Charles King: The Black Sea. A History, Oxford: Oxford University Press 2004, xxi + 276 S., 15 plates, 4 maps, ISBN 978-0-19-924161-3, GBP 20,00
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Charles King, Professor an der School of Foreign Service und am Department of Government an der University of Georgetown (USA), hat sich zum Ziel gesetzt, eine Geschichte der Schwarzmeerregion seit den Anfängen bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts zu schreiben. Dabei wurden die Anrainerländer, die durch das Schwarze Meer miteinander in Kontakt standen, behandelt. Die politischen Entwicklungen der letzten Dezennien bewirken einen erheblichen Aufschwung in der historischen Erforschung der Region. [1]
Das rezensierte Buch umfasst 7 Kapitel. In Kapitel 1 versucht King, die Schlüsselbegriffe zu definieren und das Spezifische an dem behandelten Raum näher zu bestimmen. Kapitel 2 schildert die antiken Vorstellungen vom Schwarzen Meer. Zu Recht erscheint Herodot als jener Geschichtsschreiber, der diese Region durch kenntnisreiche Beschreibungen der griechischen Hafenstädte und skythischen Stämme in die Weltliteratur einführte. Seitdem begegnet der Schwarzmeerraum immer wieder als gesondertes Gebiet bei den klassischen Autoren, etwa bei Strabon (der aus Amaseia in Nordkleinasien stammte), Ovid (Tristia) und Arrian (Periplus). Dabei sollte man hervorheben, dass sich die damalige "zivilisierte" Welt in den Vorstellungen der meisten Schreiber ausschließlich auf die Mittelmeer- und Schwarzmeervölker von den Säulen des Herakles (Gibraltar) im Westen bis zum Phasisfluss (Rioni in Georgien) im Osten erstreckte (confer Platon, Phaidon 109B). King betrachtet die Kimmerier als ein Volk aus den nördlichen Schwarzmeersteppen (28). Diese immer noch in der Forschung verbreitete Ansicht findet jedoch keine Stütze in den Quellen. [2] Bei der Darstellung der skythischen Geschichte scheint King nichts von den Siedlungsgebieten der Skythen nördlich des Kaukasus zu wissen; erst im 6. Jahrhundert wanderten sie in westlicher Richtung in das nördliche Schwarzmeergebiet (35). [3] Der Nordschwarzmeerraum geriet in das Blickfeld des pontischen Königs Mithradates VI. Eupator (120-63 v. Chr.) seit Beginn seiner Alleinherrschaft. Er trachtete danach, einen gesamtpontischen Staat zu bauen (diese Zielsetzung knüpfte übrigens an die Politik des in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts herrschenden Pharnakes I. an). Zunächst unterwarf Mithradates VI. die Skythen der Krim sowie das bosporanische Reich. Der pontische Herrscher errichtete ferner ein Protektorat über die meisten griechischen Städte am Pontos Euxeinos und vermochte, die größten Völker im ganzen Schwarzmeerraum an sich zu binden. Das pontische Reich umfasste dementsprechend unter Mithradates VI. nicht nur Territorien in Kleinasien, sondern erstreckte sich auch bis in das nördliche, westliche sowie östliche Schwarzmeergebiet. [4] Nach der Niederlage des Mithradates VI. in seinen Kriegen gegen Rom gerieten die meisten Gebiete an der westlichen, südlichen und nördlichen Schwarzmeerküste unter römische Kontrolle. 330 n. Chr. wurde am Eingang zum Schwarzmeer die Stadt Byzantion vom römischen Kaiser Konstantin I. wegen der wachsenden Bedeutung der Osthälfte des Römischen Reiches als neue Hauptstadt feierlich eingeweiht. Wenig später nannte man sie zu Ehren des Kaisers Konstantinopel; die Metropole wurde in der Folgezeit zum Mittelpunkt von Verwaltung und Kultur des Oströmischen Reiches.
Im dritten Kapitel wendet sich King der byzantinischen Epoche zu. Im Mittelalter übten mächtige Steppenvölker der Hunnen, Awaren, Ungarn, Petschenegen, Kumanen und Mongolen einen nachhaltigen Einfluss auf die politischen Verhältnisse der ganzen Schwarzmeerregion aus. Zugleich entwickelte sich ein Handel mit Mittel- sowie Osteuropa, zu dessen Hauptzentren Kaffa auf der Krimhalbinsel zählte. Der byzantinische Kaiser hatte in Notzeiten den italienischen Händlern aus Genua, Venedig und Pisa Privilegien zugestehen müssen. Zu neuen Herren der Schwarzmeerregion wurden seit dem 14. Jahrhundert die türkischen Osmanen, deren Errungenschaften King allzu oft überschätzt und negative Folgen ihrer Herrschaft minimalisiert. So etwa wird die Zerstörung Konstantinopels (1453) unter Mehmet dem Eroberer bloß erwähnt - der Osmane "gave the city over to his soldiers for looting" (101). Von riesigen menschlichen und kulturellen Verlusten (Zerstörung von christlichen Bauten) wird nicht berichtet. Dagegen wird die Eroberung Konstantinopels durch Venezianer und westliche Ritter 1204 scharf verurteilt ("cosmic cataclysm", "the destruction was immense", 81). Mitunter ist Kings Bild unvollständig: Er verschweigt die wichtige Schlacht bei Varna (1444), in der die Osmanen unter Sultan Murad II. das polnisch-ungarische Heer unter dem Befehl Wladyslaw III., König von Polen und Ungarn, schlugen.
