Gennaro Toscano: Venise en France. La fortune de la peinture vénitienne. Des collections royales jusqu'au XIXe siècle. Actes de la journée d'étude Paris-Venise. École du Louvre et Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti. École du Louvre 5 février 2002 (= Rencontres de l'École du Louvre), Paris: École du Louvre 2004, 222 S., ISBN 978-2-904187-13-1, EUR 48,00
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Wer die Vielzahl entsprechender Publikationen der letzten Jahre kennt, weiß, dass die Welle neuer sammlungsgeschichtlicher Forschung längst auch die Kunst der Lagunenstadt Venedig erreicht hat. Der Band Venise en France enthält die Beiträge eines Studientages der École du Louvre zur Rezeption venezianischer Malerei in Frankreich. Dabei ist der Untertitel als ausgesprochen bescheiden zu bezeichnen. Enthält die Publikation doch eine Reihe von Beiträgen, die weit über das Thema der Aufnahme venezianischer Malerei in die königlichen Sammlungen hinausgehen (Patrick Michel, Ingrid Lemainque u. a.). Neben der zeitgenössischen Kunstliteratur und der biografischen Forschung zu einzelnen Kunstsammlern und -händlern kommt nun verstärkt die Aufarbeitung von Verkaufskatalogen als Quellen der Sammlungsgeschichte zum Tragen. Dass auch viele ältere Erkenntnisse in die Aufsätze einfließen, muss nicht als Nachteil angesehen werden. So kommt z. B. ein der Canaletto-Forschung weitgehend unbekannter Brief Mariettes an Tommaso Temanza wieder zu Tage, der die Wertschätzung des französischen Sammlers für die Arbeiten des Vedutisten dokumentiert (50).
Unmittelbar mit den königlichen Sammlungen bzw. des Louvre beschäftigen sich drei der Beiträge. Zwei der Autoren (Jean Habert, Stéphane Loire) haben ihren Aufsätzen tabellenartige Aufstellungen der Erwerbungen venezianischer Gemälde mit ihrer jeweiligen Provenienz beigegeben: eine für die Ankäufe bis einschließlich der Regierungszeit Ludwigs XIV., die andere für das Musée du Louvre sowie - unvollständig - auch für weitere französische Museen im Zeitraum von 1815 bis 1940. Sie ziehen zusammen, was sonst nur mühsam aus Bestands- und Ausstellungskatalogen zu erschließen ist. Damit gibt der Band für diese Gebiete ein leicht und schnell handhabbares Instrumentarium zum Nachschlagen an die Hand. Bedauerlich ist, dass die Erwerbungen des weiteren 18. Jahrhunderts und der äußerst sensible Bereich der Akquisitionen in der Zeit der französischen Revolution nicht auf diese Weise erschlossen sind, obwohl Monica Preti Hamard den letzten Zeitraum in ihrem Aufsatz anhand der Kataloge der Ausstellungen im Grand Salon du Louvre kenntnisreich und erfreulich vorurteilsfrei und neutral aufarbeitet. Einzig diejenigen der nicht restituierten Werke, die direkt in Venedig beschlagnahmt worden sind, werden im Text von Stéphane Loire vollständig aufgezählt (169 f.). Nicht systematisch erfasst sind die anderswo abtransportierten venezianischen Gemälde, wie das einzige Werk Piazzettas im Louvre, die "Himmelfahrt Mariens" aus der Kirche in Sachsenhausen bei Frankfurt (138), und die Beschlagnahmungen bei der Akademie und aus Privatsammlungen französischer Adelsfamilien, wie die Festdarstellungen Francesco Guardis.
