Rezension über:

Lorenz Weinrich (Hg.): Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte. Adalbert von Prag und Otto von Bamberg (= Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; Bd. 23), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, VIII + 496 S., ISBN 978-3-534-01422-4, EUR 109,00
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Rezension von:
Jürgen Petersohn
Würzburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Petersohn: Rezension von: Lorenz Weinrich (Hg.): Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte. Adalbert von Prag und Otto von Bamberg, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 3 [15.03.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/03/9391.html


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Lorenz Weinrich (Hg.): Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte

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Ein jahrzehntelang angekündigtes Projekt der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, die Ausgabe von "Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte. Adalbert von Prag und Otto von Bamberg", dessen Realisierung sich nicht zuletzt wegen seines Umfangs komplizierte, ist nun, wenn auch unter Planänderungen, Kompressionen und erheblichen Kürzungen, zum Abschluss gekommen. Lorenz Weinrich hat die Textarbeit übernommen, Jerzy Strzelczyk eine allgemeine historische Einordnung vorangestellt.

Das Leben des Prager Bischofs wird in dieser Sammlung durch den - allerdings vom Bearbeiter verunklärten - Wiederabdruck der Edition Jürgen Hoffmanns aus dem Jahre 2005 einerseits [1] und die Kurzfassung der Adalbertspassio des Brun von Querfurt durch eine neue Edition Weinrichs nach einem Aldersbacher Codex des 12. Jahrhunderts andererseits vorgestellt. Während Hoffmanns Text auf der Basis einer Handschrift des Aachener Marienstifts in die vermutliche Entstehungslandschaft der Vita prior (Diözese Lüttich) führt [2], ist die Wahl der Aldersbacher Vorlage nicht überzeugend begründet. Da sich ihr Text zudem nicht ohne erhebliche Anleihen bei anderen Überlieferungen herstellen ließ, liegt die Frage nahe, warum nicht doch Jadwiga Karwasińskas Ausgabe der "Redactio brevior" [3] abgedruckt wurde, der die Übersetzung, abweichend vom lateinischen Text, stellenweise folgt. [4] Der Nutzen dieser Entscheidung bleibt somit fragwürdig, zumal der von Weinrich erstellte Text in seiner Aussage nicht immer eindeutig ist. [5]

Der Anteil der Ottoviten an der Erhellung der Welt der Slawen wird, vom Umfang her opulenter als bei Adalbert, durch die Prüfeninger Vita sowie die Viten Ebos und Herbords repräsentiert. Ebo wurde allerdings durch beträchtliche Auslassungen dezimiert, was umso mehr verwundert, als diese Vita nach dem Prüfeniger durch den wichtigsten stofflichen Zuwachs zur Biografie des Pommernmissionars gekennzeichnet ist, den Herbord dann mehr oder weniger geschickt verarbeitete.

In Gestalt der Prüfeninger Vita, die im Inhaltsverzeichnis auf Seite VII Wolfger von Prüfening zugewiesen wird, obwohl die Herausgeber in der Einleitung auf Seite 18 die gegen dessen Verfasserschaft sprechenden Vorbehalte akzeptiert zu haben schienen, trifft der Rezensent auf sein eigenes Geschöpf [6], das nun allerdings ziemlich entblättert, d. h. unter Verzicht auf die Mehrzahl der Vorlagennachweisungen aus der klassischen und mittelalterlichen Literatur, dafür um textliche Versehen bereichert [7], in Erscheinung tritt.

Ebo und Herbord werden nach den Ausgaben der Monumenta Poloniae historica dargeboten [8], wobei die Korrekturen und Verbesserungsvorschläge, die der Rezensent dazu publiziert hat [9], zumeist berücksichtigt wurden, ohne dass freilich auf diesen Sachverhalt eigens hingewiesen wird, mit einer Ausnahme, die den Leser jedoch auf eine falsche Fährte führt [10]. Andererseits weichen die lateinischen Texte auch dieser beiden Viten durch Auslassungen und Fehler wiederholt von den benutzten Vorlagen ab, wogegen die deutsche Übersetzung wiederum zumeist eben diesen folgt. [11]

Die Übersetzungen der Adalberts- und der Ottoviten sind im Allgemeinen gelungen. Ihr Tenor ist frisch und individuell, manchmal auch eigenwillig, was freilich nur dem aufgeht, der auch den lateinischen Text in Augenschein nimmt. In der Übersetzung liegt das eigentlich Neue dieser Ausgabe, dessen Verdienste sich jedoch dort mindern, wo das Gegenüber zur lateinischen Vorlage problematisch ist.

