Rezension über:

Hildrun Glass: Minderheit zwischen zwei Diktaturen. Zur Geschichte der Juden in Rumänien 1944-1949 (= Südosteuropäische Arbeiten; 112), München: Oldenbourg 2002, 337 S., ISBN 978-3-486-56665-9, EUR 49,80
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Rezension von:
Hans-Christian Maner
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Hans-Christian Maner: Rezension von: Hildrun Glass: Minderheit zwischen zwei Diktaturen. Zur Geschichte der Juden in Rumänien 1944-1949, München: Oldenbourg 2002, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/3953.html


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Hildrun Glass: Minderheit zwischen zwei Diktaturen

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In der vorliegenden Monografie geht es der Autorin Hildrun Glass um den Prozess der Gleichschaltung der jüdischen Minderheit in Rumänien in der Zeitspanne der kommunistischen Machtergreifung 1944-1949. Besonderen Wert legt sie darauf, nach den Jahren der Verfolgung unter den rechtsradikalen Terrorregimen die Unterdrückung der jüdischen Gemeinschaft auch durch die nachfolgende Linksdiktatur aufzuzeigen. Rund 275.000 Juden lebten nach dem Sturz der Antonescu-Diktatur im August 1944 noch in Rumänien. In der Epoche der Rechtsdiktaturen von 1938 bis 1944 waren die Juden zunächst Opfer systematischer Entrechtung und dann, überwiegend authochtoner, mörderischer Verfolgung geworden. Die plausibelste Schätzung geht von 410.000 Todesopfern aus. Das ist der Hintergrund, vor dem sich die von der Autorin untersuchte Periode jüdischen Lebens in Rumänien entfaltete.

Als motivierender Einstieg dient der Untersuchung der auch in Rumänien bis in die Gegenwart kursierende extrem vereinfachte Stereotyp der Gleichsetzung des Kommunismus mit den "Fremden". Dass die jüdischen Kommunisten innerhalb der jüdischen Bevölkerung nur eine sehr kleine und isolierte Minderheit gewesen sind, interessierte auch die bisherige Geschichtsschreibung kaum, wie Glass belegt.

Die Studie ist übersichtlich, dem chronologischen Prinzip folgend, in zwei Teile gegliedert, die ihrerseits einer systematischen Vorgehensweise unterliegen. Im ersten Block werden Aspekte der Geschichte der Juden nach dem Sturz Marschall Ion Antonescus im Jahr 1944 aufgeführt. Hildrun Glass skizziert in diesem Zusammenhang auch die Vorgeschichte, die "Traditionslinien der Vorkriegszeit", und kommt dabei zu der griffigen Formel: "Rumänien durchlebt von 1938 bis 1989 eine lange Nacht der Diktaturen" (301). Sie markiert damit Anfang und Ende der institutionalisierten autoritären und totalitären Regime in Rumänien im 20. Jahrhundert. Ergänzt werden müsste dieser sich schnell einprägende Rahmen durch die weitere Vorgeschichte vor 1938, ja vor dem Ersten Weltkrieg, mit der sich die Autorin in einem anderen Zusammenhang ebenfalls fundiert beschäftigt hat. [1]

Nach einer Skizzierung der Strukturen und Organisationen (Parteien, zionistische Organisationen, jüdische Gemeinden) des rumänischen Judentums steht die unmittelbare Entwicklung nach dem 23. August 1944, dem Sturz des Antonescu-Regimes und der Kehrtwende Rumäniens im Zweiten Weltkrieg, im Mittelpunkt. Durch die Beleuchtung der "Reintegrationsbemühungen" werden Bestrebungen aufgezeigt, so etwas wie Normalität im Verhältnis zu den Juden zu erlangen, auch wenn sich Glass anschließend konsequent mit der Auswanderung als Reaktion auf das "Scheitern der Reintegration" befasst. Diese Darstellungsweise steht für das Bemühen, Geschichte nicht als kontinuierlichen, als linearen Prozess erscheinen zu lassen, sondern dafür, auch die kleinen Hoffnungsschimmer aufzuzeigen, die den Keim in sich bargen, dass die Geschichte einen anderen Verlauf hätte nehmen können.

