Ulrich Helbach (Hg.): Historischer Verein für den Niederrhein 1854-2004. Festschrift zum 150jährigen Bestehen (= Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein; 207), Köln: Rheinland-Verlag 2004, 544 S., ISSN 0341-289X
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Festschriften haben ihre feste Anknüpfung an runde Jubiläen, an denen sie je nach Intention der Auftraggeber und der Herausgeber ein weites Spektrum zwischen kritischer Wissenschaftlichkeit und selbstverliebter Beweihräucherung abliefern. Dieser Problematik waren der Vorstand des Historischen Vereins für den Niederrhein und die Herausgeber sich durchaus bewusst, wie der Vereinsvorsitzende Leo Peters in seinem kurzen Vorwort betont. Demnach galt es, Fragen nach dem Bündnis mit dem wandelbaren Zeitgeist, nach der Reaktion auf politische Verlockungen und nach der inneren Kontinuität zu beantworten, wobei die wissenschaftliche Qualität des Vereins und sein Standort in der rheinischen Geschichtsschreibung zu untersuchen waren. Damit und mit dem Blick auf die äußeren Bedingtheiten sollte zugleich ein Stück rheinische Geschichte geschrieben werden. Der Herausgeber Ulrich Helbach ordnet in seiner kurzen Einleitung die vorliegende Festschrift in die Publikationen zu den Vereinsjubiläen 1954 und 1979 ein und betont den Fortschritt, den die Forschung über die Geschichtsvereine, vor allem bezogen auf das 19. Jahrhundert, seither gemacht hat. Um der Vielfalt der landes- und allgemeingeschichtlichen Forschung gerecht zu werden und um kritische Distanz herzustellen, betraute er auch vereinsferne Fachleute mit einzelnen Beiträgen, zweifellos eine glückliche Wahl, die der Festschrift ein besonders Gepräge verleiht. Durchweg beziehen die Autoren die neuesten Veröffentlichungen in ihre Darstellungen ein.
Wilhelm Janssen setzt sich zunächst mit dem Verhältnis von niederrheinischer Landesgeschichte und kölnischer Bistumsgeschichte auseinander, die er mit einer intensiven Diskussion der Begriffe Landesgeschichte und Niederrhein fundiert. Weiter erläutert er die letztlich pragmatische Klärung des Vereinsgebietes, die das Gebiet des rheinischen Landesteils von Nordrhein-Westfalen vorwegnahm, und beschließt seinen Beitrag mit Leitaspekten für eine wissenschaftliche Untersuchung der Kölner Bistumsgeschichte.
Die beiden Beiträge über die Gründungsväter des Historischen Vereins weisen die Gründe für die Wahl Moorens zum ersten Vereinsvorsitzenden aus, obwohl der umstrittene Binterim als Kirchenhistoriker großes Renommee besaß. Heinz Finger präsentiert den 50 Jahre lang als Priester in (Düsseldorf-) Bilk amtierenden Binterim als höchst engagierten rheinischen Kirchenhistoriker, der nach der "Verbindung von spätbarocker Geschichtsgelehrsamkeit einzelner Ordenstraditionen und dem entstehenden Historismus der Ranke-Schule" (36) trachtete, während Karl-Heinz Tekath auch auf Charakterschwächen verweist (72). Der Wachtendonker Pfarrer Mooren hingegen war in zweifacher Hinsicht für den Vorsitz prädestiniert: als Editor der vierbändigen Geschichte des Erzbistums Köln gemeinsam mit Binterim und als Gründer des Historischen Vereins für Geldern und Umgebung 1851.
In den Beiträgen über die drei großen Epochen der Vereinsgeschichte wird teilweise Neuland betreten. Gabriele Clemens greift eine These Trippens auf, wonach der Kölner Kirchenstreit von 1837 eine wesentliche Rolle bei der Vereinsgründung gespielt habe. Der stark im katholischen Milieu verwurzelte (zeitweise über 40 % Geistliche), dabei von einem traditionellen Geschichtsverständnis geprägte Verein verstand sich auch nach 1871 als prinzipiell unpolitisch. Aufgrund seiner latent antipreußischen Orientierung habe der Verein auch keine nationalstaatlichen Tendenzen aufgewiesen. Im Sinne einer "Erfindung der Nation" (121) als Werk von intellektuellen Eliten habe der Verein sicher nicht gewirkt.
