Rezension über:

Harold James: Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt, München: C.H.Beck 2005, 400 S., 36 Abb., 3 Karten, ISBN 978-3-406-53510-9, EUR 29,90
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Rezension von:
Christina Lubinski
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Christina Lubinski: Rezension von: Harold James: Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/9107.html


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Harold James: Familienunternehmen in Europa

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Unter dem Titel "Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck" ist Harold James' jüngste Monografie zuerst auf Deutsch erschienen, während ihre englische Fassung zum Zeitpunkt dieser Rezension noch nicht verfügbar war. Dennoch lohnt sich ein Blick auf deren Titel "Family Capitalism. Wendels, Haniels, Falcks and the Continental European Model", dessen deutsche Übersetzung eine keineswegs marginale Bedeutungsverschiebung enthält. Während "Familienunternehmen" auf eine unternehmerische Organisationsform rekurriert, verweist "Family Capitalism" und insbesondere der Zusatz "and the Continental European Model" auf ein übergeordnetes, transnationales Wirtschaftssystem. Was steht hier also im Zentrum des Interesses?

Der in Princeton lehrende James tritt mit dem Anspruch an, den Entwicklungsverlauf von Familienunternehmen in international vergleichender Perspektive und über den langen Zeitraum vom späten 18. Jahrhundert bis heute zu analysieren. Indem sich die Studie von der pauschalen Abqualifizierung des Familienunternehmens als "rückständig" und "unvorteilhaft" löst, ordnet sie sich in einen aktuellen Forschungstrend ein, der dem lange vernachlässigten Familienunternehmen neues Interesse zu Teil werden lässt.

Gegenstand der Arbeit sind drei bedeutende europäische Unternehmerfamilien: die französischen de Wendels, die deutschen Haniels und die italienischen Falcks. Gemeinsam ist ihnen ihre ursprüngliche Betätigung in der Eisen- und Stahlindustrie sowie ihre regionale Verankerung im Rhein- und Moseltal. In fünf, entlang der Familien-Genealogien strukturierten Kapiteln nimmt James sich dieser drei Eignerfamilien detailreich an. Für den Leser leicht nachvollziehbar, enthält jedes Kapitel einen Abschnitt pro Fallbeispiel und ermöglicht damit sowohl den gezielten Zugriff auf die Entwicklung eines Unternehmens als auch die parallele Lektüre aller drei. Der eigentliche Vergleich bleibt aber den Einleitungs- und Schlusskapiteln vorbehalten. Erst durch diese Kapitel soll aus der "chronologischen Betrachtung der drei parallelen Familiengeschichten" (343) eine Synthese werden. Ihnen obliegt folglich die Aufgabe, diese drei Unternehmensdarstellungen zu einer Einheit zusammenzufügen und den Titel, das Forschungsdesign und die Samplewahl zu begründen.

James' Argumentation im Einleitungskapitel beschreibt die Familie als intermediäre Organisationsstufe, welche die Organisation des Staates und des Marktes ergänze. Gerade in "Krisenmomente[n] des Staatskapitalismus" (15), wenn Staat und Markt ihre Funktion als Ordnungsstifter nur unzureichend erfüllen, könnten die Familie und das Familienunternehmen sich als relevant erweisen. Dies sei umgekehrt der Grund für die Langlebigkeit und Dynamik von Familienunternehmen in Kontinentaleuropa, dessen Geschichte besonders reich an solchen Krisenmomenten gewesen sei. Es ist eine besondere Stärke dieses Buchs, das Zusammenspiel von Staat, Markt und Familie hervorzuheben und zu analysieren, welches besonders für die hier untersuchte Eisen- und Stahlbranche von entscheidender Relevanz ist. Zudem zollt James der Veränderungsdynamik der Unternehmen, die im Verlauf ihrer langen Geschichte in unterschiedlichen Branchen, Regionen und Rechtsformen tätig waren, in besonderer Weise Tribut. Weder bestätigt er die oft behauptete Unflexibilität oder sogar Starrsinnigkeit von Familienunternehmen noch ihre quasi-natürliche Entwicklung zu Publikumsgesellschaften, sondern differenziert diese Fehlurteile anschaulich und überzeugend.

