Barbara Becker-Jákli: Das jüdische Krankenhaus in Köln. Die Geschichte des Israelitischen Asyls für Kranke und Altersschwache 1869-1945 (= Schriften des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln; Bd. 11), Köln: Emons Verlag 2004, 528 S., 260 Abb., ISBN 978-3-89705-350-2, EUR 28,50
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Es ist keine leichte Aufgabe, weitestgehend ohne Archivquellen ein Buch zu einer Institution zu schreiben: Die Überlieferung der Stadt Köln wird für die Zeit von 1920 bis 1945 immer dünner, an Primärquellen aus der jüdischen Gemeinde liegt allein das Totenbuch der letzten Jahrzehnte vor 1945 vor. Es ist geradezu kunstvoll, bei einer solchen Sachlage ein lesbares Buch zu machen. Barbara Becker-Jákli, langjährige Mitarbeiterin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, dort für den jüdischen Bevölkerungsteil "zuständig", aber durch eine lange zurückliegende Dissertation über Protestanten Anfang des 19. Jahrhunderts bestens ausgewiesen, auch mit dieser besonderen Minderheit umzugehen, hat ein wohl definitives Buch vorgelegt, das dennoch keine analytisch tief greifende Analyse sein kann.
Becker-Jákli bettet die Geschichte des jüdischen Krankenhauses ein in die Entwicklung des Krankenhauswesens in Deutschland im Allgemeinen, in die Wiederansiedlung von Juden in Köln seit dem frühen 19. Jahrhundert, in die Geschichte der Stadt Köln. Deutlich wird, dass das 1869 gegründete "Asyl" - so der herkömmliche Name für die Institution für die Pflegebedürftigen und Kranken, der ab 1938 kurzzeitig eine dem heutigen Wortsinn entsprechende Bedeutung erhielt - schon Vorläufer hatte. Es war dann der reichste Kölner Jude, Adam Oppenheim, der die Mittel zur Errichtung eines Gebäudekomplexes aufbrachte, sodass das Asyl nachfolgend immer mehr im Sinne einer allgemeinen Professionalisierung von Ärzten und Krankenversorgung tätig wurde. Dabei achtete man von Anfang an darauf, dass zwar eine jüdische Einrichtung - mit entsprechenden Ernäherungsangeboten - geschaffen wurde, die jedoch programmatisch für andere Kranke offen blieb und so auch in Köln ganz überwiegend genutzt wurde. Die Bevölkerung wuchs, die jüdische Gemeinde darin nochmals überproportional. Konfessionelle Wohlfahrtspflege von Katholiken, Protestanten und Juden blieb auch ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein Element der Identitätsbildung, aber auch des Einflusses von Religionsgemeinschaften auf die sich säkularisierende Gesellschaft (71).
Zur Professionalisierung gehörten nicht nur zunehmend akademisch ausgebildete Ärzte und deren Auffächerung nach Fachrichtungen, die oft durch Konsiliarärzte sicher gestellt wurde, sondern auch (1899) die Gründung eines Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen in Köln. Ein Neubau in Köln-Ehrenfeld wurde 1908 eingeweiht, neben dem Vorstand gab es auch ein Kuratorium, das u. a. die materielle Unterstützung aus der jüdischen Gemeinde koordinierte: Honoratioren dominierten in dieser bürgerlichen Umwelt. Im Ersten Weltkrieg kamen Aufgaben als Lazarett wie anderswo auch hinzu, die Notlage auch der zivilen Bevölkerung in der zweiten Kriegshälfte schuf neue Probleme.
