Patricia Fortini Brown: Private lives in Renaissance Venice. Art, Architecture, and the Family, New Haven / London: Yale University Press 2004, IX + 312 S., 279 Abb., ISBN 978-0-300-10236-9, GBP 35,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Marianne Koos: Bildnisse des Begehrens. Das lyrische Männerporträt in der venezianischen Malerei des frühen 16. Jahrhunderts - Giorgione, Tizian und ihr Umkreis, Emsdetten / Berlin: edition imorde 2006
Karin Fuchs: Ein Kunstwerk im Dienst der Republik. Die Fresken der Sala del Concistoro des Domenico Beccafumi (1529-1535) im sienesischen Stadtpalast, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006
Giancarla Periti (ed.): Drawing Relationships in Northern Italian Renaissance Art. Patronage and Theories of Invention, Aldershot: Ashgate 2004
Überwältigt von der Großartigkeit des Lebens (the Gorgeousness of Life) zeigte sich John Ruskin 1858, als er in der Galleria Sabauda in Turin "Die Königin von Saba" studierte, die er noch Paolo Veronese selbst zuschrieb. [1] Die "Großartigkeit des Lebens", wie sie uns in Bildern Veroneses und seiner Zeitgenossen entgegentritt, war die Lebenswirklichkeit des venezianischen Adels der Renaissance, der Patricia Fortini Brown ihr neues Buch "Private Lives in Renaissance Venice" widmet. Mit ihm legt sie nach "Narrative Painting in the Age of Carpaccio" (1988) und "Venice and Antiquity. The Venetian Sense of the Past" (1996) ein weiteres grundlegendes Werk zur Kunst- und Kulturgeschichte Venedigs vor.
Als Slade Professor of Fine Arts an der University of Cambridge 1998 in die Nachfolge John Ruskins tretend, der 1869 diesen an den drei Universitäten Cambridge, Oxford und London von dem wohlhabenden Rechtsanwalt und Antiquitätensammler Felix Slade eingerichteten Lehrstuhl in Oxford innehatte, legte sie ihre Untersuchungen zunächst in acht Vorträgen dar, aus denen die acht Kapitel des Buches hervorgingen. Wie bereits in ihren vorangegangenen Werken gelingt es Fortini Brown auch diesmal wieder, gleichermaßen den Fachmann wie den Laien anzusprechen. Hierzu trägt nicht zuletzt die opulente Bildausstattung bei, die präzise mit dem Text abgestimmt ist. Die zahlreichen Neuaufnahmen gewähren gelegentlich auch - aber dies sei nur am Rande erwähnt - amüsante Einblicke in das private Leben der heutigen Nutzer der Paläste.
Aus Bescheidenheit, so Francesco Sansovino 1581 in Venezia Città nobilissima e singolare würden die Venezianer nicht den Begriff "Palast" (palazzo) sondern die schlichte Bezeichnung "Haus" (casa) für ihre prächtigen Wohnbauten verwenden. Die metaphorische Bedeutung des Wortes "Haus" als Bezeichnung für die Familie zeigt die enge Verknüpfung des Wohnsitzes mit der Identität einer Familie und bietet zugleich einen Erklärungsansatz für die von Fortini Brown geschilderte symbolische Bestrafung des Wohnhauses in Vertretung der Familie (24-25). Eine Kontextualisierung der materiellen Kultur des Wohnens ermöglicht der Autorin, inhaltliche Valenzen der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung des venezianischen Adels zu bestimmen. Ihre einleitende Fragestellung gilt daher dem Selbstverständnis dieser sozialen Gruppe, die nicht auf eine feudale, sondern auf eine merkantile Vergangenheit zurückblickte. Sie zieht zur Beantwortung dieser Frage zeitgenössische theoretische Traktate heran und stellt im Selbstverständnis des venezianischen Adels eine Bipolarität zwischen Frugalität und Überfluss fest. Einer nivellierenden und integrierenden Schlichtheit auf der einen Seite, die die venezianische Gesellschaft vom Adeligen bis zum einfachen Fischer zusammenbinden sollte und Distinktion nur durch Verdienst erlaubte, stand die aristotelische Verpflichtung gegenüber, angemessen, das heißt seinem Stand und Wohlstand entsprechend zu leben. Diese widerstrebenden Grundprinzipien lassen sich in der Kleidung und in der Gestaltung von Festen ebenso aufzeigen wie in der Fassadengestaltung der Familienpaläste.
