Frank Vossler: Propaganda in die eigene Truppe. Die Truppenbetreuung in der Wehrmacht 1939-1945 (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 21), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2005, 430 S., ISBN 978-3-506-71352-0, EUR 44,90
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Im Gegensatz zur angelsächsischen Historiografie wurde die Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Forschung bislang weitgehend vernachlässigt. Abgesehen von einigen Autoren, die das Thema am Rande berühren oder nur einen Teilbereich, zum Beispiel das Fronttheater, untersuchen, war Alexander Hirt bislang der einzige deutsche Historiker, der sich in einem vor sechs Jahren erschienenen Aufsatz explizit mit der Konzeption, Finanzierung und Durchführung der Truppenbetreuung befasst hat. [1] Frank Vossler hat nun eine umfassendere Arbeit über das Thema vorgelegt, wobei er im Gegensatz zu Hirt besonders den funktionellen, manipulativen Charakter der kulturellen Betreuung in der Wehrmacht herausstellt. Dass er den Maßnahmen eine klare politische, nämlich propagandistische Funktion zuweist, wird bereits im Titel des Buches deutlich. In seiner Untersuchung verfolgt Vossler das Ziel, Intentionen, Organisation und Durchführung der deutschen Truppenbetreuung darzustellen. Für ihn bezeichnet diese einen "Teilaspekt geistiger Kriegführung, dessen Relevanz weit über den militärischen Bereich hinausgreift" (11). Leitendes Erkenntnisinteresse seiner Arbeit ist daher die Frage, "wie ein durchaus repräsentativer Querschnitt der 'männlichen' Gesellschaft Werkzeug nationalsozialistischer Politik werden konnte" (11).
Den Großteil seiner Untersuchung widmet Vossler den einzelnen Bereichen der Betreuung sowie deren komplexer Organisation. Hier arbeitet er anschaulich heraus, dass - trotz der in einem Abkommen vom Mai 1940 erstmals genau festgelegten Aufgabenteilung - ein "polykratische[s] Kompetenzengerangel" vorherrschte (12), das bekanntlich das NS-Regime insgesamt kennzeichnete. Als eine der Ursachen für diese organisatorische Uneinigkeit betrachtet Vossler den Tatbestand, dass die mit der Truppenbetreuung befassten Institutionen teilweise sehr unterschiedliche Intentionen verfolgten. Allen Beteiligten war freilich die Überzeugung gemeinsam, dass der Betreuung eine sehr hohe Relevanz zukommen müsse. Denn während sich die deutsche Führung noch im Ersten Weltkrieg kaum für die Tätigkeit der Fronttheater interessiert hatte, bewirkten gerade die Erfahrungen dieses Krieges, insbesondere die Angst vor einem "zweiten 1918", dass die Stimmung an der Front und noch mehr in der Etappe als entscheidend für den militärischen Erfolg angesehen wurde. Jeder Wehrmachtssoldat sollte daher nicht nur körperlich, sondern auch "seelisch" betreut werden. Allerdings war unklar, ob hierbei eine politische und kulturelle Erziehung im Vordergrund stehen müsse oder ob die Soldaten vor allem angenehm unterhalten werden sollten. Besonders Goebbels betonte, dass an der Front genauso wie in der Heimat "gute Laune [...] kriegsentscheidend sein" könne (230).
Eine Diskrepanz zwischen politisch-ideologischem Anspruch und dem Wunsch nach leichter Unterhaltung trat auch in der Umsetzung deutlich hervor. Vossler stellt einerseits die enge personelle Verstrickung der Betreuungsoffiziere mit der NSDAP und dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda sowie die im Kriegsverlauf zunehmende politische Durchdringung der Betreuungsstrukturen heraus. Andererseits zeigt seine Untersuchung der einzelnen Bereiche, dass es in erster Linie um die Unterhaltung der Soldaten ging. Um deren Bedürfnissen gerecht zu werden, wurden auch Mittel angewandt, die der NS-Ideologie widersprachen. So wurde beispielsweise in Soldatensendern überwiegend die in Deutschland verfemte Jazzmusik gespielt, und in den Wehrmachtsbordellen wurden nicht nur die Ideale von Ehe und Treue, sondern auch rassistische Überlegungen ausgeblendet.
