Rezension über:

Richard Hingley: Globalizing Roman Culture. Unity, diversity and empire, London / New York: Routledge 2005, xiii + 208 S., ISBN 978-0-415-35175-1, GBP 50,00
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Rezension von:
Susanne Pilhofer
Seminar für Alte Geschichte, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Pilhofer: Rezension von: Richard Hingley: Globalizing Roman Culture. Unity, diversity and empire, London / New York: Routledge 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/10620.html


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Richard Hingley: Globalizing Roman Culture

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Während in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen zur Romanisierung einzelner Provinzen angestellt wurden [1], sind umfassende Studien bislang rar. Richard Hingley unternimmt nun den Versuch, das gesamte Römische Reich in seine Überlegungen einzubeziehen. Aufbauend auf aktuellen Arbeiten zur Romanisierung entwickelt Hingley ein eigenes Konzept, das er in Abgrenzung von romanozentrischen Sichtweisen nicht romanization, sondern globalization nennt. Sein an sich theoretischer Ansatz wird durch einige konkrete Fallbeispiele aus westlichen Provinzen illustriert. Den zeitlichen Bezugsrahmen bilden die Jahre von 31 v. Chr. bis ins frühe zweite Jahrhundert n. Chr.

In einem ersten Kapitel ("The past in the present") legt der Autor die Voraussetzungen seiner Arbeit dar. Das Konzept globalization ist der aktuellen Globalisierungsdebatte entlehnt (1). Die Anwendbarkeit dieses Konzepts auf die Antike begründet Hingley mit seiner Geschichtsauffassung, der zufolge es mit dem Beginn der Moderne keinen grundsätzlichen historischen Bruch gegeben habe (5 f.). (Dabei übergeht er allerdings die grundsätzliche Frage, ob eine jahrhundertelange Kontinuität von der Antike bis heute es umgekehrt erlaubt, Modelle, die für moderne Phänomene gebildet wurden, zur Beschreibung antiker Entwicklungen zu nutzen.) Hingley plädiert für eine stärkere Gewichtung der Archäologie gegenüber der Alten Geschichte. Eine Schlüsselrolle wird insbesondere der Epigrafik als Schnittpunkt beider Wissenschaften zugesprochen, die eine von der antiken Literatur der Eliten losgelöste Perspektive ermöglichen soll (10 f.). Es bleibt allerdings weitgehend bei dieser Forderung; schon der Blick ins Quellenverzeichnis (162) zeigt, dass Hingley selbst keine Inschriften zitiert, und nur in zweien der archäologischen Fallbeispiele spielt Epigrafik eine Rolle (95-101).

Das zweite Kapitel ("Changing concepts of Roman identity and social change") bietet einen sehr ausführlichen Forschungsüberblick. Leser, die mit der Problematik noch nicht vertraut sind, können das Kapitel als eine ausgezeichnete und kritische Einführung in die aktuelle Diskussion lesen. Hier wird auch zu Recht der oft unbedachte Gebrauch des Begriffs Romanisierung problematisiert (15).

Das dritte Kapitel ("Roman imperialism and culture") beschäftigt sich vor allem auf Grundlage antiker Literatur mit der Bestimmung dessen, was römische Kultur und Identität ausmacht, und folgt damit weitestgehend Greg Woolf. [2] Hingley vertritt ein flexibles Identitätskonzept und ist der Ansicht, dass vielleicht gerade die ungenauen zeitgenössischen Vorstellungen davon, was eigentlich "römisch" sei, zum großen Erfolg der römischen Herrschaft beigetragen haben (50 f.). In der Kaiserzeit verbanden sich stadtrömische Elemente mit griechischen und solchen aus den westlichen Provinzen zu einer neuen römischen Kultur, die erstmals unter Augustus greifbar ist (54 f. und 58). Römische Identität war an das Bürgerrecht gebunden (56 f.). Die Kultur der römischen Eliten war gekennzeichnet durch die Benutzung der lateinischen Sprache und Schrift, durch eine Erziehung in griechischer und lateinischer Sprache und Literatur, das Bewusstsein einer gemeinsamen Vergangenheit, durch Reisen und Staatsreligion (60-70). Hier (z. B. 68) wird deutlich, dass Hingley vor allem die westlichen Eliten im Blick hat; er bedenkt nicht, dass im Osten des Reichs auch die Eliten oft genug nur Griechisch sprachen und schrieben - und das mussten sie nicht erst durch die Römer lernen! Die Aneignung der römischen Kultur, so Hingley weiter, funktionierte durch ein Zusammenspiel von römischem Sendungsbewusstsein (möglicherweise auch einer offiziellen Politik in diesem Sinne) und Initiativen der lokalen Eliten (67). Auf diese Weise entstanden lokale Versionen von römischer Identität (71).