Wenn auch das Hauptaugenmerk der Autorin den Lebensumständen des Adels gilt, so verzichtet sie doch nicht auf einen Ausblick auf die soziale Diversität Venedigs, die sich an den unterschiedlichen Typen von Wohnbauten ablesen lässt. Aus dem Besitz einfacher Mietshäuser bezogen viele adlige Familien einen beträchtlichen Teil ihrer Einkünfte. Hier wohnten die Familien ihrer Dienerschaft.
Bereits 1297 war in der so genannten Serrata der Kreis derjenigen Familien festgelegt worden, deren männliche Mitglieder seither die politischen Geschicke der Republik Venedig lenkten. Nur selten waren in den darauf folgenden Jahrhunderten neue Familien aufgenommen worden. Familie und Abstammung bestimmten die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe und so verwundert es nicht, dass Wappen, Familienhistoriografien und Ahnengalerien zu den bevorzugten Medien ihrer Selbstdarstellung gehörten. Doch gehört es sicher zu den überraschenden Erkenntnissen, dass sich auch eine Kurtisane aus adliger Familie derselben Formen der Repräsentation bediente. Das Inventar der Wohnung einer Tochter aus bestem Hause, Elisabetta Condulmer, zeigt, dass ihre Wohnung genauso eingerichtet war, wie es dem Stand ihrer Familie entsprach. Der portego ihrer Wohnung, der zentrale Empfangsraum, enthielt zehn Gemälde und acht Zeichnungen, 24 Stühle und einen Kiefernholz-Esstisch, eine Walnuss-Kredenz, bemalte Bänke und fünf beschlagene Truhen mit dem Wappen der Familie. Ebenso waren weitere Gegenstände in den übrigen Räumen mit dem Familienwappen ausgezeichnet (173-181).
Wer waren die Rezipienten familiärer Repräsentation? Diese Frage ist mit derjenigen nach privaten und öffentlichen Bereichen des Wohnens eng verknüpft. Zweifellos war die Fassade eines Familienpalastes der öffentlichste Ort familiärer Repräsentation und im wahrsten Sinn des Wortes das äußere Gesicht des Hauses. Mit ihm wirkte die Familie auf das Gesamtbild der Stadt ein: ein Argument, das zur Legitimierung großen Bauaufwandes durchaus herangezogen wurde (38). Die Zugänglichkeit des Inneren war gestaffelt. Treppenhaus und portego waren die öffentlichsten Bereiche des Hauses. Aber auch die an den portego angrenzenden, meist multifunktional genutzten Räume standen je nach Anlass Besuchern offen. Der Hausherr empfing seinen Besuch in seinem Wohn- und Arbeitszimmer, anlässlich der Geburt eines Kindes empfing dessen Mutter ihre Gäste in ihrem Schlafzimmer.
Differenziert untersucht Fortini Brown, inwieweit Geschlechterrollen und geschlechtsspezifische Aufgaben in der Familie die Disposition und innere Gestaltung des venezianischen Hauses prägten. Die Architekten Sebastiano Serlio und Vincenzo Scamozzi sahen getrennte Wohnbereiche für die weiblichen und männlichen Familienmitglieder vor. Vor allem die unverheirateten Töchter einer Familie, die das Haus nur tief verschleiert verließen, sollten auch zuhause nicht den Blicken von fremden Besuchern ausgesetzt werden. Ihre Zimmer waren durch separate Flure zugänglich und sie sollten in den Idealplänen für Wohnbauten venezianischer Adeliger über Terrassen verfügen, die nicht einzusehen waren. Die Bedeutung geschlechtsspezifischer Wohnbereiche kann Fortini Brown durch eine Untersuchung von Inventaren relativieren, die zeigen, dass Gegenstände, die sich weiblichen Eigentümern oder dem Bereich der Kindererziehung zuordnen lassen, in allen Wohnräumen einer Familie anzutreffen waren, auch in den Räumlichkeiten des Familienvaters.
