" des amerikanischen Traums und andererseits der gegenwärtige Wiederaufschwung der europäischen Wirtschaft thematisiert. Der etwas längere zweite Teil ("The Making of the Modern Age") bietet einen kontrastiven Abriss über die Ausbildung moderner Wirtschafts- und Lebensformen in Europa und Amerika seit dem späten Mittelalter. Rifkin reflektiert hier insbesondere die komplexen historischen Erfahrungen Europas, die es seiner Ansicht nach besonders geeignet machen für die Entwicklungen neuer universeller Werte jenseits der totalitären und zerstörerischen Kräfte der Moderne und jenseits eines postmodernen Relativismus. Im umfangreichen dritten Teil ("The Coming Global Era") werden dann wesentliche Herausforderungen der globalen Welt des 21. Jahrhunderts behandelt, wobei Europa im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten immer wieder die Rolle eines Hoffnungsträgers zukommt. Rifkin behandelt hier beispielsweise die Entstehung eines weltweit vernetzten Wirtschaftssystems, den - für andere Regionen der Erde beispielhaften - Aufbau eines transnationalen politischen Gebildes in Form der Europäischen Union oder die Notwendigkeit einer dem internationalen Recht verpflichteten multilateralen Außen- und Friedenspolitik. Zwar werden auch die Schwächen und Probleme Europas wahrgenommen, dennoch überwiegt ein grundsätzlicher eurozentrierter Optimismus - den Rifkin wohl ganz bewusst als Amerikaner vermitteln will. "My biggest concern", so heißt es im Schlusskapitel, "having spent nearly twenty years of my life working in both Europe and America, is whether Europeans' sense of hope is sufficient to the task of sustaining a new vision for the future. Dreams require optimism, a sense that one's hopes can be fulfilled." (384)

Rifkin trägt seine Thesen in einem eindringlichen und teilweise suggestiven Stil vor. Häufige Wiederholungen gehören hierzu ebenso wie apodiktische Setzungen, schroffe Gegenüberstellungen oder die Neigung zur Aneinanderreihung kurzer Hauptsätze. Obwohl vielfach die Tonlage eines missionarischen Predigers dominiert, hat der Autor durchaus auch einen wissenschaftlichen Anspruch, wie nicht zuletzt ein Anmerkungsapparat und ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegen.

So anregend viele Gedanken Rifkins sind, so verdienstvoll es auch ist, den Blick auf europäische Stärken zu richten und gleichzeitig dem amerikanischen und europäischen Publikum eine gut lesbare Einführung in die Grundlagen der neuzeitlichen Zivilisationsgeschichte zu geben, so problematisch erscheinen die oftmals holzschnittartigen Vereinfachungen. Fehler und Verzerrungen en detail - etwa wenn das Heilige Römische Reich bis ins 8. Jahrhundert vordatiert wird (198) - sind damit ebenso gemeint wie die zumeist pauschale Verwendung der Begriffe "Europa" und "Amerika" bzw. "die Europäer" und "die Amerikaner" sowie die vorherrschende Neigung zu einer amerikanisch-europäischen Schwarz-Weiß-Malerei. Vielleicht wäre es produktiver gewesen, wenn der Autor stattdessen den im Schlusskapitel angedeuteten Gedanken einer notwendigen Synthese "amerikanischer" und "europäischer" Wertvorstellungen auch schon vorher stärker berücksichtigt und die vielfachen Erscheinungen des wechselseitigen Kulturtransfers stärker beleuchtet hätte.

Fragwürdig erscheint auch der plakative Schlüsselbegriff vom "europäischen Traum", denn im Gegensatz zum amerikanischen Pendant handelt es sich bislang allenfalls um ein politisches Ziel und weniger um ein Vehikel populärer Werte im oben beschriebenen Sinne. Letztlich ist Rifkins "europäischer Traum" daher eher die Projektion eines kritischen amerikanischen Intellektuellen, der während der Amtszeit des Präsidenten George W. Bush das Vertrauen in die moralischen Grundlagen der Vereinigten Staaten verloren hat.

Thomas Raithel