Adelheid von Saldern (Hg.): Inszenierter Stolz. Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften (1935-1975) (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung; Bd. 2), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 498 S., 30 Abb., ISBN 978-3-515-08300-3, EUR 80,00
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Nicht nur Rom ist auf sieben Hügeln erbaut, nein, auch Lüdenscheid. Während die "urbs aeterna" allerdings um ihr Image als geschichtsträchtige Metropole nie bangen musste, stellte sich die Situation für die märkische Stadt ganz anders dar. Lüdenscheid musste nicht nur den Vergleich zur italienischen Hauptstadt scheuen. "Lüdenscheid ist kein Paris", mussten die Autoren des Festbuches zur 700-Jahr-Feier zusätzlich einräumen. "Die Volme, die sich jenseits der Stadtgrenze durch das Tal windet [...] gleicht in nichts der Seine. Und obwohl an Hügeln kein Mangel ist, fehlt auch ein Montmartre". Im Gegensatz zu den mondänen Metropolen war und ist Lüdenscheid eine "brave deutsche Mittelstadt". Damit zählt sie zu den "German hometowns", die seit der 1971 erschienenen Studie des amerikanischen Historikers Mack Walker fast sprichwörtlich geworden sind, dennoch aber über den engen Rahmen der heimatkundlichen Literatur hinaus kaum das Interesse der stadthistorischen Forschung gefunden haben.
Dieser Band macht sich daran, diesen Zustand zu ändern, widmet er seine Aufmerksamkeit doch den Städten jenseits der Metropolen. Dabei analysieren die Beiträge des Bandes die städtischen Öffentlichkeiten genau in den Momenten, wo die sie tragenden kollektiven Ordnungsvorstellungen und -praktiken in besonderer Weise zur Geltung kamen - immer dann nämlich, wenn sich das Gemeinwesen herausputzte, um zu feiern und gemeinsame Bande nach innen und außen zu demonstrieren. Auch für das märkische Lüdenscheid war eine solche Feier der Anlass dafür, sich mit den westeuropäischen Kulturmetropolen zu messen. Sein eigenes Selbstverständnis fand man nach Ansicht der Lokalpresse darin, ein zeitgemäßes Wesen mit Zukunftsorientierung zu sein, das sich in dem "Auf und Ab der Geschichte [...] strebend müht, Schritt zu halten mit der Vergangenheit und den Dingen in dieser Welt die rechte Ordnung zu geben" (299).
Die 700-Jahr-Feier Lüdenscheids ist nur ein Beispiel dafür, wie die Autorinnen und Autoren des Bandes "Ereignisforschung als Sondenforschung" (17) betreiben. Da Sonden in der Regel nur sehr dünne Geräte sind, können sie zwar "keine breit angelegte Alltags- und Erfahrungsanalysen [...] ersetzen, [bieten] dafür aber die Möglichkeit [...], von Oberflächenphänomenen relativ schnell wegzukommen und punktuell in Tiefenbereiche der Gesellschaft vorzudringen" (17). Dieses von Adelheid von Saldern in ihrem methodischen Beitrag erläuterte Verfahren geht voll auf. Das wird nicht nur durch die Qualität der Beiträge erreicht, sondern auch durch die geschickte Komposition des Bandes insgesamt.