Inventare spiegeln das häusliche Leben wider, die Aufgaben und Freizeitbeschäftigungen der Familienmitglieder. Die vielen Gegenstände, die mit der Kindererziehung im Zusammenhang stehen, verweisen auf die Hauptaufgabe der Ehefrau, sich um die Nachkommenschaft zu kümmern. Gerätschaften textiler Handarbeit dokumentieren die Hauptbeschäftigung der weiblichen Familienangehörigen, Musikinstrumente, Spielkarten und Bücher zeigen die Bedeutung von Musik, Spiel und Lektüre für die Freizeitbeschäftigung. In einem eigenen Kapitel geht Fortini Brown auf Sammlungen ein. Sie eröffneten zum einen die Möglichkeit, sich die Welt ins Haus zu holen, um sie zu studieren, zum anderen stellten auch sie ein Instrument der Repräsentation dar.
Der weite Bogen, den Fortini Brown in ihrer Darstellung des privaten Lebens im Venedig der Renaissance spannt, erfordert die Kunst der Beschränkung im Einzelnen. Für viele Aspekte ihrer Untersuchung kann sie auf herausragende Spezialstudien zurückgreifen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Stellvertretend für viele andere seien hier die Arbeiten von Wolfgang Wolters zur Architektur, Bauausstattung und Bauornamentik in Venedig, das Buch Denis Romanos zur Rezeption ökonomischer Traktate in Venedig und Monika Schmitters Untersuchung zu venezianischen Privatsammlungen im frühen 16. Jahrhundert genannt. [2] Bei Primärquellen, die noch nicht so gut erschlossen sind, wie beispielsweise den Inventaren, muss sich Fortini Brown notgedrungen auf eine Blütenlese beschränken. Eine umfassende Aufarbeitung dieses Quellenbestandes bleibt nach wie vor ein Desiderat der kulturgeschichtlichen Venedigforschung.
Mit dem Titel des Werkes nimmt Fortini Brown Bezug auf den großen Vorläufer ihrer Untersuchung, Pompeo Molmentis "La Storia di Venezia nella Vita privata". In drei Bänden hatte der Autor eine Kulturgeschichte des privaten Lebens von den Ursprüngen bis zum Ende der Republik entworfen. Die Schlichtheit des von Fortini Brown gewählten Titels zeugt von understatement und Souveränität, die sich die Kulturgeschichte im Zeitalter ihrer allgemeinen Akzeptanz erlauben kann. Der gewählte Plural "Private Lifes" zeugt von einem bewussten Verzicht auf Dogmatik und lenkt den Blick auf die Vielfalt von Lebensentwürfen, die in ihrem Werk dargestellt werden. Nichtsdestoweniger enthüllt sie in ihrer Untersuchung auch das Einigende. Unternimmt sie es doch nachzuweisen, dass sich die Patrizier in ihrer Lebensführung und Selbstdarstellung den ethischen und gesellschaftlichen Idealen der Republik Venedig verpflichtet fühlten und diesen - ob sie ihnen nun de facto gerecht wurden oder nicht - in ihren Wohnungen und Häusern Ausdruck gaben. Sie trugen so zu der Stabilisierung jener Fiktion gesellschaftlichen Konsenses bei, der als "Mythos Venedig" bezeichnet wird. Molmentis opus magnum, das 1879 zuerst erschien, erreichte bereits zu Lebzeiten des Autors mehrere Auflagen und fand einen Leserkreis weit über das Fachpublikum hinaus. Fortini Browns Werk ist zu wünschen, dass ihm ein ähnlicher Erfolg beschieden sei, wie seinem Vorläufer aus dem 19. Jahrhundert.
Anmerkungen:
[1] Vgl. hierzu David Rosand: Il Veronese di Ruskin, in: Jürg Meyer zur Capellen und Bernd Roeck (Hg.): Paolo Veronese. Fortuna Critica und künstlerisches Nachleben, [= Studi. Schriftenreihe des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Centro Tedesco di Studi Veneziani, 8], Sigmaringen 1990, 17-30.
[2] Wolfgang Wolters: Architektur und Ornament: venezianischer Bauschmuck der Renaissance, München 2000; Denis Romano: Housecraft and Statecraft, Domestic Service in Renaissance Venice, 1400-1600, Baltimore u. London 1996; Monika Anne Schmitter: The Display of Distinction: Art Collecting and Social Status in Early Sixteenth-Century Venice, Ph.D. Diss., University of Michigan 1997.
Gabriele Köster