Über die Autoren und die Entstehung der Werke, die Wege ihrer Überlieferung und die Probleme und Prinzipien der Texterstellung erfährt der Benutzer der Ottoviten, im Unterschied zu Adalbert, kaum etwas. Während frühere Ausgaben der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnis-Ausgabe, beispielsweise jene aus der Feder Franz-Josef Schmales, selbstständige kritische Editionen mit Handschriftenbeschreibungen und überlieferungskritischen Darlegungen boten, werden dem Benutzer hier Textblöcke vorgelegt, deren Grundlagen und Zustandekommen er nicht durchschauen kann. Nicht nur wegen der für Uneingeweihte schwer zu erkennenden textlichen Untiefen, sondern vor allem wegen des uneingelösten Erläuterungsbedarfs würde der Rezensent die vorliegende Ausgabe nicht in Seminarübungen verwenden. Vielleicht wäre es am Ende doch besser gewesen, statt den in der Vorbemerkung angesprochenen "ökonomischen Gründen" zu folgen, die Adalberts- und die Otto-Viten auf zwei Bände zu verteilen und damit Raum für ihren vollständigen Wortlaut und eine hinreichende Aufklärung über dessen editorische Hintergründe zu gewinnen.


Anmerkungen:

[1] Jürgen Hoffmann: Vita Adalberti. Früheste Textüberlieferungen der Lebensgeschichte Adalberts von Prag. Europäische Schriften der Adalbert-Stiftung-Krefeld 2, Essen 2005, 125-159. - Weinrich hat, abgesehen von orthografischen Abweichungen, gegen Hoffmanns Ausgabe, ohne dies zu begründen und im Einzelnen nachzuweisen, wiederholt Lesungen aus der Handschrift Lamspringe (Ls) in seinen Text übernommen; vgl. etwa c. 4: Auslassung von et nach pauperes, c. 6: repromissionibus statt promissionibus, c. 21: exposcerant statt expoposcerant, Wilgisus statt Vulgisus. Die Hinzufügung von ulli nach nec c. 9 beruht nur auf einem Konjekturvorschlag für eine Rasur in Ls. Missglückt ist die unvollständige Übernahme von cruentis c. 19 nach dem Zusatz cruentis hostibus in Ls. Textlich unbegründet erscheint c. 6: diversus statt dissimilis, c. 25 in vor alienis. Fehlerhaft ist die Auslassung von meo (richtig: de meo collo) c. 26, zu berichtigen ist das Druckversehen c. 16: qui et, iam sibi statt richtig qui etiam sibi.

[2] Vgl. Jürgen Hoffmann: Vita Adalberti Aquensis, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 57 (2001) 157-163; ders.:, Vita Adalberti (wie Anm. 1), 27 ff.; Johannes Fried: Gnesen - Aachen - Rom. Otto III. und der Kult des hl. Adalbert. Beobachtungen zum älteren Adalbertsleben, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den "Akt von Gnesen", hg. von Michael Borgolte (= Europa im Mittelalter 5), Berlin 2002, 235-272.

[3] S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris vita altera auctore Brunone Querfurtensi, Redactio brevior, edidit Hedvigis Karwasińska. Monumenta Poloniae historica, series nova IV 2, Warszawa 1969, 43-69.

[4] In c. 30 folgt Weinrich im lateinischen Text der Aldersbacher Vorlage, bei der Übersetzung aber der zweifellos besseren Lesart Karwasińskas: Nonne maior Dominus redemptione (redemptio Karwasińska) nostra Christus [...] / dt.: Hat nicht auch der größere Herr, unser Heiland Christus [...]. - Die Gegenüberstellungen in den Anmerkungen 4, 5, 7 und 11 bieten (mit Buch- und Kapitelangabe; eine Zeilenzählung fehlt) jeweils den korrekten Vitentext mit Nennung der Abweichungen der Ausgabe Weinrichs (Sigle: Wei) in Klammern, dazu, durch einen senkrechten Strich getrennt, gegebenenfalls den damit nicht übereinstimmenden Wortlaut seiner deutschen Übersetzung.

[5] c. 4: ad septem panes sapientię portatur (potatur Wei). - c. 24: Non (fehlt Wei) post multos dies / dt.: Nach nicht wenigen Tagen. - c. 26: Ad ferocium (ferocem Wei) quidem Luitizorum ydola / dt.: Zu den [...] Götzenbildern der wilden Lutizen.

[6] Die Prüfeninger Vita Bischof Ottos I. von Bamberg nach der Fassung des Großen Österreichischen Legendars, hg. von Jürgen Petersohn. Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi LXXI, Hannover 1999.