Die elf Artikel sind in fünf Sektionen gegliedert: Die zwei einführenden Beiträge von Adelheid von Saldern haben weitaus mehr Funktion als die gelegentlich zu beobachtende Praxis, die folgenden Beiträge vorzustellen und durch ein im besten Fall nicht nur institutionelles, sondern auch inhaltliches und methodisches Band miteinander zu verknüpfen. Zunächst entwickelt von Saldern in ihrem modisch betitelten Beitrag "Symbolische Stadtpolitik - Stadtpolitik der Symbole" das Konzept des Bandes und bettet das Vorhaben breit in bisherige Forschungsanstrengungen und -ergebnisse ein. In der zweiten Sektion werden mit der 700-Jahr-Feier Geras im Jahr 1937 (Alice von Plato), dem Reichsbachfest in Leipzig im Jahr 1935 (Elfie Rembold) und den Rostocker Kulturwochen 1934-1939 (Lu Seegers) Beispiele für die Repräsentation städtischer (Volks-)Gemeinschaften im Nationalsozialismus analysiert. Zwei der Autorinnen, Lu Seegers und Elfie Rembold, nehmen dann in einer dritten Sektion mit Zwickau und Guben Beispiele auf, an denen sich städtische Selbstdarstellung explizit vergleichend im Nationalsozialismus und in der DDR thematisieren lässt. Sektion 4 vereint dann Studien zum bundesdeutschen Stadtgedächtnis und seiner Aktualisierung: Uta C. Schmidt untersucht das bereits genannte Spektakel in Lüdenscheid, Thomas Siemon die 100-Jahrfeier von Wilhelmshaven 1969. Der Beitrag von Lu Seegers über den hannoverschen U-Bahn-Bau und seine jeweilige Inszenierung im Event nimmt die Jahre 1965 bis 1975 in den Blick und spinnt damit den Faden weiter bis in die zweite Moderne. Abschließend unternimmt Adelheid von Saldern das, was in vielen Sammelbänden nicht geleistet wird: Sie zieht Schlüsse aus dem Vergleich der Stadtrepräsentationen in drei deutschen Gesellschaften, indem sie die Einzelbefunde mit Blick auf die Akteure, die Festgestaltung, aber auch von Formen von Partizipation oder den jeweils aufscheinenden Heimatbegriff zusammenbindet.
Dem eiligen Leser sei zunächst empfohlen, sein Zeitbudget etwas zu erweitern, entginge ihm/ihr doch bei allzu flüchtiger Lektüre so mancher gewinnbringende Aufsatz. Falls das nicht möglich ist, macht es Sinn, Einleitung und Resümee der Herausgeberin zum Leitfaden der Lektüre zu nehmen. Hier werden Thesen zugespitzt, die in den Beiträgen empirisch belegt und erarbeitet wurden: Was wird konkret an Wissen produziert? Die Stadt und ihre Selbstdarstellung waren auf das Engste eingebunden in das jeweilige politische System. Die zentral vorgegebenen Spielregeln wurden nicht verletzt, die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel: Als die Geraer Stadtverwaltung unter dem nationalsozialistischen Oberbürgermeister Bilder von Otto Dix ausstellte und damit den lokalen Stolz auf den "Sohn der Stadt" über den politischen Bann stellte, den die NS-Kulturpolitik über den Künstler ausgesprochen hatte, wurde dieser Regelverstoß energisch geahndet.
Die systemübergreifend bestehenden Konkurrenzen zwischen Nachbarstädten waren zwar ein Dauerbrenner vieler Stadtfeste, sie entwickelten aber keine Zentrifugalkräfte, die den Herrschaftszugriff der Diktatur eingeschränkt hätten. Für die DDR lässt sich gar ein gegenteiliger Effekt zeigen: Die Städtekonkurrenz orientierte sich an den zentralstaatlich vorgegebenen Linien: Eine höhere Platzierung im 'Feld der Städte' ließ darauf hoffen, dass sich durch höhere planwirtschaftliche Zuteilungen die Konsummöglichkeiten ihrer Bewohner steigern ließen. Und noch in einer zweiten, übertragenen Hinsicht waren die DDR-Städte mit dem übergeordneten Staatswesen eng verbunden. Wo die Neustädte der Sechziger- und Siebzigerjahre noch als zu Stein gewordene sozialistische Fortschrittsprojektionen konzipiert waren, symbolisierten mehr und mehr zerfallende altstädtische Kerne so mancher Stadt nicht nur den maroden Zustand des Staates. Dem Protest dagegen entsprang auch ein kleiner Teil der Oppositionsbewegung, die die friedliche Revolution 1989 trug.