In den Zwanzigerjahren sieht Becker-Jákli nach der sozialen Konsolidierung der Republik, so auch in Köln, eine zunehmende Erfolgsgeschichte des Krankenhauses, kaum von den Nöten der Wirtschaftskrise und dem vielfältigen und zunehmenden Antisemitismus auch in Köln beeinträchtigt. [1] Eher waren es interne Differenzen zwischen den herkömmlichen konservativen und liberalen Richtungen der jüdischen Gemeinde, die z. B. Bubikopf-Frisuren bei Krankenschwestern zu Grundsatzkonflikten werden ließen. Finanziell war die Basis vor 1933 nicht zuletzt aufgrund des guten medizinischen Rufes konsolidiert. Es begann die auf knapp 100 Seiten dargelegte Ausgrenzungs- und Niedergangsgeschichte bis hin zu Deportation und Genozid. "Das Asyl, das sich seit seiner Gründung als überkonfessionelle Einrichtung verstanden und seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts bewusst und kontinuierlich zu einem Krankenhaus für die ganze Kölner Bevölkerung entwickelt hatte, erfuhr nun eine aggressive Ausgrenzung" (279/283): Es durften zunehmend keine nicht-jüdischen Patienten aufgenommen werden, jüdische Ärzte wurden in der Berufsausübung gehindert, verlegten ihre Praxen in die Wohnungen, wanderten aus. Die Bettenbelegung schrumpfte, die jüdische Bevölkerung Kölns wurde in Judenhäusern zusammengefasst, deportiert, z. T. unter Begleitung von Personal aus dem Asyl. Nach dem berüchtigten Tausend-Bomber-Angriff vom 31. Mai 1942 wurde das bis dahin im Vorort unbeschädigte Asyl als städtisches Krankenhaus beschlagnahmt.
Becker-Jákli endet jedoch nicht hier, sondern fügt einen sehr instruktiven Abriss über den frühen Beginn jüdischen Gemeindelebens in Köln schon im Jahr 1945 gerade im ehemaligen Israelitischen Asyl hinzu. Dort planten die überlebenden Kölner Juden zunächst bis 1949 auch einen größeren Wiederanfang (der dann doch Ende der Fünfzigerjahre in anderer Form am Rande der Innenstadt mit der wieder aufgebauten Synagoge an der Roonstrasse zu Stande kam). Das Asyl wurde Belgisches Militärkrankenhaus und nach dem Abzug der Belgier dann doch wieder jüdisch genutzt: seit 2004 gibt es am gleichen Ort ein jüdisches Kulturzentrum.
Becker-Jákli tut gut daran, im Titel nur den genannten Zeitraum zu benennen. Doch bettet sie diesen auch zeitlich sehr gut ein. In einem einprägsamen Stil, angereichert durch kleine Bilder im Text, einen umfänglicheren Bildteil danach, hat sie so - das wurde eingangs gesagt - ein sehr lesbares Buch hergestellt. Dennoch muss erwähnt werden, dass der Mangel an Quellen zu einer langen Aufzählung von Besetzungslisten des Krankenhauses, Statistiken über belegte Betten, dies im Vergleich zu anderen Krankenhäusern, männlichen und weiblichen Patienten, finanziellen Ressourcen, Karriere- und Lebensdaten von Ärzten, Pflegepersonal und aufsehenden Juden führt. Das wird oft mit grauem Hintergrund unterlegt gedruckt. Aber Becker-Jákli hat die Fähigkeit, dann knapp und zupackend Einordnung und Atmosphäre zu geben. Das ist eine beachtliche Leistung. Spurensuche und -sicherung ist eine ganz wichtige Aufgabe der Historie gerade bei einer Minderheit, die zunehmend in Köln keine mehr sein wollte und dennoch zu einem großen Teil ausgelöscht wurde. Das ist eine der vornehmsten Aufgaben gerade des NS-Dokumentationszentrums. Dessen Direktor Werner Jung hebt - mit der Autorin - dann auch einleitend hervor: ein Löffel und eine Kaffee- oder Teekanne seien das einzige materielle Substrat, das übrig geblieben sei. Hinzuzufügen sind die wenigen Briefe, Erinnerungen, Fotos der Zeitzeugen, die hier in einem angemessenen Rahmen auch für ein breiteres Publikum nutzbar vorliegen.
Anmerkung:
[1] Dazu jetzt wesentlich genauer: Nicola Wenige: Integration und Ausgrenzung in der städtischen Gesellschaft. Eine jüdisch-nichtjüdische Beziehungsgeschichte Kölns 1918-1933 (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte; Bd. 206), Mainz 2005.
Jost Dülffer