[7] Wobei auch hier die deutsche Übersetzung teilweise der richtigen Lesung der Monumenta-Edition folgt; vgl. I 15: Innocentii pape secundi (fehlt Wei) privilegio. - I 21: secularisve (sęcularisque Wei) persona / dt.: oder weltliche Person. - I 22: huiuscemodi (huiusmodi Wei). - I 27: non (fehlt Wei) modicum pacis compendium | dt.: ein festes Bollwerk des Friedens. - I 31: in statum pristini decoris (fehlt Wei) [...] reformata. - II Prol.: de venerabili viro Ottone (Otto Wei) episcopo. - III 6: perstitissent (perstetissent Wei).

[8] Ebonis Vita s. Ottonis episcopi Babenbergensis, recognovit et annotavit Ioannes Wikarjak, praefatus et commentatus est Casimirus Liman. Monumenta Poloniae historica, series nova VII 2, Warszawa 1969. - Herbordi Dialogus de vita s. Ottonis episcopi Babenbergensis, recognovit et annotavit Ioannes Wikarjak, praefatus et commentatus est Casimirus Liman. Monumenta Poloniae historica, series nova VII 3, Warszawa 1974.

[9] Jürgen Petersohn: Bemerkungen zu einer neuen Ausgabe der Viten Ottos von Bamberg, 1. Prüfeninger Vita und Ebo, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 27 (1971), 175-194; 2. Herbords Dialog, ebd. 33 (1977), 546-559.

[10] Auf Seite 406 (Herbord II 35) übernimmt Weinrich meine Textverbesserung "prodigialiter" (statt bisher "prodigaliter"), also: "wundertätig" statt "verschwenderisch". Doch stammt diese Lesart nicht, wie auf Seite 406 Anm. 95 behauptet wird, aus der Kurzfassung von Herbords Ottovita (in der diese Passage gar nicht vorkommt), sondern, wie bei Petersohn: Bemerkungen 2 (wie Anm. 9), 550 f. dargelegt, aus der Nürnberger Dialoghandschrift Cent. IV 17.

[11] Ebo:

I 1: ei filios suos (fehlt Wei) ad erudiendum offerebant / dt.: boten ihm [...] ihre Söhne zur Erziehung an. - I 3: capellanum tuum dominum (fehlt Wei) Ottonem / dt.: deinen Kapellan, den Herrn Otto. - II 1: Non recipiemus (respiciemus Wei) te / dt.: Wir werden dich weder aufnehmen [...]. - II 2: vel quem (quam Wei) illic fructum fecerit | dt.: [...] er welchen Ertrag dort erzielte. - II 3: Nam ut verbis beatissimi (beatissimis Wei) apostolorum principis loquar / dt.: Denn um mit den Worten des seligen Apostelfürsten zu sprechen. - II 7: magno illic capitis sui (fehlt Wei) periculo ingressus / dt.: zog dort ein mit großer Gefahr für sein Haupt. -

III 3: obaudire (abaudire Wei). - III 5: opportunam (opportunum Wei) manendi et predicandi quietem.

Herbord:

I 17: neque qui rigat (rigeat Wei) / dt.: noch der, der begießt (1. Kor. 3.7). - I 42: ac liberaliter ministravit (ministrabit Wei) / dt.: und freigebig bereitete. - II 4: illius prudencie ac fidei comittendam presumpserunt (sumpserunt Wei) / dt.: überließen es seiner Klugheit und Treue. - II 16: ut ora doliorum (dolium Wei) [...] prominerent / dt.: dass der Fassrand [...] hervorragte. - II 29: ad conformandum (informandum Wei) se illis / dt.: sich ihnen anzuschließen. - III 3: sed vestre (fehlt Wei) tantum salutis [...] gracia / dt.: sondern einzig zu euerm Heil. - III 4: cultura demonum (domorum Wei) / dt.: Dämonenkult. - III 7: exstirpari (exstirpare Wei) oportet. - III 15: Nempe cum (fehlt Wei) diuturna oracione fatigatus / dt.: Denn als er, durch anhaltendes Gebet ermüdet. - III 29: In (De Wei) die sancti Laurencii / dt.: Am Festtag des heiligen Laurentius. - III 31: omnibus propter que venerat bene (fehlt Wei) conpletis / dt.: alles, weswegen er gekommen war, gut erledigt. - III 33: sororem quoque suam [...], gratam (gratum Wei) sibi pre cunctis rebus / dt.: seine Schwester [...], ihm vor allen Dingen lieb und teuer. - III 34: capitula et oraciones (ocaciones Wei) / dt.: Kapitel und Gebete. - III 38: imperatore ipso et (fehlt Wei) omni aula / dt. Wei: der Kaiser und die ganze Pfalz.

Jürgen Petersohn