Insgesamt lässt sich, wie auch anderswo in dieser Form der Literatur, eine gewisse Furcht vor Wertungen feststellen. Fragen wie die, welche Rolle der venezianischen Malerei im Gesamtzusammenhang der Sammlungen zukam, wie stark sie gegenüber anderen Schulen repräsentiert war, werden nur am Rande touchiert. Geradezu erfrischend aussagefreudig ist da der kurze Beitrag von Lemainque. [1] Er nimmt eine systematische Auswertung der Anzahl der in den Auktionskatalogen von 1730 bis 1799 genannten Bilder vor. Methodologisch ähnlich verfährt Habert, wenn er in seiner letzten Fußnote den folgenden innervenezianischen Vergleich aufstellt: Charles Le Bruns Inventar der königlichen Sammlungen verzeichnet 20 Gemälde Veroneses und ebenso 20 Tizians, für heutige Maßstäbe erstaunliche 15 Bassanos, aber nur acht Tintorettos. Dazu kamen immerhin sieben Gemälde, die man Giorgione zuschrieb. Doch lässt sich dem Problem der unterschwelligen (Be)-Wertung von Schulen und Künstlern in den Sammlungen rein zahlenmäßig nicht beikommen: Wie wären die beiden großformatigen Gastmähler von Veronese, die an prominenten Stellen in Versailles gehängt waren, gegenüber einem heute zerstreuten, aber damals berühmten Bassano-Salon an zentraler Stelle des Schlosses zu werten? Es scheint, folgt man der Gesamtheit der Aufsätze in dem Band, dass in Frankreich unausgesprochen immer eine Bevorzugung Veroneses gegenüber anderen italienischen Malern geherrscht hat.
Noch seltener als der Versuch, durch Ankäufe, Hängungen und Sammlungszusammenhänge vorgenommene inhärente Wertungen offen zu legen, sind Bemühungen, auf die Bedeutungsebene vorzudringen. Kunstwerke können durch den Eintritt in eine Sammlung und durch ihre Hängung einen Signifikatzuwachs erfahren, dem nachzuspüren der sammlungsgeschichtlichen Forschung erst ein übergreifendes Interesse verleiht. Klassisches Beispiel dafür ist Veroneses "Pèlerins d'Emmaüs", das unter Ludwig XIV. nach Formatveränderungen an beiden Gemälden im Schloss Versailles als Pendant zu Charles Le Bruns "La Famille de Darius" gehängt war. Es wäre interessant gewesen, ließen sich Belege für die von Habert geäußerte Vermutung anführen, dass damit eine dem Epochengeist entsprechende allegorische Bedeutung angestrebt war (18). Dokumentiert hingegen ist, dass mit der Gegenüberstellung dieser beiden Gemälde unterschiedlicher Herkunft die Überlegenheit der zeitgenössischen französischen Schule gegenüber den italienischen demonstriert werden sollte. Habert selbst konnte in einem mit Nicolas Milovanovic verfassten Aufsatz anlässlich der temporären Rekonstruktion dieser Hängung die dem Gemälde Veroneses hinzukommende Bedeutungsschicht, die in der Kunstliteratur bereits seit Félibien diskutiert wurde, nachvollziehen. [2]
Der von den akademischen Theoretikern behauptete Primat der französischen Schule über die italienische ist ein Hauptgrund dafür, dass die zeitgenössische venezianische Malerei des 18. Jahrhunderts in französischen Sammlungen nur eine Nebenrolle spielen konnte. Pierre Rosenberg legt den Finger in die Wunde einer zu engen Sicht auf eine international agierende Kunst des Zeitalters. Geschrieben ohne jede Anmerkungen empfiehlt er in seinem Aufsatz die Anwesenheit venezianischer Maler im Paris der Jahre 1715 bis 1723 - von Sebastiano Ricci und Rosalba Carriera bis zu Pellegrinis monumentalem Plafond für John Law - der jüngeren Kunsthistorikergeneration als noch zu erforschendes Thema.