Dennoch bleiben zwei zentrale Kritikpunkte an dieser Studie. Erstens entzieht sich James jeglicher Definition von Familienunternehmen, die jedoch für sein Forschungsdesign sowie für die Vergleichbarkeit von statistischen Daten wichtig gewesen wäre. Stattdessen verweist er auf den Einführungstext von Andrea Colli [1], der gerade die Nicht-Existenz einer einheitlichen Definition postuliert und dafür plädiert, Definitionen je nach nationalem Kontext, zeitlichem Rahmen und Forschungsfrage neu zu diskutieren. James bleibt eine Begründung schuldig, inwiefern und inwieweit seine empirischen Beispiele unter dem Einfluss einer Familie stehen. Insbesondere im Fall Haniel ist aber keineswegs selbstverständlich von einem Familienunternehmen zu sprechen, da hier schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine strikte personale Trennung von Gesellschaftern und Geschäftsführern gegeben war.

Zweitens benötigt James für diese Studie zwingend die Absetzung des kontinentaleuropäischen von dem anglo-amerikanischen System. Seine These ist, dass das Familienunternehmen sich in Europa länger behauptete, weil Krisenmomente des Staatskapitalismus seine Position hier stärkten. Für die Annahme, dass das traditionsreiche Familienunternehmen ein kontinentaleuropäisches Modell sei, könnten aber nur eine eindeutige Definition und eine international vergleichbare Statistik die Grundlage sein. Weil James auf beides nicht zurückgreifen kann, ist seine Behauptung, das Familienunternehmen habe sich außerhalb der USA und Großbritanniens am Weitesten entwickelt (8), unbewiesen. Auch für den anglo-amerikanischen Raum ließen sich Statistiken zitieren, welche einen exorbitant hohen Anteil an Familienunternehmen bestätigen, der keineswegs nur aus Neugründungen besteht. [2] Das gilt umso mehr, wenn, anders als bei James, auch klein- und mittelständische Unternehmen Beachtung finden.

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der beiden Systeme sind die so genannten Krisenmomente. Letztere werden jedoch inhaltlich nicht eindeutig bestimmt und umfassen gleichzeitig politische Sachverhalte, aber auch soziale oder wirtschaftliche Veränderungen, sodass es schwer fällt, ihre Bedeutung angemessen zu beurteilen. Die Systempolarisierung spiegelt sich sogar in James' Darstellung der Forschungslage. Seine Behauptung, vor allem außerhalb der USA und Großbritanniens seien zu Beginn des 21. Jahrhunderts die positiven Aspekte von Familienunternehmen wieder in den Vordergrund gerückt worden (11), ist angesichts der frühen amerikanischen Debatten zu Familienunternehmen wenig gerechtfertigt. [3]

Zusammenfassend ist eine detaillierte Darstellung von drei Unternehmerfamilien der Montanindustrie gelungen, die über einen sehr langen Zeitraum und in vergleichender Absicht analysiert werden. Dabei unterstreicht James zu Recht die Interdependenzen von Familienunternehmen mit staatlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und räumt mit einer Reihe von Pauschalurteilen auf. Letztlich ist aber der englische Titel dieser Studie wesentlich treffender als sein deutsches Pendant, denn anders als der Aufbau des Buches suggeriert, beziehen sich James' Forschungsthesen nicht auf die Eigenarten von Familienunternehmen, sondern auf ein typisiertes "kontinentaleuropäisches Modell". Der Vergleich unterschiedlicher "Kapitalismus-Stile" nimmt den Raum ein, der für die Differenzen unterhalb der Systemebene verloren geht: Branche, Region, Recht, Religiösität. In der Tradition von Michel Albers Gegenüberstellung des rheinischen und des amerikanischen Kapitalismus unternimmt James stattdessen einen Vergleich zweier geschlossener Systeme, der die unternehmenshistorische Analysekraft dieser Studie einschränkt.


Anmerkungen:

[1] A. Colli: The History of Family Business, 1850-2000, Cambridge 2003.

[2] Vgl. M. C. Shanker/J. H. Astrachan: Myths and Realities. Family Businesses' Contribution to the U.S. Economy - A Framework for Assessing Family Business Statistics, in: Family Business Review 9 (1996), 107-123.

[3] Vgl. beispielsweise die ersten Ausgaben der Zeitschrift Family Business Review, welche seit 1986 Forum für Diskussionen zum Thema Familienunternehmen ist.

Christina Lubinski