Rezension über:

Thomas Barth: Adelige Lebenswege im Alten Reich. Der Landadel der Oberpfalz im 18. Jahrhundert, Regensburg: Friedrich Pustet 2005, 696 S., ISBN 978-3-7917-1967-2, EUR 44,00
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Rezension von:
Johannes Laschinger
Stadtarchiv Amberg
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Laschinger: Rezension von: Thomas Barth: Adelige Lebenswege im Alten Reich. Der Landadel der Oberpfalz im 18. Jahrhundert, Regensburg: Friedrich Pustet 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/06/9503.html


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Thomas Barth: Adelige Lebenswege im Alten Reich

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Obwohl es eine ganze Reihe von Arbeiten zum "Adel" auch für die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts [1] gibt, sich landsässiger (Orts-)Adel im Zusammenhang mit dem von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen "Historischen Atlas von Bayern" greifen lässt und nicht zuletzt durch verschiedene Ortschroniken gewürdigt wird, fehlte bislang für den Bereich der Oberpfalz - trotz der wichtigen Arbeit von Karl-Otto Ambronn über "Landsassen und Landsassengüter des Fürstentums der oberen Pfalz" [2] - eine übergreifende Gesamtdarstellung über eine Schicht, deren schillerndes Faszinosum bis heute seinen Niederschlag in den verschiedensten Gazetten findet.

Zur Untersuchung des Landadels der Oberpfalz, seiner gesellschaftlichen Zusammensetzung und den damit verbundenen Konflikten wurde von Thomas Barth "ein prosopographischer bzw. kollektivbiographischer Ansatz gewählt" (25), um "repräsentative Strukturen zu finden" (27). Realisieren ließ sich das Vorhaben durch den Aufbau einer personenspezifischen Datenbank, in die Barth zunächst die Ergebnisse des bereits erwähnten Historischen Atlas von Bayern aufnahm, bevor er sein Augenmerk auf einschlägige Archivbestände im Staatsarchiv Amberg, im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München sowie im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien richtete.

Eingangs beschäftigt sich Barth grundlegend mit dem landsässigen Adel im Kurfürstentum Bayern, in der Oberpfalz und in Pfalz-Neuburg. Ausgehend von der Definition des "Adels", seiner Zusammensetzung, seinen Rechten (Wappenführung, privilegierter Gerichtsstand, Edelmannsfreiheit) und der Demographie des bayerischen Landadels, zu dem am Ende des 18. Jahrhunderts circa 840 bis 1500 Personen zählten, zeichnet Barth die bayerische und pfalz-neuburgische Adelspolitik im 17. und 18. Jahrhundert nach, deren Anfänge durch die verheerenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, den durch die Durchführung der Gegenreformation in der Oberpfalz bedingten Bevölkerungsverlust und die Adelspolitik Kurfürst Maximilians I. geprägt war. An ihrem Ende standen die Vermehrung des Adels unter Kurfürst Karl Theodor und seine politische Entmachtung unter Montgelas zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Unter der Kapitelüberschrift "Kriegsgewinnler, Aufsteiger, Exulanten und Proselyten" analysiert Barth im Folgenden die Sozialstruktur des landsässigen Adels in der Oberpfalz und Pfalz-Neuburg, wobei er durch eine Fülle von Beispielen ein recht farbiges Bild entwirft. Obgleich im ausgehenden 18. Jahrhundert "immerhin noch zwölf Prozent aller landadeligen Familien über Traditionen verfügten, die im frühen 17. Jahrhundert oder noch früher begonnen hatten" (124), ging der Elitenaustausch im 17. Jahrhundert "weit über das durch demographische Faktoren verursachte übliche Maß hinaus" (125). Verantwortlich dafür sind konfessionelle Ereignisse, der Zentrum-Peripherie-Konflikt und die Randlage des Gebiets nach der Wiedervereinigung mit Bayern. Somit "lässt sich [...] die These einer aristokratischen Besitz- und agnatischer Familienkontinuität [...] für das Gebiet der Oberpfalz kaum aufrechterhalten" (136 f.).

Der Wandel sozialer Strukturen vollzog sich im 18. Jahrhundert vor dem Hintergrund von Finanzproblemen, Kinderlosigkeit oder Erbauseinandersetzungen. Der Abstieg alter Eliten bedeutete für andere Familien die Chance zum Aufstieg; genannt seien hier Offiziere, die sich besonders nach Kriegen als Inhaber von Landsassengütern niederließen, aber auch Staatsdiener, vor allem gelehrte Juristen. Aufgrund einer Anstellung in Amberg kamen auch Vertreter des altbayerischen Adels und der Münchener Hofaristokratie in die Oberpfalz, während umgekehrt der Anteil des oberpfälzischen Adels in der Residenzstadt München nur von untergeordneter Bedeutung war. Familiäre Verflechtungen brachte auch die räumliche Nähe der Oberpfalz mit Franken mit sich, wobei sich hier Familien nachweisen lassen, die entweder in der Oberpfalz und in Franken begütert waren, über fränkischen Lehensbesitz in der Oberpfalz verfügten oder durch Besitz oberpfälzischer Landsassengüter in den oberpfälzischen Landadel gekommen waren.

