Katharina Walgenbach: "Die weiße Frau als Trägerin deutscher Kultur". Koloniale Diskurse über Geschlecht, 'Rasse' und Klasse im Kaiserreich (= Campus Forschung; Bd. 891), Frankfurt/M.: Campus 2005, 297 S., ISBN 978-3-593-37870-1, EUR 34,90
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Sebastian Conrad / Shalini Randeria (Hgg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Unter Mitarbeit von Beate Sutterlüty, Frankfurt/M.: Campus 2002
Corinna Treitel: A Science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2004
Matthias Weipert: "Mehrung der Volkskraft". Die Debatte über Bevölkerung, Modernisierung und Nation 1890-1933, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006
Postkolonialismus und Cultural Studies sind endgültig in Deutschland angekommen. Was vor einigen Jahren noch als eine reine Modeerscheinung abgetan wurde, hat sich inzwischen als ein vielleicht immer noch ungewohntes, zumindest aber nicht mehr angefeindetes Feld etabliert. In der Literaturwissenschaft allemal, doch ebenso in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften werden auch hier zu Lande postkoloniale Perspektiven eingenommen, wird die Rolle kolonialer, rassistischer oder chauvinistischer Ideologeme und Diskurse in der Entwicklung unseres politischen oder kulturellen Selbstverständnisses untersucht und nach den verschiedenen Formen der Konstruktion kollektiver Identität gefragt. Angesichts der Tatsache, dass sich Deutschland inzwischen zu einem klassischen Einwanderungsland entwickelt hat, dessen faktische Multikulturalität (Leitkultur hin oder her) eher zu- als abnehmen wird, erscheint eine solche akademisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Formen der Identitätskonstruktion und des Kulturkonflikts auch allemal sinnvoll und notwendig. Ob dabei allerdings die meist aus den USA stammenden theoretischen Ansätze ohne Weiteres übertragbar sind, ist eine andere Frage.
Besonders in den kultur- und sozialtheoretisch orientierten Erziehungswissenschaften wird schon seit Längerem gekonnt mit der klassischen Begriffs-Triade von race, class, gender jongliert und ist der Import amerikanischer Theorieangebote weit gediehen. Neueste Errungenschaft sind dabei die so genannten whiteness studies, die sich in den USA in Reaktion darauf entwickelt haben, dass die akribische Beschäftigung mit der Konstruktion von Fremdheit, Differenz und Exklusion schon wieder selber zur Musealisierung und Exotisierung der verschiedenen ethnischen Gruppen tendierte, während das Selbstbild der weißen Mehrheits-Kultur als gegeben und bekannt vorausgesetzt wurde. So provokativ diese Wende für die Cultural Studies selber war, so sehr führte sie im Grunde nur zurück zu dem, was eine halbwegs kritische Sozial- und Kulturgeschichte immer schon untersucht hat: die Genealogie der europäisch-westlichen Kultur und ihres Selbstverständnisses. Immerhin aber rücken die whiteness studies dabei besonders jene kolonialen und rassentheoretischen Dimensionen in den Vordergrund, die in der Tat lange zu wenig berücksichtigt wurde.
Katharina Walgenbach hat nun eine Studie zum deutschen Kolonialismus vorgelegt, die dezidiert den Anspruch erhebt, die theoretischen Angebote der whiteness studies in dieses Feld zu übertragen und die Rolle von Geschlecht, Rasse und Klasse im kolonialen Selbstverständnis des Kaiserreichs herauszuarbeiten. Im Zentrum stehen dabei der Frauenbund der deutschen Kolonialgesellschaft sowie die von ihm in den Jahren vor 1914 herausgegebene Zeitschrift 'Kolonie und Heimat'. Insofern Walgenbach keine historische Studie im engeren Sinne vorlegt, sondern den Frauenbund zum illustrativen Medium einer im Grunde theoretischen Erörterung macht, muss sie auch im Rahmen dieses besonderen Anspruchs beurteilt werden.
