Rezension über:

Andreas Henning: Raffaels Transfiguration und der Wettstreit um die Farbe. Koloritgeschichtliche Untersuchung zur römischen Hochrenaissance (= Kulturwissenschaftliche Studien; Bd. 125), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, 295 S., 32 Farbtafeln, 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06525-3, EUR 58,00
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Rezension von:
Jürg Meyer zur Capellen
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Jürg Meyer zur Capellen: Rezension von: Andreas Henning: Raffaels Transfiguration und der Wettstreit um die Farbe. Koloritgeschichtliche Untersuchung zur römischen Hochrenaissance, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/9238.html


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Andreas Henning: Raffaels Transfiguration und der Wettstreit um die Farbe

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Wie kaum ein anderes Gemälde von Raffael eignet sich die Transfiguration zu einer Erörterung über den Gebrauch und Einsatz der Farbe, ist dieses eigenhändige Werk doch im indirekten Wettstreit mit Michelangelo entstanden, wenngleich Sebastiano del Piombo stellvertretend die Rolle des Gegenspielers übernahm. So klärt Raffael in diesem Gemälde wie nirgendwo zuvor seine Position als Maler. Insofern hat es durchaus eine gewisse Berechtigung, Raffael in diesem Fall ein hohes Maß an Selbstreflexion zu unterstellen. Der Autor legt in seiner Dissertationsschrift zunächst in einer genauen Analyse des Gemäldes eine solide Grundlage für seine weiteren Betrachtungen. Er erörtert die Transfiguration unter den drei Fragestellungen Auftrag und Auftraggeber, Kolorit und Maltechnik sowie jener des Werkprozesses. Im ersten und dritten Kapitel gibt er auf einem hohen Niveau die aktuelle Forschungslage wieder und behandelt auch andere Fragen dieses an Problemen überreichen Werkes; gelegentlich folgt er in seinen sachkundigen Ausführungen hier wie auch später dem Artikel seines Lehrers Rudolf Preimesberger. [1] Neben zahlreichen treffenden Beobachtungen finden sich allerdings auch problematische Annahmen, wie beispielsweise diejenige der Identifizierung der weiblichen Rückenfigur als Maria Magdalena, die hier ebenso wenig überzeugt wie bei Preimesberger. Das Decorum dieser, die Augen des Betrachters auf sich ziehenden und damit in die Historia einführenden Figur ist der Darstellung einer Maria Magdalena nicht angemessen und widerspricht dem Vorgehen von Raffel, der die convenienza gerade in Altarbildern genau beachtete. Es bleibt vorerst die Frage offen, ob diese Figur überhaupt im herkömmlich ikonografischen Sinn zu interpretieren ist.

Im zentralen Kapitel zu "Kolorit und Maltechnik" (II, 55 ff.) erörtert der Autor zunächst die auch für andere Werke Raffaels wichtige Frage der farbigen Untermalung. Er präzisiert diese Besonderheit in der Ausführung der Transfiguration als Methode Raffaels, der unterschiedliche Farben für die Untermalung mit Blick auf die Steigerung der endgültigen Farbwirkung verwendete. Im nachfolgenden Paragrafen wird dann die Farbgebung selbst gründlich analysiert. Nachdrücklich betont der Autor die Bedeutung der Farbe Weiß, die er als eigenes Thema begreift und auf die Erscheinung Christi bezieht. Seine überzeugenden Erörterungen zu "Kolorit und Maltechnik" im Kontext mit dem Gehalt des Gemäldes dürfen als beispielhaft gelten, bezieht er sich doch hier nicht nur auf die einschlägigen Publikationen zum Thema, sondern auch auf nicht veröffentlichte Bildakten des von 1972 bis 1975 gründlich restaurierten Gemäldes. Zudem stützt er sich auf das sorgfältige Studium des Gemäldes selbst.

