Ernst Langthaler / Josef Redl (Hgg.): Reguliertes Land. Agrarpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1930-1960. Ernst Bruckmüller zum 60. Geburtstag (= Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes; Bd. 2005), Innsbruck: StudienVerlag 2005, 265 S., ISBN 978-3-7065-4072-8, EUR 29,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Werner Trossbach / Clemens Zimmermann (Hgg.): Die Geschichte des Dorfes. Von den Anfängen im Frankenreich zur bundesdeutschen Gegenwart, Stuttgart: UTB 2006
Niels Grüne: Dorfgesellschaft - Konflikterfahrung - Partizipationskultur. Sozialer Wandel und politische Kommunikation in Landgemeinden der badischen Rheinpfalz (1720-1850), Stuttgart: Lucius & Lucius 2011
Matthias Rohde: Juden in Rheinhessen. Studien zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Tönning: Der Andere Verlag 2007
Die Beiträge einer Tagung zum Thema "Agrarpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1930-1960", die das österreichische Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte des ländlichen Raums 2005 veranstaltete, sind nun im neuen Jahrbuch des sehr aktiven Institutes unter dem Titel "Reguliertes Land" zusammengefasst. In seiner Einleitung erläutert Ernst Langthaler die Erweiterung des Titels. Mit dem Rückgriff auf die institutionenökonomische Regulationstheorie werde ein sehr weit gefasster Begriff von Agrarpolitik genutzt, der nicht nur die Entscheidungs- und Einflussträger benenne, sondern auch die "ländlichen Netzwerke, die Haushalte und Betriebe, die weiblichen und männlichen Körper" mit in den Blick nehme. Mit der Konzentration auf die Jahre zwischen 1930 und 1960, die aus "regulationstheoretischer Sicht" als Folge von Krisen und Neuformierung überkommener institutioneller "régimes" angesehen werden, scheint Langthaler die Chance der wenigstens bruchstückhaften Umsetzung dieses Konzeptes gegeben zu sein.
Die 17 Beiträge des Bandes setzen den Anspruch, Agrarpolitik auf "Makro-, Meso- und Mikroebene" zu beleuchten, in unterschiedlicher Dichte um. Außer in Langthalers zusammenfassender Einleitung, in Ulrich Kluges Versuch, Kontinuitätslinien zwischen Weimarer und westdeutscher Agrarpolitik zu zeichnen, und in Peter Mosers Überblick über Schweizer Agrarpolitik von 1914 bis 1960 wird das Thema innerhalb der einzelnen Beiträge auf jeweils ein politisches System bezogen abgehandelt. Dabei überwiegen die Untersuchungen zur NS-Zeit: Sieben Aufsätze beschäftigen sich mit der Entwicklung zwischen 1933 und 1945, davon vier mit der österreichischen Geschichte nach 1938. Zwei Beiträge sind dem österreichischen "Ständestaat" 1934-38 gewidmet, je zwei der Agrarpolitik in der BRD und der DDR, einer Nachkriegsösterreich, zwei der Schweiz. Da das in der Einleitung konstatierte Programm ausgesprochen akteursorientiert ist, wäre eine die Systeme übergreifende Perspektive, die Kontinuitäten und Brüche auf Seiten der politischen Akteure erfasst, wünschenswert gewesen. Auch wird die gegenseitige Durchdringung der Akteursebenen nur in wenigen Beiträgen ausgeführt. Zehn der insgesamt durchweg instruktiven 17 Beiträge beschäftigen sich ausschließlich mit dem Handeln der Entscheidungs- und Einflussträger, also mit Agrarpolitikern, Verbänden, Planern etc. Den Blick auf die ländliche Gesellschaft, ihren Einfluss und ihre Reaktionen auf agrarpolitische Maßgaben richten nur wenige der Texte. Daniela Münkel zeigt die Handlungsspielräume der Agrarproduzenten unter den Bedingungen nationalsozialistischer Agrarpolitik auf. Barbara Schier stellt ihr Merxlebenprojekt vor, in dem die Auswirkungen der DDR-Agrarpolitik auf die Alltagskultur in einem sozialistischen Dorf untersucht wurden. Andreas Eichmüller erwähnt bei seiner Beschreibung des "bayerischen Wegs" der Agrarmodernisierung, das heißt des durch den politisch gewollten Erhalt von Zu- und Nebenerwerbsbetrieben abgefederten Strukturwandels, die eher seltenen bäuerlichen Gegenreaktionen auf die Vorgaben. Langthaler versucht mit der Anwendung des Machtkonzeptes von John K. Galbraith auf landwirtschaftliche Zwangsarbeiter im nationalsozialistischen Österreich einzelne Fallbeispiele theoretisch anspruchsvoll zu verorten. Gerhard Siegl beschreibt den "Gemeinschaftsaufbau" im Tiroler Bergland, mehr oder weniger erzwungene Aufbaugenossenschaften, die infrastrukturelle, wirtschaftliche und kommunale Umgestaltungspläne umzusetzen hatten, zwar eher aus Sicht der Planer, benennt aber auch die Akzeptanzgrenzen der ländlichen Bevölkerung.
Im Rahmen einer Rezension können kaum alle Beiträge eines Tagungsbandes resümiert werden, zumal das Jahrbuch noch erweitert ist durch vier allgemeine Aufsätze über die Beziehung zwischen Agrargeschichte und anderen "Bindestrichgeschichten" (Umwelt-, Geschlechter-, Globalgeschichte, historische Kulturanthropologie) und einen Text Langthalers über Agrarmodernisierung aus der Sicht seines Lehrers Ernst Bruckmüller (dem anlässlich seines 60. Geburtstages der Band gewidmet ist). Dass 23 Aufsätze auf wohl vom Verlag vorgegebenen 260 Seiten untergebracht werden mussten, ist möglicherweise auch eine Ursache für das weitgehende Fehlen der Bezüge zwischen Anspruch in der Einleitung und Durchführung in den Einzeltexten. Mit durchschnittlich zehn Seiten Text (inklusive ausführlicher Fußnoten) fehlte offensichtlich die Möglichkeit, die Halbstundenvorträge einer dichten Tagung im Hinblick auf deren Diskussionsverlauf zu überarbeiten. Dass etliche der Beiträge zudem auf bereits veröffentlichten größeren Arbeiten beruhen, macht den Band zu einem wirklich informativen Reader, der im Einzelfall neugierig macht auf die ausführliche Version, der aber in Hinsicht auf eine "noch zu schreibend[e] Geschichte der europäischen Agrarpolitik", wie der Herausgeber selbst konzediert, eher "Bruchstücke" liefert.
Gunter Mahlerwein