Klaus Pabst arbeitet in seinem Beitrag über die Zeit der beiden Weltkriege die moderate Grundhaltung des Vereins heraus. In der Zeit des Nationalsozialismus prägte ihn demzufolge eine "sublime Mischung aus Anpassung in Äußerlichkeiten und Vermeidung jeder Provokation, aber ohne Kompromisse im Hinblick auf Vereinszweck, Vereinscharakter und die zu verfolgende wissenschaftliche Linie", zudem ohne "irgendwelche Konzessionen" (127) an den Rassismus; die weiterhin starke katholische Prägung schuf zum Nationalsozialismus eine Distanz. Pabst ist auch zuzustimmen, dass der Verein sich in seinen Versammlungen schon seit den frühen 1920er Jahren staatstragend gab und später eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus aufwies, ohne dessen Kernthemen aufzunehmen. Der oft zitierte Rechenschaftsbericht des Schriftführers Wilhelm Kisky von 1946 rückt daher den Verein in ein zu positives Licht.
Aus Helbachs ausführlichem Aufsatz über die Vereinsgeschichte 1945-1979 sei auf den Einspruch des Professors Gerhard Kallen gegen die Ehrung des jüdischen Vereinsmitglieds Wilhelm Levison und auf seine Kritik an Kiskys Rechenschaftsbericht von 1946 hingewiesen, die mit Kallens persönlichen Lebensumständen infolge seines noch nicht abgeschlossenen Entnazifizierungsverfahrens und seiner unterbrochenen Karriere zusammenhingen. Auffällig ist, dass das moderate Führerprinzip erst 1953 aus der Satzung gestrichen wurde, während 1954 nach Kiskys Tod die nationalsozialistisch belasteten Kallen, Just und Franz Steinbach zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden. Nicht nur in diesem Zusammenhang betont Helbach die Reflexionsarmut des Vereins bis zum Ende seines Untersuchungszeitraums.
Mit der Analyse einer historischen Zeitschriftenreihe, der "Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein", betritt der methodisch ambitionierte Autor Stephan Laux fachwissenschaftliches Neuland. Unter der leitenden Fragestellung, ob die Annalen methodisch, thematisch und allgemein-perspektivisch beim Status quo bleiben oder diversifizieren, untersucht er die 206 Bände mit 1332 Aufsätzen und kommt zum Ergebnis, dass sich die Annalen in Verbindung mit den Transformationsprozessen in der Landesgeschichtsforschung erst spät für moderne Methodik und Thematik öffneten. Dominantes Thema ist über lange Jahrzehnte die kirchliche Institutionengeschichte vornehmlich der Vormoderne in positivistischer Betrachtungsweise. Erst seit Mitte der 1960er Jahre konstatiert Laux die beginnende Öffnung der Annalen für zeit- und strukturgeschichtliche Themen, erst dreißig Jahre später erscheinen die ersten Beiträge zum Nationalsozialismus, während die Wirtschaftsgeschichte weitestgehend ausgespart bleibt.
Besonders hervorgehoben sei noch die Miszelle von Jörg Engelbrecht über den Bergischen Geschichtsverein als "Gegenpart" zum Historischen Verein für den Niederrhein, weil jener protestantisch dominierte Verein zwar Gemeinsamkeiten, vor allem aber eklatante Unterschiede zu diesem aufweist, die sich auf die Vereinsstruktur, die Wissenschaftlichkeit der Vereinszeitschrift, die protestantische, pro-borussische Orientierung der Historiker, die frühe Schwerpunktsetzung auf die Reformationsgeschichte, die meinungsbildenden Beiträge etwa zur preußischen Herrschaft im Rheinland, zur "Franzosenzeit" oder auch zur bergischen Wirtschaftsgeschichte beziehen.
Weitere Beiträge thematisieren das Verhältnis des Erzbistums Köln zum Verein (Norbert Trippen) und das evangelische Element im Verein (Dietrich Höroldt), andere liefern kaum mehr als Material für künftige Forschungen: zwei Beiträge über die lokale Verteilung der Hauptversammlungen (Dieter Geuenich und Sybille Carmanns), verschiedene Übersichten über die Vorstände (Thomas Becker) und über die Mitgliedschaft: zur Berufsverteilung (Sven Hansen), Diagramme zum Anteil von Frauen, Akademikern, Adligen (!) und Institutionen (460f.), Ehrenmitglieder seit 1945 (Ulrich Helbach) und das Mitgliederverzeichnis. Hervorzuheben sind noch der mit vornehmer Zurückhaltung als "Ein Blick auf die beiden letzten Jahrzehnte" (393-406) betitelte Beitrag des Vorsitzenden Leo Peters und die Vereinschronik (407-426), die bei den jeweiligen Daten Hinweise auf die Aufsätze des Bandes enthält.
Als Resümee ist festzuhalten, dass diese Publikation mit einigen herausragenden Beiträgen einen grundlegenden Beitrag zur weiteren Erforschung der Vereinsgeschichte liefert, ein Umstand, der Mängel wie die Sachwiederholungen relativiert. Für Benutzerfreundlichkeit sorgen die opulente Bebilderung und die Register (ohne Sachregister, aber mit Institutionenindex).
Horst Sassin