Aus Vosslers Sicht hatte diese Form von "leichter Unterhaltung" gleichwohl einen zumindest indirekten politischen Charakter. Zu Recht betont er, dass sich die deutsche Führung der Tatsache bewusst war, dass die "Kampfkraft" der Soldaten am ehesten gewährleistet werden konnte, indem man auf deren Bedürfnisse und Ängste einging. An dieser Stelle ist positiv hervorzuheben, dass Vossler im Gegensatz zu Alexander Hirt auch die Bordelle und die Berufsförderung zur Truppenbetreuung zählt. Vor allem die Unterrichtung und berufliche Weiterbildung mittels Broschüren und Arbeitsgemeinschaften waren geeignet, eine Verbindung zur Heimat und zum Berufsalltag herzustellen und Zukunftsängste zu überwinden.
Zusammenfassend konstatiert Vossler einen engen Zusammenhang zwischen der kulturellen Betreuung und dem Durchhaltevermögen der Soldaten. Er argumentiert, dass die für die Kampfmotivation der Soldaten entscheidende Kameradschaft durch gemeinsame Freizeitaktivitäten eine Stärkung erfahren habe. Eine stabilisierende Funktion habe die Truppenbetreuung nicht zuletzt über die Suggestion einer "Kontinuität durch die Transplantation von Friedensstrukturen in den Krieg" erfüllt. Aus diesem Grund sei "ihr Beitrag auch zur Verhinderung merklicher Auflösungserscheinungen [...] nicht gering zu veranschlagen" (390).
Vossler gelingt eine fundierte und anschauliche Darstellung eines bislang zu Unrecht vernachlässigten Themas und schafft somit die Basis für weiterführende Untersuchungen. Allerdings weist seine Arbeit konzeptionelle und analytische Mängel auf. So reiht der Autor zwischen die Ausführungen zur Intention und Umsetzung der Betreuung unverbunden verschiedene Einzelaspekte wie die Bedeutung von "Kameradschaft", die politische Infiltration oder den Umgang mit Sexualität ein. Das mindert die Stringenz und Verständlichkeit seiner Argumentation. Auch kommt angesichts des umfassenden Quellenmaterials die Bewertung und Interpretation insgesamt zu kurz. Besonders die Unterschiede in den Zielsetzungen sowie die Frage nach der Wirkung der Betreuung hätten mehr ausgeführt und problematisiert werden sollen. Manche Schlussfolgerungen des Autors, der zum Beispiel - trotz der häufig schlechten Qualität der künstlerischen Darbietungen, die an der Ostfront dazu führte, dass einheimische Künstler den deutschen vorgezogen wurden - davon ausgeht, dass die "Propaganda der angeblichen deutschen kulturellen Höherrangigkeit [...] im Großteil zu wirken" schien (69), sind auch auf Grund der an dieser Stelle sehr dünnen Quellenbasis nicht nachzuvollziehen.
Darüber hinaus bleiben entscheidende Aspekte und Anknüpfungspunkte, deren nähere Erforschung in einer solch umfassenden Darstellung wünschenswert und zu erwarten gewesen wären, unberührt. So könnten zum Beispiel die Unterschiede zwischen den einzelnen Einsatzorten der deutschen Wehrmacht genauer herausgearbeitet werden, da die mitunter sehr gegensätzlichen Kriegserfahrungen - der unmenschliche Kampfeinsatz im Osten gegenüber der Langeweile und dem Abwarten in den besetzten Gebieten in West- und Nordeuropa - verschiedene Anforderungen an die Betreuung der Soldaten stellten. Zudem müsste über einen Vergleich mit der britischen und amerikanischen Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg überprüft werden, ob und inwiefern die Betreuung der Wehrmacht Besonderheiten aufwies. Die zwanzig Seiten umfassenden Ausführungen Vosslers hierzu bleiben unbefriedigend, da er kaum eine vergleichende Analyse durchführt. Als ertragreich könnten sich außerdem die Fragen erweisen, ob sich das Ziel einer vollständigen, physischen und psychischen, den Dienst sowie das Privatleben betreffenden "Erfassung" aller Soldaten in den Betreuungsmaßnahmen niederschlug und inwiefern kulturpolitische Ziele und Vorstellungen in die künstlerische Betreuung einflossen - so beispielsweise der Versuch einer nationalen Selbstdefinition mittels einer angenommenen eigenen kulturellen Überlegenheit.
Insgesamt kann Vosslers Untersuchung somit nicht überzeugen. Zwar mag seine Darstellung einige gewinnbringende Informationen für den nicht fachkundigen Leser enthalten - im Hinblick auf die Bewertung der deutschen Truppenbetreuung hinterlässt sein Buch jedoch mehr Fragen als Antworten.
Anmerkung:
[1] Alexander Hirt: Die deutsche Truppenbetreuung im Zweiten Weltkrieg: Konzeption, Organisation und Wirkung, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 59 (2000), 407-434.
Michaela Wehrle