Auf den ersten 70 Seiten breitet Walgenbach ihre "theoretischen Impulse und begrifflichen Instrumentarien" aus, was zugleich eine Art Einführung in die whiteness-studies darstellt. Dabei kommt fast das komplette Theorie-Arsenal zur Sprache, das die angloamerikanische Kulturwissenschaft der letzten drei Jahrzehnte zu bieten hat. Spätestens bei den nicht gerade wenigen Grundbegriffen der Arbeit aber (Geschlecht, Rasse, Ethnizität, Identität, Kultur, Klasse, Macht, Diskurs und einige mehr), für die immer auch Kurzdefinitionen formuliert werden (alle so einleuchtend wie angreifbar), erwachsen dem Leser die ersten Zweifel, wohin dieser Theorie- und Definitionsaufwand eigentlich führen soll. Der langen Einführung folgt eine kurze Darstellung des Frauenbunds, seiner Entstehung, seiner Vertreterinnen und Aktivitäten. Doch ist dies nur Hintergrundinformation und nicht selber Gegenstand der Analyse. Diese will vielmehr eine Diskursanalyse sein und setzt daher erst mit der ersten Leitfrage nach der Rolle des Geschlechterdiskurses (später folgen der Klassen- und der Rassendiskurs) in den Artikeln der Zeitschrift 'Kolonie und Heimat' ein - bzw. ist in diesem Augenblick auch schon wieder beendet, insofern dieser ganze dritte Teil bereits mit dem Titel "Ergebnisse der Diskursanalyse" überschrieben ist.
Was unter dieser Überschrift Ergebnisse im letzte Drittel des Buches folgt, ist dann aber in der Tat ein umfassendes und detailliertes Panorama der Gedanken- und Problemwelt des kolonialen Frauenbundes und eine überzeugende Darstellung des komplexen Verhältnisses zwischen rassentheoretischen Annahmen, weiblicher Perspektive, bürgerlich-nationalem Selbstverständnis und kolonialem Erfahrungsraum. Von den einzelnen Rubriken der Zeitschrift bis zu wiederkehrenden Themen und Denkfiguren wird die ganze Spannbreite dessen vorgestellt, was diese kolonial engagierten Frauen umtrieb und auf welche Weise sie versuchten, nationale, emanzipatorische und progressive Selbsteinschätzungen mit dem rassistisch-kolonialen Projekt zu verbinden und zu verschmelzen. Für die Untersuchung einer Verschränkung von race, class and gender stellt 'Kolonie und Heimat' - das macht Walgenbach mehr als deutlich - einen echten Paradefall dar. Dass dabei die eingangs aufwändig eingeführte whiteness unter der Hand mit Germanness gleichgesetzt wird, tut der Sache im Grunde keinen Abbruch, insofern es in der Tat um Prozesse der kulturellen Selbstkonstituierung im Kontext einer durch die koloniale Erfahrung herausgeforderten und sich neu bildendenden nationalen Identität geht.
Viel ärgerlicher sind die auch in diesen Teil ständig eingestreuten Theoriebruchstücke, die meist nur den Zweck haben, Plausibilität durch die Autorität prominenter Kulturtheoretiker zu ersetzen. An diesen Stellen wird dann auch das Hauptproblem der Studie deutlich: Sie hätte mit den Ergebnissen beginnen müssen. Von Walgenbachs Befunden zum kolonialen Frauenbund ausgehend, hätte man genügend Material in der Hand gehabt, um die theoretischen Annahmen zur Konstruktion von whiteness zu überprüfen oder, noch besser, sie so kreativ wie kritisch weiterzuentwickeln. Eben das aber geschieht nicht, was den unschönen Eindruck erweckt, dass die whiteness studies hier nicht als Anregung, sondern als Dogma eingeführt werden und die gesamte Diskursanalyse nur den (gänzlich un-foucaultschen) Zweck hat, die theoretischen Vorannahmen zu bestätigen.
Das ist umso enttäuschender, je wichtiger die Grundprobleme sind, um die es in Walgenbachs Buch geht. Gute Theorie sollte die Wirklichkeit erschließen helfen, indem sie in ganz neuem Licht erscheint, und sich nicht darauf beschränken, die Befunde in kategoriale Kästchen zu sortieren. Und gerade im Falle so komplexer und hochaktueller Probleme wie Nationalismus, Rassismus und Kulturkonflikt hilft der Hinweis auf die Konstruktion alles Wirklichen, auf die Walgenbachs Argumentation am Ende hinausläuft, auch dann wenig, wenn sie mit einem umfassenden Theorieapparat hergeleitet wird. Entsprechend mager erscheint denn auch die politisch-moralische Schlussfolgerung der Studie: "Wenn Weiße Identitäten historische Produkte sind, dann lassen sie sich auch verändern" - Wenn es nur so einfach wäre!
Christian Geulen