Das Kapitel III ("Die Neuartigkeit von Raffaels Transfiguration ...") ist der Ikonografie des Themas gewidmet, wobei der Autor wieder einen Schwerpunkt auf die Farbe legt. Wenn er anschließend "Raffaels Farbgebung im Kontext der römischen Hochrenaissance" analysiert (Kap. IV), so begibt er sich auf ein ebenso interessantes wie auch schwieriges Feld. Er erörtert hier unter dem Oberbegriff "Das chiaroscuro" in einem eigenen Paragrafen "Raffaels Leonardo-Affirmation in den Bildern für König Franz I.". Hier hat man allerdings das Gefühl, dass der Autor komplexe Sachverhalte gelegentlich thesenhaft vereinfachend darstellt. So ist es beispielsweise weitgehend ungeklärt, ob die drei, für König Franz I. von Frankreich geschaffenen Gemälde mit religiöser Thematik (der Hl. Michael, die Madonna Franz' I. sowie die Hl. Margarete) "weitestgehend eigenhändig von Raffael" ausgeführt wurden (150 ff.). In der Madonna Franz' I. sieht man auch heute noch durchweg eine Beteiligung der Werkstatt, vor allem wohl Giulio Romanos; im Hl. Michael neigt man dazu, zumindest die Figuren Raffael selbst zu geben; die Hl. Margarethe ist indes in einem derart problematischen Zustand, dass Entscheidung bezüglich der Eigenhändigkeit heute kaum noch möglich ist. Damit kommt in erheblichem Maße die Werkstatt ins Spiel, womit sich zumindest die Frage ergibt, ob das künstlerische und technische Vorgehen der Werkstattmitglieder in der Realisierung der Gemälde mit jenem von Raffael gleichzusetzen ist. Der Autor klammert diesen Aspekt weitgehend aus. - Besonders zweifelhaft erscheint mir zudem der Rekurs auf die These von Weil-Garris Posner, Raffaels Verwendung des chiaroscuro sei mit der Vorliebe König Franz I. für die Kunst Leonardos zu begründen. Es fehlen alle historischen Belege für eine derartige Vorliebe von Franz I. bzw. des französischen Herrscherhauses und gleichermaßen für eine entsprechende Vorgehensweise Raffaels. Man darf dagegen annehmen, dass Raffael in seinen späten römischen Jahren in eine explizite Auseinandersetzung mit dem malerischen Konzept von Michelangelo trat, welches sich an der Decke der Sixtinischen Kapelle manifestierte und größte Beachtung gefunden hatte. Für Raffael gab es in dieser Auseinandersetzung zwei zentrale künstlerische Pole, zum einen die Antike, welche er im Übrigen als Maler vollkommen anders verstand als Michelangelo, und das chiaroscuro Leonardos. Henning versteht Raffaels Rekurs auf Leonardo als Kritik an diesem (158 ff.), doch bin ich der Meinung, dass dieser Begriff in der jüngeren Diskurs-Kunstgeschichte allzu sehr strapaziert wird. Man muss in diesem Fall auch nicht von Kritik sprechen, da für Raffael das sfumato Leonardos keine künstlerische Lösung seiner Fragestellungen bot, wie Henning ansonsten überzeugend darlegt. Es versteht sich im Grunde von selbst, dass Leonardo für den reifen Raffael in den späten römischen Jahren nicht mehr jenes große Vorbild war, wie noch in seiner Florentiner Zeit, aber eben doch eine künstlerische Position vertrat, an der er sich - wenn auch sehr frei - orientieren konnte. Wenn Henning nachfolgend unter dem Begriff der Farbigkeit (163) die Raffael entgegen gesetzten Positionen von Sebastiano del Piombo und Michelangelo untersucht, gelingen ihm auch hier durchaus den Sachverhalt präzisierende Beobachtungen.

In dem knappen Kapitel V zum "Kolorit der Transfiguration in den Quellen des Cinquecento" (211 ff.) erörtert Henning vor allem die im Vergleich zu anderen Autoren ergiebigsten Beobachtungen von Vasari. Er macht deutlich, dass sich Vasari eingehend mit dem Kolorit des Gemäldes auseinander gesetzt hat, und zugleich weist er überzeugend etwa auch die These von Margriet van Eikema Hommes zurück. [2] Die Autorin sieht das chiaroscuro des Bildes nicht als ursprünglich an, sondern sucht dieses als ein starkes, durch die Verwendung von Lampenruß verursachtes Nachdunkeln zu erklären.

Diese Passagen leiten zu dem letzten großen Kapitel der Studie "Die Farben Raffaels in Vasaris Künstlerbiographie und den Kunsttraktaten des Cinquecento" (VI, 221 ff.) über, in welchem Vasari wieder der Hauptmatador ist. Der interessanteste Beitrag scheint mir hier jener zu "Raffaels grazia dei colori" zu sein (231-238), in welchem Henning zunächst diesen für die Raffael-Rezeption zentralen Begriff im größeren Kontext klärt und sodann auf die Besonderheit seiner harmonischen Farbgebung ausdehnt. Er macht zudem die enge Verbindung der grazia der Kunst (hier der Farben) Raffaels mit dessen sittlicher grazia deutlich. Bereits in diesem Paragrafen, aber auch in anderen Abschnitten des letzten Kapitels hat man allerdings gelegentlich den Eindruck, dass Henning aus Vasari zu sehr einen Systematiker macht. Diese Neigung ist generell in der jüngeren Kunstgeschichte zu erkennen und wohl auch dem Umstand geschuldet, dass wir heute mit EDV-Mitteln die Viten (und natürlich auch andere Quellen) in einer Weise durchforsten können, wie das früher nicht der Fall war. Und daraus können sich Einsichten ergeben, die nicht unbedingt solche sein müssen, sondern eher für unser Computer-Zeitalter bezeichnende Thesen.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass die Arbeit von Henning viele interessante Präzisierungen bringt, dass sie dort am stärksten ist, wo sie sich intensiv und unmittelbar mit dem Kunstwerk auseinandersetzt. Störend sind allerdings der gespreizte verbale Vortrag und die Neigung, auch dort Fremdworte zum Einsatz zu bringen, wo diese wenig zu einem vertieften Verständnis beitragen - es sind nicht nur die als solche kaum aussagekräftigen Begriffe des Bildmajor und Bildminor, sondern es ist das Vorgehen im Ganzen. Nun sollte man bei einer Dissertation als wissenschaftlichem Erstlingswerk die Messlatte nicht allzu hoch ansetzen, dies zumal als im besonderen Fall die spezifische Ausdrucksweise wohl auch der Schulung zuzuschreiben ist. Der Autor hat in seinem jüngsten Beitrag zu Raffael [3] zu einer klaren und anschaulichen Sprache gefunden, die sich zweifellos an ein größeres Publikum richtet, aber durchaus dem wissenschaftlichen Anspruch gerecht wird.


Anmerkungen:

[1] Preimesberger, Rudolf: Tragische Motive in Raffaels "Transfiguration". Zeitschrift für Kunstgeschichte 50, 1987, 88-115.

[2] Van Eikema Hommes, Margriet: Discoloration or chiaroscuro? An Interpretation of the dark areas in Raphael's Transfiguration of Christ. Simiolus 28, 2000-2001, 4-43.

[3] Brink, Claudia / Henning, Andreas (Hg).: Raffael: Die Sixtinische Madonna. Geschichte und Mythos eines Meisterwerkes. München, Berlin 2005.

Jürg Meyer zur Capellen