Falk Wiesemann: Sepulcra judaica. Bibliographie zu jüdischen Friedhöfen und zu Sterben, Begräbnis und Trauer bei den Juden von der Zeit des Hellenismus bis zur Gegenwart, Essen: Klartext 2005, 797 S., ISBN 978-3-89861-422-1, EUR 98,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Literatur zur Geschichte der Juden in Deutschland hat Konjunktur. Im Mittelpunkt des Interesses stehen unbestritten die Ereignisse der NS-Zeit, wobei sich gewisse Schwerpunkte wie Deportation und fiskalische Ausplünderung nicht übersehen lassen. Im regionalen Rahmen kommt auch den Synagogen eine große Bedeutung zu. Ein dritter Schwerpunkt hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit den jüdischen Friedhöfen oder ganz allgemein dem jüdischen Bestattungswesen herausgebildet. Über die Gründe muss man nicht lange spekulieren, sind doch die jüdischen Friedhöfe und die Grabsteine mit ihren hebräischen Inschriften heute oft die einzigen verbliebenen sichtbaren Zeugnisse des im 'Dritten Reich' untergegangenen Judentums in Deutschland.
Zu den klassischen Hilfsmitteln auch der modernen Forschung zählen Bibliografien. Falk Wiesemann, in diesem Metier durch Veröffentlichungen bereits hinreichend ausgewiesen, hat sich, unterstützt von einem breiten Kreis internationaler Fachkräfte, der mühevollen Aufgabe unterzogen, zu dem jüdischen Friedhofswesen eine Bibliografie zu erstellen.
Das Werk ist monumental angelegt. Die erfassten Titel reichen nicht nur chronologisch von der Antike bis zur Gegenwart, sondern auch geografisch weltweit von Amerika bis Australien. Kein noch so exotischer Staat dieser Erde ist ausgespart. Gegliedert ist das Werk einleitend in die Kapitel "Sterben, Begräbnis und Trauer" sowie "Judaea-Palaestina". Die Masse der Titel ist in den chronologischen Hauptkapiteln Antike, Mittelalter und Neuzeit erfasst, in denen jeweils zuerst nach Kontinenten, dann nach Ländern und Staaten untergliedert wird. Im Bestand Neuzeit ist Deutschland dann noch einmal nach den heutigen Bundesländern und darüber hinaus sogar noch nach Orten unterteilt. Wer über diese Gliederung den Zugang scheut, wird über vier Indices - Personen-, Geografisches, Sach- und Verfasserregister - mühelos weitergeleitet. Im Endergebnis werden dem Forscher 8.761 Titel auf 797 Seiten geboten.
Angesichts einer so globalen Aufgabenstellung erhebt sich die Frage, wo die letztlich unentbehrlichen Grenzen gezogen sind. In der Einleitung äußert sich hierzu der Bearbeiter konkret und deckt auch die zwangsläufigen Probleme auf. So bleiben aus nachvollziehbaren Gründen gedruckte Ritualbücher wie auch die ältere halachische Literatur, dann aber auch Trauerpredigten und Trauerreden ausgespart. Memorbücher, die Beerdigungsbruderschaften und ähnliche Themen zum Bestattungswesen sind hingegen erfasst. Friedhofsordnungen wurden nur aufgenommen, wenn sie als gedruckte und eventuell auch kommentierte Exemplare in die Bibliotheken gewandert sind. Die Masse der durchweg gedruckten Friedhofsordnungen mit einem im Übrigen sehr unterschiedlichen Quellenwert liegt in den Archiven und ist somit nicht vertreten. Hingegen haben sich die Bearbeiter der Mühe unterzogen, auch Titel zu erfassen, aus denen ein Bezug zu einem Friedhofsthema nicht zwingend hervorgeht bzw. nur ein Unterkapitel dem Friedhof gewidmet ist. In diesen Fällen wird in einem kurzen Sachhinweis der Inhalt erläutert. Eine solche Tiefenerschließung hilft dem Benutzer insbesondere bei der Spezialliteratur und der lokalen Literatur ganz enorm weiter und hebt das vorliegende Werk über den Rahmen einer "normalen" Bibliografie deutlich hinaus.
Trotz seines weltumspannenden Ansatzes liegen die Schwerpunkte eindeutig auf der Überlieferung in Deutschland. Dies ergibt sich zwangsläufig einfach daraus, dass das Thema "jüdischer Friedhof" vor allem in der deutschen Nachkriegsliteratur und dort wiederum im lokalen Bereich ein fester Bestandteil der Forschungen zur jüdischen Geschichte ist. Eine Überprüfung der gebotenen Titel zeigt, dass die Bearbeiter professionell und umsichtig alle Hilfsmittel und auch die versteckte Literatur beispielsweise in lokalen Zeitschriften ausgewertet haben. Lücken sind am ehesten noch dort festzustellen, wo der Friedhof nur in einem Unterkapitel behandelt ist.
Die Einleitung ist Ende des Jahres 2003 geschrieben und setzt damit den zeitlichen Schlusspunkt. Tatsächlich sind auch noch Titel des Jahres 2003 aufgenommen, doch fehlen Beiträge vor allem aus den Jahren ab 2000. Dies liegt einfach daran, dass aktuelle Titel den Bearbeiter erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erreichen. Jeder, der sich mit einer Bibliografie abgibt, wird mit diesem Problem der Aktualität konfrontiert.
Ein Werk mit einem solchen Anspruch und mit einem solchen Umfang ist nie vollständig. Es macht an dieser Stelle deshalb auch keinen Sinn, auf fehlende Titel hinzuweisen. Wie immer bei solchen Werken gibt es kleine Fehler bei der geografischen Zuordnung lokaler Orte, konkret etwa zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz. Zu Fehlern führen auch namensgleiche Orte (z. B. Rüdesheim am Rhein und Rüdesheim bei Bad Kreuznach, Nr. 5765 und Nr. 6553). Darüber kann man jedoch hinwegsehen, zumal die Titel korrekt angegeben sind.
Im Ergebnis liegt ein monumentales Werk mit einem hohen Grad an Vollständigkeit und bibliografischer Verlässlichkeit vor. Die Frage bleibt, ob es wirklich eine derart übergreifende Forschung zum jüdischen Bestattungswesen gibt, die ein solches umfassendes Hilfsmittel rechtfertigt. Gerade das jüdische Bestattungswesen und dann auch jeder einzelne Friedhof selbst zeigen in Deutschland - aber nicht nur hier - ausgeprägte, oft von der christlichen Umwelt beeinflusste durchaus individuelle Züge. Vielleicht hätte man das Gesamtwerk auch in zwei annähernd gleich umfangreiche Teile (Deutschland und der Rest der Welt) teilen können. Diese Bemerkungen ändern aber nichts an der Feststellung, dass jedem, der sich in lokalem und regionalem Bereich, erst recht aber übergreifend mit jüdischen Friedhöfen und dem jüdischen Bestattungswesen beschäftigt, mit diesem Buch ein wirkliches Hilfsmittel in die Hand gegeben ist.
Hartmut Heinemann