Der zweite, umfangreichere Teil stellt die "rumänischen Juden als Opfer des Aufbaus der kommunistischen Diktatur" in den Mittelpunkt. Die Autorin ist dabei eindeutig um eine multiperspektivische und mehrdimensionale Sicht und Argumentationslinie bemüht. Sie verfolgt die Taktik der Rumänischen Kommunistischen Partei zur Gleichschaltung der jüdischen Gesellschaft, die Reaktionen innerhalb der jüdischen Bevölkerung darauf sowie den Antisemitismus in Rumänien in den Jahren 1944-1949. Ein gesondertes Augenmerk gilt der Haltung der Rumänischen Kommunistischen Partei zu den Juden vor und nach 1944.

Unter der jüdischen Bevölkerung führten die Erfahrungen von Deportation, Erniedrigung oder Gewalt, der Verlust von Angehörigen, Freunden, von Besitz zu einer Distanzierung und Entfremdung von Rumänien. Diese Haltung nahm noch zu, nachdem keine entsprechende Wiedergutmachung in Aussicht gestellt wurde.

Der Komplex der Wiedergutmachung ist bislang noch nicht erforscht worden. Die Autorin fragt auch nach den Absichten der Sowjetunion in Rumänien. Die Antwort darauf ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Verantwortung für den Umgang mit der jüdischen Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Glass' Antwort unter Berücksichtigung des bisherigen Forschungsstandes und der zur Verfügung stehenden Quellen ist zweigeteilt: Das Ziel der Sowjetisierung Rumäniens stand für Moskau von vorneherein fest, allerdings wurde der Führung in Bukarest ein erheblicher taktischer Spielraum gewährt.

Der Umgang der Rumänischen Kommunistischen Partei mit der jüdischen Minderheit wird zusammenfassend und abschließend als anschauliches Stufenmodell präsentiert: Beteiligung der Kommunisten am innerjüdischen Leben; Spaltung jüdischer Organisationen; Übernahme jüdischer politischer Gruppierungen nach Spaltung und Zersetzung; Zentralisierung und Gleichschaltung aller jüdischen Organisationen unter der Führung der Kommunisten. Als eines von vielen Fragezeichen, das von der Autorin gesetzt wird und das künftiger Forschung vorbehalten bleibt, ist der Umgang der Rumänischen Kommunistischen Partei mit der Auswanderung der Juden nach Israel.

Die archivalischen Befunde sind breit gestreut und stammen aus Archiven in Bukarest, Temesvar, Jassy, dem Central Zionist Archives und den Yad Vashem Archives in Jerusalem, den National Archives der USA und dem United States Holocaust Memorial Museum in Washington sowie dem Public Record Office in London.

Die Arbeit schließt mit zehn informativen Tabellen, die die im Text gemachten Aussagen mit Zahlen belegen: z. B. die jüdische Bevölkerungszahl Gesamtrumäniens 1930-1949, Anzahl der jüdischen Bevölkerung in Städten (konkretes Beispiel: Bukarest) und auf dem Land, die Berufsgliederung, die Ausreise aus Rumänien 1939-1955 sowie die ethnische Zusammensetzung der Rumänischen Kommunistischen Partei 1930-1950. Abgerundet wird das Buch mit Quellen und Literatur sowie einem Personenregister.

Hildrun Glass präsentiert eine Untersuchung, die nicht allein wissenschaftlichen Kriterien - gut dokumentiert und ausgewogen - genügt, sondern auch von einer schnörkellosen Erzählkunst profitiert.


Anmerkung:

[1] Hildrun Glass: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918-1938), München 1996.

Hans-Christian Maner