Im nächsten Abschnitt beschäftigt sich Barth mit dem Verhältnis des altständischen Bürgertums zur Aristokratie im 18. Jahrhundert. Obwohl die Aufklärung auch eine bürgerliche Adelskritik mit sich gebracht hatte und die Ereignisse der Französischen Revolution nicht ohne Folgen für die politische und gesellschaftliche Ordnung geblieben waren und dadurch ein neues Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum entstanden war, "blieb der bürgerliche Wunsch bestehen, ein Adelsdiplom empfangen zu dürfen" (234). In Bayern und der Oberpfalz blieb trotz teilweise massiver - häufig auch in der Literatur vorgebrachter - Adelskritik mit recht stereotypen Vorwürfen wie dem "royal bedhopping" (253) der revolutionäre Aufruhr aus. Hier fehlte vor allem "ein ökonomisch orientiertes, in diesem Sektor orientiertes Bürgertum" (255 f.).

Prosopographische Befunde für das Verhältnis von Adel und Bürgertum in der Oberpfalz zeigen, dass am Ende des 18. Jahrhunderts fast zehn Prozent der Landsassengüter in der Hand bürgerlicher Besitzer waren. Während die bürgerlichen Staatsdiener als Inhaber von Landsassengütern aufscheinen, waren elf Hammergüter, vier Glashütten und drei Manufakturen in der Hand des Wirtschaftsbürgertums, das dadurch in den Landadel aufsteigen konnte Freilich war der Erwerb eines adeligen Landsassenguts durch einen bürgerlichen Käufer nicht immer erfolgreich. Noch immer war in der Oberpfalz die Frage der Inhaberschaft nach Real- oder Personalrecht nicht hinreichend geklärt. Hinzu kam, dass aufgrund des Niedergangs des gewerblichen Sektors die Bedeutung der Bürokratie wieder stieg oder umgekehrt der adelige Lebensstil durch die Übernahme von Verwaltungsstellen finanziert werden sollte.

Obwohl in Pfalz-Neuburg die Konfessionalisierung keine so große Rolle gespielt hatte wie im Fürstentum der Oberpfalz, lassen sich auch hier deutliche soziostrukturelle Veränderungen feststellen. Eine Besonderheit in dem Territorium, das "im Widerstreit zwischen kurbayerischen und kurpfälzischen Interessen" (358) lag, bildete der Erwerb von Landsassengütern durch Diplomaten des Immerwährenden Reichstags zu Regensburg. Wie in der Oberpfalz lassen sich auch in Pfalz-Neuburg in geringer Zahl altbayerische Familien als Besitzer von Landsassengütern nachweisen.

Eine Rolle für die Ausbildung einer regionalen Identität in Pfalz-Neuburg dürfte auch die durch die Residenzverlagerung von Mannheim nach München eingeleitete bayerische Integrationspolitik gespielt haben. Abgesehen von Versuchen Kurfürst Karl Theodors, seine Kinder auch in diesem Territorium zu versorgen, war der Einfluss des Mannheimer Hofes auf die Zusammensetzung des Neuburger Landadels gering. Während dieser nur wenig von der dynastischen Vereinigung mit Jülich-Berg und später mit der Kurpfalz profitierte, kam sie bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert einigen Angehörigen der dortigen Bürokratie zugute. Nicht ganz unerheblich war - wie in der Oberpfalz - auch hier der Einfluss fränkischer Familien.

In seinem letzten Kapitel beschäftigt sich Barth mit dem aristokratischen Bewusstsein als Summe Identität stiftender Merkmale wie der konfessionellen Ausrichtung, dem Spannungsbogen zwischen "europäischer Latinität" und "französischem Kosmopolitismus", standes- und geschlechtsspezifischen Erziehungsnormen, aber auch mit der Frage nach der Universität als Identität stiftendem Ort. Am Beispiel des Zeremoniells zeigt er die Grenzen des Absolutismus sowie die Auflösung von dessen Ordnung, um dann nur noch sehr knapp diese allgemeinen Beobachtungen in seinem Untersuchungsgebiet zu verorten und sich auf die "Suche nach ständischer Identität in der Provinz" (570) zu machen.

Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (589-684) rundet den Band ab. Das äußerst knapp gehaltene Register, das nur die Orts- und Familiennamen (685-695) nachweist, erstere übrigens beispielsweise aufgrund der Fülle von Belegstellen ohne Hinweise auf die oberpfälzische Hauptstadt Amberg, gibt eigentlich nur dem eiligen Leser die Möglichkeit zu überprüfen, ob die von ihm gesuchte Familie Aufnahme in die Darstellung gefunden hat.

Davon abgesehen, stellt die sehr fleißige Arbeit einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Geschichte des Landadels im Fürstentum der Oberpfalz sowie in Pfalz-Neuburg dar, sondern auch zur Identität dieser gern als randständig betrachteten Territorien. Barth breitet dabei vor dem Leser eine Fülle von Quellenbelegen aus, wobei er - um den Text nicht zu überfrachten - viele Quellenexzerpte in den Anmerkungsapparat aufnimmt. Trotzdem sind im Text immer noch einige Quellenzitate einfach zu lang, so dass teilweise die Gefahr besteht, nach ihrer Lektüre den roten Faden der Argumentation nicht gleich wieder zu finden. Aufgrund der enormen Fülle des Barth zur Verfügung gestandenen Materials tauchen auch gelegentlich unnötige Wiederholungen auf.


Anmerkungen:

[1] Vgl. etwa Rudolf Endres: Adel in der frühen Neuzeit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; 18), München 1993; oder Roland G. Asch (Hg.): Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600-1780), Köln u. a. 2001.

[2] Karl-Otto Ambronn: Landsassen und Landsassengüter des Fürstentums der Oberen Pfalz im 16. Jahrhundert. Im Überblick dargestellt nach den Landsassenregistern von 1518 bis 1599 (= Historischer Atlas von Bayern; Reihe 2, Heft 3), München 1982.

Johannes Laschinger