Susanne Thiemann: Vom Glück der Gelehrsamkeit. Luisa Sigea, Humanistin im 16. Jahrhundert (= Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin. Neue Folge; Bd. 9), Göttingen: Wallstein 2006, 334 S., ISBN 978-3-8353-0018-7, EUR 28,00
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Papst Paul III., an den die wohl 1522 geborene portugiesische Humanistin Luisa Sigea 1546 einen auf Latein, Griechisch, Hebräisch, Syrisch und Arabisch verfassten Brief adressiert hatte, war über die philologische Glanzleistung der Autorin mehr als erstaunt. Beim Lesen hatte er, wie er in seinem ebenfalls in den fünf Sprachen der Bibel gehaltenen Antwortbrief schrieb, "großen Genuss" empfunden und Gott gedankt, "weil er dir [Luisa Sigea] ein solches Geschenk der vielfältigen Sprachkenntnis verliehen hat, das sogar bei Männern, geschweige denn bei Frauen, selten ist" (13). Der Papst lobte neben der Bildung der Autorin auch deren tugendhaften Lebenswandel. Er konnte wohl nicht anders, als das außerordentliche Sprachtalent Sigeas als etwas Wunderbares zu begreifen, das sich einzig göttlicher Gnade und nicht etwa nur steter Übung zu verdanken schien. Mit dieser Einschätzung gab der Papst die Richtung der Rezeption Sigeas bis ins ausgehende 20. Jahrhundert vor: Es ging um die Autorin hinter dem Text.
Im Mittelpunkt der einschließlich Einleitung (7-58) und Zusammenfassung (289-294) vier Kapitel umfassenden Studie Thiemanns steht Sigeas "Gespräch zweier junger Frauen über das Leben am Hofe und außerhalb desselben" (Duarum virginum colloquium de vita aulica et privata). Es spricht alles dafür, dass die rund 250-seitige Buchhandschrift aus dem Jahr 1552 ein Autograph ist. Der Band war der portugiesischen Infantin Dona Maria gewidmet, an deren Hof Sigea als Lateinlehrerin tätig war. Die zunehmend bildungsfeindliche Stimmung am Königshof und der stärker werdende Druck der Kirche haben jedoch vermutlich eine Drucklegung verhindert. Zudem war es "absolut unüblich", Schriften von Autorinnen bereits zu deren Lebzeiten zum Druck zu bringen (114). Erst 1566, sechs Jahre nach Sigeas Tod, wurde der Band in Paris (!) publiziert.
In der auf Lukian zurückgehenden und von Erasmus aufgegriffenen literarischen Form des Dialogs geht es Sigeas fiktiven Gesprächsfiguren nicht um "frauenspezifische Themen" (119). Die beiden unverheirateten Frauen tauschen sich vielmehr über religiöse bzw. moralphilosophische Fragestellungen aus. Ausgehend von einer Beschäftigung mit den Vor- und Nachteilen des Hoflebens und des Rückzugs ins Private stoßen sie zu einem der zentralen Themen der Philosophie vor, der Frage nach der wahren Glückseligkeit. Es erstaunt wenig, dass beide das Idealbild einer Hofdame entwickeln, deren Tugendhaftigkeit im Studium antiker Autoren gründet. Die Autoren, auf die die Frauen ihre Argumentation stützen, werden nach Art eines Literaturverzeichnisses präsentiert, das nichtchristliche (ethnici) und christliche Autoren (sacri) umfasst und von Xenophon bis Ambrosius reicht (127).
Im 16. Jahrhundert zu den Berühmtheiten Europas zählend, ist Sigea heute nur einem kleinen Expertenkreis bekannt (8). Dies wird sich durch die 2004 von Susanne Thiemann der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam vorgelegte Dissertation allerdings grundlegend ändern! Ihr Ziel war es, den Dialog Sigeas in seinen "diversen kulturellen und literarischen Kontexten zu verorten" (289). Bei der Untersuchung der Rezeptionsgeschichte kann Thiemann zeigen, wie sehr das Frausein die Textrezeption beeinflusste. Dass Sigeas Intelligenz und Wissen derartig hervorgehoben wurden, verweist darauf, dass man die weibliche intellektuelle Defizienz für normal hielt. Indem Thiemann Sigea gerade nicht als Ausnahmefigur darstellt, wird der Blick frei für die Besonderheiten des Dialogs, die in einer eingehenden Textanalyse untersucht werden.
Trotz der überaus gelungenen Einordnung Sigeas in die Bildungsbewegung des Humanismus konstatiert Thiemann abschließend deren doppelte Randposition: Zum einen habe die Humanistin "gegen einen misogynen Erwartungshorizont anschreiben" müssen, zum anderen seien ihre "Inszenierung humanistischer Wissens- und Schreibstrategien", ihre an Erasmus angelehnten Frömmigkeitsentwürfe und ihre skeptische Philosophie durch die Inquisition bedroht gewesen (293). Die von Sigea verwendete Textstrategie lasse sich als "Schreiben in Anführungszeichen" verstehen, sie sei Autorisierungsstrategie und Schutzmechanismus zugleich gewesen (294). Susanne Thiemanns Studie, die in der Bibliographie weitere Texte von Luisa Sigea verzeichnet, ist eine große Leserschaft zu wünschen! Dann sollte auch im deutschsprachigen Raum der Hinweis reichen, den der portugiesische Humanist André Resende 1560 in einer Grabschrift festhielt: "Hier ruht Sigea. Das genügt. Wer weiterer Erklärung bedarf, ist ein Barbar, der die schönen Künste nicht pflegt."
Sabine Holtz