Die Geschichte des Osmanischen Reiches behandelt King ausführlich im vierten Kapitel. Im Laufe des 15. Jahrhunderts unterwarfen die Osmanen alle Häfen des Schwarzmeeraumes. Im 15.-16. Jahrhundert bemühte sich Polen, seine Macht bis zum Schwarzen Meer auszudehnen und konnte zeitweise politischen Einfluss in Moldawien sowie Walachia zur Geltung bringen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kam es zu mehreren Kriegen zwischen Polen und den Türken. Inzwischen unternahmen die Dnjepr-Kosaken (polnische Untertanen) und Don-Kosaken (vom russischen Herrschaftsgebiet) zahlreiche militärische Aktionen gegen die osmanischen Besitztümer am Schwarzen Meer.
Dem russischen Machtaufstieg widmet sich King in Kapitel 5. Das 18. Jahrhundert brachte einen entscheidenden Wechsel in den politischen Machtverhältnissen in der Region mit sich: Seitdem spielte Russland die führende Rolle im Schwarzmeerraum. Die osmanische Politik wurde im 18. Jahrhundert in die Defensive gedrängt, und der verlorene 3. Russisch-Türkische Krieg (1768-1774) leitete den eigentlichen Niedergang des Reiches ein. King legt auf die Entwicklung der multinationalen Metropole Odessa und anderer russischen Hafenstädte (Novorossijsk) besonderen Wert. Je deutlicher der Zerfall des Osmanenreiches wurde, desto mehr rückte das Schwarzmeergebiet in den Interessenkreis der westlichen Großmächte, d. h. Österreichs, Frankreichs und Englands. Dem russischen Drang nach Konstantinopel stand die Sorge Englands um das regionale Gleichgewicht entgegen. Englisch-russische Interessengegensätze und wachsender deutscher Einfluss in der Türkei schufen neue Konfliktherde.
Kapitel 6 beschreibt in ausführlicher Form, informativ und die Forschung gut rezipierend, die politische Situation in der Schwarzmeerregion in den Jahren 1860-1990. Im letzten, siebten Kapitel der Studie, werden die politischen Entwicklungen nach 1990 behandelt. Der Untergang der Sowjetunion eröffnete neue Perspektiven für die Völker der ganzen Region. Die sechs Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres haben sich 1992 mit fünf weiteren Staaten zu einer Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation zusammengeschlossen. Sie soll die wirtschaftliche Entwicklung der Region fördern. Nach 1990 gewann der Schwarzmeerraum durch seine strategische Lage noch an weltpolitischem Gewicht und bleibt z. T. ein potentieller Krisenherd. Die Ereignisse der letzten Jahre in Georgien, Ukraine, Nordkaukasus und Moldawien haben in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass die ethnisch-territorialen Konflikte in dieser Region noch längst nicht beigelegt sind.
Insgesamt hat King ein Werk vorgelegt, das in hervorragender Weise einerseits die bisherigen Forschungsergebnisse schildert, andererseits neue Denkanstöße bietet. Das Buch richtet sich vornehmlich an den breiten Kreis eines historisch interessierten Publikums. Aber auch Fachleuten dürfte dieses Werk wegen der aktuellen Zusammenfassung des Forschungsstandes willkommen sein. Dem rezensierten Werk ist ein flüssiger, gut lesbarer Stil gemein.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die Studie N. Ascherson: Black Sea, London 1995.
[2] Vgl. M.J. Olbrycht: The Cimmerian Problem Re-Examined: the Evidence of the Classical Sources, in: J. Pstrusińska / A.T. Fear (eds.): Collectanea Celto-Asiatica Cracoviensia, Kraków 2000, 71-99.
[3] Siehe V.Ju. Murzin: Key Points in Scythian History, in: D. Braund (ed.): Scythians and Greeks. Cultural Interactions in Scythia, Athens and the Early Roman Empire (sixth century BC - first century AD), Exeter 2005, 32-38; M.J. Olbrycht: Remarks on the Presence of Iranian Peoples in Europe and Their Asiatic Relations, in: J. Pstrusińska / A. T. Fear (eds.): Collectanea Celto-Asiatica Cracoviensia, Kraków 2000, 101-140.
[4] Vgl. M.J. Olbrycht: Mithradates VI. Eupator, der Bosporos und die sarmatischen Völker, in: J. Chochorowski (ed.): Kimmerowie, Scytowie, Sarmaci. Księga poświęcona pamięci Profesora Tadeusza Sulimirskiego, Kraków 2004, 331-347.
Marek Olbrycht