Rezension über:

Norman Etherington (ed.): Missions and Empire (= The Oxford History of the British Empire), Oxford: Oxford University Press 2005, xiii + 332 S., ISBN 978-0-19-925347-0, GBP 30,00
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Rezension von:
Sonia Abun-Nasr
Basler Afrika Bibliographien. Namibia Resource Centre - Southern Africa Library
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Sonia Abun-Nasr: Rezension von: Norman Etherington (ed.): Missions and Empire, Oxford: Oxford University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/9094.html


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Norman Etherington (ed.): Missions and Empire

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Die Verbreitung des Christentums im Britischen Empire war weniger eine Leistung europäischer und nordamerikanischer Missionare als vielmehr lokaler Christen, Prediger und Geistlicher auf dem afrikanischen, asiatischen und australischen Kontinent sowie im pazifischen Raum. Diese These zieht sich als verdeckter Leitfaden durch den von Norman Etherington herausgegebenen Sammelband. Zentral und explizit zielt das Buch allerdings auf die Untersuchung des Verhältnisses von Mission und britischer Kolonialherrschaft, das stellenweise auch als das Verhältnis von Mission zu Kolonialherrschaft oder Herrschaft allgemein verstanden wird. Norman Etherington geht in seiner mit Verve geschriebenen Einleitung von in der Geschichtswissenschaft lange gehegten Vorurteilen aus, die besagen, Missionsgesellschaften seien natürliche Handlanger kolonialer Unterdrückung gewesen. In Bezug auf das Britische Kolonialreich rückt er zeitliche und räumliche Proportionen zurecht, indem er daran erinnert, dass das Christentum nicht nur lange vor der britischen Expansion im außereuropäischen Raum entstand und sich ausbreitete, sondern auch nach dem Untergang des Empires etwa in Afrika triumphale Erfolge feierte. Prägnant formuliert er: "Just as the history of the British Empire can be written without much attention to missions, the history of missions can be written without much attention to the Empire." (3)

Bei der Lektüre des Buches wird deutlich, dass die Frage nach dem Verhältnis von Mission und Kolonialherrschaft vielschichtig und schwer zu beantworten ist. Eine grundlegende historische Ebene wird von Andrew Porter angesprochen, der in einem Überblickskapitel auf die schlichte Tatsache hinweist, dass die meisten europäischen Missionsgesellschaften, britische wie nichtbritische, nicht an die Anglikanische Kirche gebunden waren und es daher keinen Automatismus einer parallel verlaufenden Ausdehnung von Mission (oder Kirche) und Kolonialreich gegeben habe. Vielmehr war die ab dem späten 18. Jahrhundert erwachende protestantische Missionsbewegung von internationaler Kooperation geprägt, sodass britische Missionare auch außerhalb des Empires tätig waren und nichtbritische im Empire.

Auf einer spezifischeren Ebene geht es in dem Buch um die politischen Beziehungen zwischen Missionsgesellschaften und kolonialen Autoritäten oder auch, weiter gefasst, um das Verhältnis von Missionaren und Missionsgesellschaften zu jeglichen politischen Institutionen. Die vielfältigen Beiträge des Sammelbandes zeigen vor allem, dass die Ausgestaltung dieser Beziehungen von den jeweiligen historischen und regionalen Verhältnissen abhing und keiner allgemeinen Regel folgte. Die Interaktion von Missionaren und kolonialen Behörden reichte von enger Kooperation und gegenseitiger Instrumentalisierung bis hin zum Widerstand von Missionaren gegen Maßnahmen kolonialer Regierungen und Siedlerinteressen; koloniale Machthaber ihrerseits waren nicht immer an einer Zusammenarbeit mit Missionaren interessiert.

Aus der Perspektive kulturhistorischer Betrachtung stellt sich schließlich die Frage, ob und inwiefern Missionsgesellschaften mit der Christianisierung außereuropäischer Völker zu deren kultureller oder "geistiger" Kolonialisierung beigetragen haben. Dies ist die Frage, die Etherington für wesentlich hält, indem er beide historische Phänomene - Mission und Kolonialreich - in ihrer parallel laufenden Wirkung betrachtet: Missionare und Vertreter des Empires, so schreibt er, waren Akteure in einem historischen "Drama", das der Welt Modernisierung, Globalisierung und westliche kulturelle Hegemonie gebracht habe, wobei Missionsstationen koloniale Welten im Miniaturformat reproduzierten (4). Mit dieser Betrachtungsweise wird nicht mehr nach einer engen historischen Beziehung zwischen der missionarischen und der weltlichen Expansion gesucht. "Mission" und "Kolonialreich" erscheinen lose in einem historischen Spannungsfeld verbunden, das sich aus dem gleichzeitigen Wirken von Missionaren und kolonialen Institutionen im Empire ergab.

