Sven Reichardt / Armin Nolzen (Hgg.): Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich (= Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus; Bd. 21), Göttingen: Wallstein 2005, 283 S., ISBN 978-3-89244-939-3, EUR 20,00
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Allen Forderungen nach Transnationalisierung der deutschen Zeitgeschichte zum Trotz sind vergleichend oder beziehungsgeschichtlich ausgerichtete Studien immer noch dünn gesät. Eine gelungene Ausnahme stellt der Sammelband "Faschismus in Italien und Deutschland" dar, den Sven Reichardt und Armin Nolzen herausgegeben haben. Insgesamt neun Autoren berichten darin aus ihren laufenden oder vor kurzem abgeschlossenen Arbeiten und gehen der gemeinsamen Frage nach, welche Berührungspunkte und Vergleichsmomente sich zwischen den beiden faschistischen Diktaturen ergaben. Die thematische Spannweite der Beiträge reicht dabei von der Sozialpolitik über Propaganda und Werbung bis hin zur militärischen Kooperation.
Wie die empirisch gesättigten Beiträge eindrucksvoll demonstrieren, kam es auf all diesen Feldern zu teils intensiven Kontakten, reger Zusammenarbeit und vielfältigen Austauschprozessen. So kooperierten etwa deutsche Werbefachleute bereits seit 1933 mit italienischen Kollegen, wie Waltraud Sennebogens Beitrag zeigt. Bei diesen Kontakten, die sich nach Abschluss des Stahlpakts noch einmal deutlich intensivierten, ging es aber nicht nur um den Austausch von Werbestrategien, sondern immer auch um die richtige "Vermarktung" der beiden neuen Regime, diente Reklame doch in beiden Ländern als "ideologisches Sprachrohr" der Diktatur.
Während in der Werbung von Anfang an beide Seiten voneinander lernten, gingen auf dem Feld der Sozialpolitik die Impulse zunächst allein von Italien aus. So kann Daniela Liebscher belegen, dass etwa die NS-Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" eine beinahe detailgetreue Kopie der 1925 ins Leben gerufenen "Opera Nazionale Dopolavoro" war. In den Bereichen Freizeit und Arbeit rückten die beiden Diktaturen nach 1933 immer enger zusammen; sie organisierten etwa touristische Austauschreisen und ab 1937 dann den Einsatz italienischer Arbeitskräfte in Deutschland. Mit dem Erstarken des 'Dritten Reichs' drehte sich allerdings die Transferrichtung zusehends um: Nun lernten die Italiener überwiegend von den Deutschen, führten beispielsweise Auszeichnungen für "Musterbetriebe" ein und trieben damit die faschistische Durchdringung der Arbeitswelt weiter voran. Liebscher spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer vom NS-Regime beförderten "totalitarizzazione".
Dass die Kontakte zwischen den beiden Diktaturen aber nicht zwangsläufig zu derartigen Transfers führten, unterstreicht Armin Nolzen in seinem "Fundstück" zu den Kontakten auf Parteiebene. Die NSDAP zeigte sich zwar kurz nach der Machtergreifung, als sich die Frage ihrer Integration in den NS-Staat massiv stellte, ausgesprochen interessiert am Aufbau des Partito Nazionale Fascista und seiner Stellung innerhalb des faschistischen Regimes. Doch die in Italien gefundene Lösung - weitgehende Unterordnung der Partei unter den Staatsapparat - übernahm sie eben nicht. Damit emanzipierte sich der Nationalsozialismus bereits zu Beginn der Regimephase vom faschistischen Vorbild. Da half auch die umtriebige Arbeit Giuseppe Renzettis wenig, des "verlängerten Arms" Mussolinis in Deutschland. Wie Wolfgang Schieder stringent nachweisen kann, bereitete der Vertrauensmann des Duce die Annäherung der beiden bereits seit den späten 1920er-Jahren vor und machte vor allem korporatistische Vorstellungen in der krisengeschüttelten Weimarer Republik populär.
Welche tödlichen Konsequenzen die Zusammenarbeit zwischen den beiden Diktaturen haben konnte, veranschaulicht schließlich Thomas Schlemmer in seinem Beitrag zur Beteiligung der italienischen Armee am Krieg gegen die Sowjetunion auf eindringliche Weise. Allzu willfährig machten sich italienische Truppenteile an und hinter der Front zu Handlangern der Deutschen, kooperierten bedenkenlos bei der Partisanenbekämpfung und übergaben sogar gefangene Juden an Sonderkommandos des SD. Nach Schlemmer geschah das nicht zuletzt auch aus ideologischen Affinitäten heraus.