Spezialfälle der Rezeption zeitgenössischer venezianischer Malerei sind Giambattista Tiepolo und die venezianischen Vedutisten. Tiepolo wurde nach José de Los Llanos im Frankreich seiner Zeit im Wesentlichen als Grafikkünstler wahrgenommen. So zumindest lässt sich das weitgehende Fehlen seiner Gemälde in zeitgenössischen französischen Sammlungen deuten. Die Bevorzugung Veroneses mag zu dieser Ablehnung beigetragen haben: Wo große Gemälde des Meisters des 16. Jahrhunderts schon eine fast überdeutliche Präsenz hatten, konnte einem Maler, der als neuer Veronese gefeiert wurde, bei sich wandelnden Kunstdoktrinen nur ein beschränktes Interesse entgegengebracht werden. Aufschlussreich hingegen ist, dass gerade Künstlerkollegen wie Watteau, Fragonard und Boucher ihn mehr schätzten als die Sammler. Für die Vedutenmalerei belegt Adriano Mariuz, dass das Entstehen des Untergenre der Botschaftereinzüge in den Dogenpalast, das von Luca Carlevarijs um 1700 eingeführt wurde, nur aus dem Umfeld einer gleichzeitig in Frankreich bestehenden, ähnlichen Tradition zu erklären ist. Er zieht daraus richtigerweise den Schluss, dass die französischen Botschafter bei der "Serenissima", deren Einzüge in den ersten Gemälden dieses Typus dargestellt wurden, nicht nur die Hauptpersonen der Darstellung waren, sondern auch die Auftraggeber der Bilder. Es hätte professore Mariuz sicher gefallen, zu wissen, dass seine Hypothese auch aus der Quellenüberlieferung zu belegen ist, doch leider ist er vor dem Erscheinen des Vortragbandes verstorben. Anlässlich einer der Bilderausstellungen auf dem Campo di San Rocco wird in den venezianischen Mercuri des Jahres 1707 der französische Botschafter - es handelt sich um Henri-Charles de Pomponne - ausdrücklich als Auftraggeber eines Gemäldes genannt. [3]
Nur unzureichend bleiben konnte der Versuch, auch noch die Aufnahme Venedigs durch französische Künstler im 19. Jahrhundert zu behandeln. Geneviève Lacambre versucht einen Überblick über die "fortune vénitienne" von Moreau bis Monet, den sie sowohl in Richtung der künstlerischen Rezeption venezianischer Malerei als auch der Stadtbildmalerei verstanden haben möchte. Zwangsweise konnte sie dabei über eine bloße Aufzählung nicht herauskommen, zumal auch nicht französische Künstler wie James McNeill Whistler einbezogen werden. Man muss sich dann aber fragen, warum bei Moreau einsetzen und nicht bei Corot oder Turner? Das Thema eines sich im 19. Jahrhundert verändernden Venedigbildes in der Malerei ist noch längst nicht erschöpfend erforscht, und der Aufenthalt vieler Maler wäre einer eigenen Betrachtung wert. Leider fehlt dem Aufsatz zudem die Nennung der grundlegenden Bezugsliteratur. [4] Wie eine solche Fallstudie aussehen kann, belegt der Aufsatz von Luisa Capodieci zu Moreau, in dem aufgezeigt wird, wie der Maler an einer Neuentdeckung der frühen venezianischen Malerei, namentlich Carpaccios, teilhatte.
Über die Aufsätze, die, wie für einen solchen Sammelband unvermeidbar, von unterschiedlichem Spezialinteresse sind, wird der Band dem provenienzorientierten Teil der Venedigforschung durch die Aufstellungen der Erwerbungen in den genannten Zeiträumen ein leicht benutzbares Handwerkszeug bleiben. Der meist recht umfangreiche Anmerkungsteil der Beiträge wird sein Weiteres dazutun.
Anmerkungen:
[1] Der Aufsatz basiert auf einer früheren Publikation der Autorin, die angelegt ist, das Verzeichnis von Wildenstein zu ersetzen. Vgl. Ingrid Lemainque: Les Tableaux italiens du Settecento dans les ventes parisiennes au XVIIIe siècle. In: Studiolo, 2, 2003, 138-66.
[2] J. Habert / N. Milovanovic: Charles Le Brun contre Véronèse: la Famille de Darius et les Pèlerins d'Emmaüs au château de Versailles. In: Revue du Louvre, 54, 5, 2004, 63-72. Es sei darauf verwiesen, dass diese Bedeutung noch Mitte des 18. Jahrhunderts gesehen wurde; vgl. den anonym erschienenen Essai sur la peinture, la sculpture et l'architecture, o. O. 1751, 14-32, als dessen Autor Louis Petit de Bachaumont identifiziert worden ist.
[3] Mercuri 1707, Bibl. Naz. Marciana, Ms. It., cl. VI., n. 483 (=12127), 20.8.1707, c. 170. Ich danke Vittorio Mandelli für den Hinweis auf diese unveröffentlichte Textstelle.
[4] Ungenannt etwa bleibt Ph. Piguet: Monet et Venise, Paris 1986.
Heiner Krellig