Im vierten Kapitel ("The material elements of elite culture") werden die materiell fassbaren Elemente des "Roman cultural package" (75) besprochen, die den lokalen Eliten zur Verfügung standen. Dazu gehörten Kunst, Architektur, die Gestaltung des städtischen Raums, Sprache (in Inschriften) und Kleidung. Insbesondere der Städtebau in den Provinzen wird näher untersucht und in Anlehnung an Paul Zanker mit der Neugestaltung Roms unter Augustus in Verbindung gebracht. Bei der Diskussion von zwei Beispielen, Tarraco (Spanien) und Verulamium (Britannien) ergibt sich ein sehr komplexes Bild. Es wird gezeigt, wie die traditionellen Eliten römische Architektur auf ihre eigene Weise übernahmen, um ihre Machtposition auszubauen. Indigene Tradition und römische Kultur bildeten hier keinen Gegensatz.

Um sich vom Blick auf die Eliten zu lösen, wendet sich der Autor im fünften Kapitel ("Fragmenting identities") römischen Subkulturen zu. Beispiele aus Untergermanien und Gallien zeigen, dass sich auch einfache Leute die lateinische Schrift aneigneten. Dabei war nicht der Wunsch nach römischer Identität ausschlaggebend, sondern der praktische Nutzen (98-101). Wertvorstellungen wurden mit der lateinischen Schrift und Sprache nicht übernommen. Hier bezieht Hingley Untersuchungen zur Globalisierung ein, die sich damit beschäftigen, wie eine Gesellschaft fremde Güter adaptiert. Er kommt zu dem Schluss, dass die römische Herrschaft Menschen aus den unteren sozialen Schichten zwar Möglichkeiten bot, über Militär, Handel oder Industrie aufzusteigen, dass aber auf dem Land eher an Traditionen festgehalten und wenig verändert wurde. In Britannien etwa blieb ein substanzieller Teil der Bevölkerung arm und "relatively un-Roman" (116).

Im sehr kurzen sechsten Kapitel ("'Back to the future?' Empire and Rome") heißt es zusammenfassend, nur die lokalen Eliten und die Soldaten seien wirklich römisch geworden, während die meisten Menschen im Römischen Reich nur diejenigen Kulturgüter übernahmen, die sich als alltagstauglich erwiesen (118). Hingley ermuntert seine Leser nochmals explizit zum Vergleich mit der heutigen Situation.

Das ausführliche Literaturverzeichnis und ein Generalindex schließen das Buch ab.

Als einem exzellenten Kenner der Archäologie vor allem Großbritanniens ist es Hingley gelungen, dieses weitestgehend theoretische Buch auf eine Grundlage zu stellen, die auch Verfechter quellennaher Darstellungen zu überzeugen vermag. Dem Plädoyer, "Globalisierung" statt "Romanisierung" zu untersuchen, werden sich dennoch die wenigsten Leser anschließen. Dies gilt umso mehr, als Hingley seinem Anspruch, "global", also für das gesamte Reich, zu sprechen, nicht gerecht wird. Alle archäologischen Beispiele und alle literarischen Texte, die er heranzieht, beziehen sich auf den Westen, und nur zu oft zeigt auch seine Argumentation, dass er die östlichen Provinzen nicht im Blick hat. Dies gilt etwa für weite Strecken des fünften Kapitels, dessen Grundthesen über den praktischen Nutzen der lateinischen Schrift und Sprache für die östlichen Provinzen nicht zutreffen.

Inhaltlich bietet das Buch den genannten Schwächen zum Trotz eine sehr anregende Lektüre, die sicher neue Debatten anstoßen wird. Der schöne Textsatz und die sorgfältige, fast völlig druckfehlerfreie Edition verdienen, eigens erwähnt zu werden.


Anmerkungen:

[1] Jean-Michel David: La Romanisation de l'Italie, Paris 1994; Greg Woolf: Becoming Roman. The Origins of Provincial Civilization in Gaul, Cambridge 1998; Jesper Majbom Madsen: The Romanization of the Greek elite in Achaia, Asia and Bithynia. Greek Resistance or Regional Discrepancies?, in: Orbis Terrarum 8 (2002), 87-113; Leonard A. Curchin: The Romanization of Central Spain. Complexity, diversity and change in a provincial hinterland, London / New York 2004; Susanne Pilhofer: Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften (= Quellen und Forschungen zur Antiken Welt; 46), München 2006.

[2] Greg Woolf: Becoming Roman (wie Anm. 1).

Susanne Pilhofer