Tatsächlich zeigt sich, dass Etheringtons kulturhistorische Fragestellung kein ausreichendes Fundament bietet, um die 13 Einzelbeiträge des Bandes konzeptionell zusammenzuführen. Diese beleuchten Themen einer faszinierenden Spannweite in einer Gliederung, die chronologische, regionale und thematische Aspekte verbindet. Als zeitlicher Ausgangspunkt des Buches dient ein Kapitel über die amerikanischen Kolonien im 17. und 18. Jahrhundert; den Endpunkt des inhaltlichen Bogens bildet ein Beitrag über die Dekolonisation in Afrika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die anderen Kapitel beziehen sich schwerpunktmäßig auf Großbritannien, den pazifischen Raum und Indien, immer wieder aber auch auf Afrika, Australien und Neuseeland. Die Verschiebung der geografischen Schwerpunkte des Empires, vom Mutterland aus gesehen von West nach Ost und dann wieder in westlicher Richtung nach Afrika, spiegelt sich in dieser in groben Zügen angelegten Chronologie wider. Behandelt werden die Rolle von Einheimischen im Evangelisierungsprozess sowie von europäischen Frauen im Missionsalltag, die linguistische Arbeit von Missionaren und ihre ethnografisch-anthropologische Forschung. Beleuchtet wird ebenfalls die Entwicklung der von Missionsgesellschaften aufgebauten Erziehungs- und Gesundheitssysteme sowie die Entstehung unabhängiger Kirchen in Afrika und Neuseeland seit dem 19. Jahrhundert. Gleich zwei Kapitel widmen sich autobiografischen Texten neu bekehrter Christen unterschiedlicher geografischer Herkunft, womit auf die Bedeutung von Selbstzeugnissen zur Konstruktion einer nicht-eurozentrischen Missionsgeschichte hingewiesen wird. Insgesamt werden Themen angesprochen, die in den vergangenen Jahrzehnten im Kontext der Entstehung der Alltagsgeschichte, der historischen Anthropologie, der feministischen Geschichtsschreibung sowie der "post-colonial studies" für die Missionsgeschichte entdeckt wurden und dieser einen zuvor unbekannten Platz außerhalb von Missions- und Kirchenkreisen eröffneten. Die Beiträge spiegeln somit eine breite Vielfalt neuer und anregender Forschungsansätze wider.

Missionsgesellschaften, so die Quintessenz des Buches, entfalteten weltweit eine kulturelle Wirkung, die tatsächlich als Europäisierung beschrieben werden kann. Wenn sie hiermit zu einer Veränderung von Glaubenswelten und Lebensstilen außereuropäischer Völker beitrugen, so hätten sie dies aber niemals ohne die tatkräftige Unterstützung neu bekehrter Christen erreichen können. Afrikanische, indische und australische Christen trugen zur Verbreitung von Gottes Wort mehr bei als "westliche" Missionare, und spätestens mit der Gründung unabhängiger Kirchen erlangten Afrikaner die Deutungshoheit über ihren Glauben wieder. Nicht zu unterschätzen sind auch die Folgen missionarischer Arbeit, die sich jenseits religiöser Sphären entfalteten. Es waren nämlich die in Missionsschulen und -seminaren ausgebildeten afrikanischen Eliten, deren Angehörige ihre Länder in die Unabhängigkeit führten. Die Antwort auf die kulturhistorische Leitfrage des Buches fällt somit ambivalent aus und wird von Peggy Brock in einem Beitrag über "New Christians as Evangelists" auf den Punkt gebracht: "If, as some assert, the missionary movement was part of a larger project of cultural colonialism, it is important to recognize that the footsoldiers of the advance were the indigenous preachers." (132) Wer sich mit dieser Antwort zufrieden gibt, findet in dem Sammelband eine höchst vielseitige und anregende Lektüre. Wer sich eine systematische Abhandlung eines umfassenden Themas gewünscht hatte, wird das Buch ein wenig ratlos, aber dennoch bereichert zur Seite legen.

Sonia Abun-Nasr