Partizipation vonseiten der Bevölkerung wurde in beiden Diktaturen in Deutschland wie auch in der Bundesrepublik immer wieder eingefordert, in Letzterer allerdings etwas weniger penetrant. Dennoch konnten Bewegungen oder Initiativen von unten den Stadtfesten in der Regel keine prägenden eigenen Akzente geben. Auch in der prinzipiell "offenen Gesellschaft" der frühen Bundesrepublik war Beteiligung zwar erwünscht, aber auch hier sollte sich diese vollständig in die inhaltlichen und organisatorischen Vorgaben der Veranstalter einfügen (417). Am Beispiel des U-Bahnbaus und der damit verbundenen Feiern und Selbstrepräsentationen in Hannover kann Lu Seegers zeigen, wie sich diese Konstellation veränderte: Da die "formierte Gesellschaft" der Adenauer-Ära in den 60er- und 70er-Jahren in Bewegung geriet und sich eine Stadtgesellschaft "von unten" entwickelte, musste die Stadtverwaltung dieser Entwicklung Rechnung tragen und offenere Formen der Festgestaltung zulassen.
Heimatvorstellungen zwischen Stadt, Region und Nation; der Umgang mit Fremden, Trends der Medialisierung - hinter diesen Stichworten verbergen sich weitere Themenfelder, zu denen der Band Neues und Interessantes beizutragen hat. Die Sonde intensiver in die Zeitschicht der 70er- und 80er-Jahre einzuführen - diesen Wunsch lässt er offen. Ein Kritikpunkt ist das nicht, im Gegenteil: Die Publikation zeigt die Bedeutung stadtgeschichtlicher Forschung nachdrücklich und weckt das Interesse nach zusätzlichen Studien. In den vereinzelt vorliegenden biografischen Quellen scheint auf, dass die thematisierten Stadtfeiern bei ihren Besucherinnen und Besuchern oftmals tief in der Erinnerung verankert sind. Die Attraktivität dieser Ereignisse für die persönliche Rückschau lässt sich damit erklären, dass die Stadt als lokale Lebenswelt in besonderer Weise Kontinuität, Stabilität und langfristige Orientierung suggerierte - und das über die Wechsel der politischen Systeme hinweg. Auf dieser Folie lässt sich in besonderer Weise Fragen nach der Alltags-, Mentalitäts- und Kulturgeschichte in den Diktaturen in Deutschland sowie der Bundesrepublik nachgehen.
Für die DDR-Geschichte hatte die Arbeitsgruppe dieses bereits 2003 mit einer Publikation unter Beweis gestellt, die die "Herrschaftsrepräsentation in DDR-Städten" thematisierte. [1] Der zweite Band, der aus diesem Zusammenhang hervorgeht, gibt darüber hinaus einen weiteren wichtigen Anstoß. In der (bedauerlich rasch wieder abgeebbten) Diskussion um die Zukunft der DDR-Forschung ist von den Vertretern der unterschiedlichen Positionen eines unisono gefordert worden: der analytische Vergleich des Nationalsozialismus, der DDR und der alten Bundesrepublik. Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes ist mit diesem Band eindrücklich bewiesen - nicht obwohl, sondern gerade weil die Autorinnen und Autoren die Grenzen des Vergleichs und der praktizierten "Sondenforschung" hellsichtig mitreflektieren.
Anmerkung:
[1] Adelheid von Saldern (Hg.): Inszenierte Einigkeit. Herrschaftsrepräsentationen in DDR-Städten. Unter Mitarbeit von Alice von Plato, Elfie Rembold, Lu Seegers (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung; Bd. 1), Stuttgart 2003. Vgl. hierzu die Rezension von Peter Skyba in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/07/4278.html.
Thomas Großbölting