Dass in der Herrschaftspraxis oftmals erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen den beiden Systemen bestanden, ohne dass diese aus Transferprozessen zu erklären sind, machen die vergleichend angelegten Beiträge des Sammelbandes deutlich. In beiden Staaten ergänzten die beiden Parteien sowie SA bzw. faschistische Miliz den staatlichen Repressionsapparat, wie Michael Ebner herausarbeitet. Die von diesen Paramilitärs ausgeübte und im Alltag beider Länder präsente Gewalt diente der Einschüchterung und Disziplinierung der gesamten Bevölkerung. Auf Grund der machtpolitischen Rücksichtnahmen, die Mussolini auf Kirche und Krone nehmen musste, war der faschistische Terrorapparat zwar weniger radikal als der nationalsozialistische und deshalb nahm die Repression in Italien nie die Ausmaße an wie in Deutschland. Zielsetzung und Institutionalisierung des Terrors sind jedoch nach Ebner vergleichbar.
Von "lediglich graduelle[n]" Unterschieden spricht auch Petra Terhoeven in ihrem Beitrag über "Spendenkampagnen im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland als Disziplinierungs- und Integrationsinstrument". Das deutsche Winterhilfswerk wie die italienische "Gold fürs Vaterland"-Kampagne des Jahres 1935 dienten primär der inneren Stabilisierung der beiden Diktaturen: Über den öffentlichen Akt des "Opferns" sollte der deutsche wie der italienische Volksgenosse seine Unterstützung für das jeweilige Regime nach außen demonstrieren. Die beachtlichen Mobilisierungserfolge, die beide Diktaturen damit verbuchen konnten, sind ein eindeutiger Beweis für den Rückhalt, den Hitler wie Mussolini in der Bevölkerung besaßen.
Dass es aber auch grundlegende Unterschiede zwischen beiden Diktaturen im Bereich der Repression gab, machen Amedeo Osti Guerazzi und Costantino Di Sante in ihrem Beitrag über die Konzentrationslager auf italienischem Boden deutlich. Zwar können die beiden Autoren nachweisen, dass es sich bei diesen ca. 50 "campi di concentramento" keinesfalls um harmlose Ferienlager für Regimegegner handelte, wie jüngst noch Silvio Berlusconi behauptet hat. Aber mit dem deutschen Lagersystem sind die faschistischen Internierungslager auf italienischem Boden eben nicht gleichzusetzen: Gewalt gegenüber Häftlingen kam vor, war aber nicht die Regel. Vor allem aber: Kaum einer der Insassen kam bis 1943 ums Leben. Erst nach der Besetzung Italiens durch die Wehrmacht im September 1943 wurden zahlreiche Juden aus diesen Lagern deportiert, was praktisch einem Todesurteil gleichkam. Das galt freilich nur für die Konzentrationslager auf italienischem Boden. In den von der Armee betriebenen Lagern auf dem Balkan, auf die die Autoren bedauerlicherweise nur kurz eingehen, sah die Lage hingegen ganz anders aus: Die dort internierten Slowenen vegetierten unter widrigsten Lebensbedingungen dahin. Hunger und Kälte sorgten dafür, dass die Sterberate etwa im Lager auf der Insel Rab zeitweise höher lag als in Buchenwald.
In ihrer Einleitung weisen die Herausgeber denn auch auf die massiven Gewaltverbrechen des Faschismus und den ihm inhärenten Rassismus noch einmal mit aller Deutlichkeit hin: auf den Einsatz von Giftgas gegen Zivilisten im Äthiopienfeldzug ebenso wie auf die billigende Inkaufnahme von Hungerkatastrophen in den von Italien besetzten Gebieten. Sie nehmen damit eine längst überfällige Neubewertung des Faschismus vor, ohne jedoch die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Systemen zu verwischen, wie unlängst zu Unrecht kritisiert wurde. [1] Gleichwohl bedarf es weiterer Forschungen, um das Verhältnis von Distanz und Nähe, Aneignung und Abgrenzung näher bestimmen zu können und so die lange Zeit sterile Debatte um den Faschismus als Systembegriff neu zu befruchten.
Anmerkung:
[1] Vgl. die in ihren verharmlosenden Aussagen zur italienischen Kriegführung nicht unbedenkliche, einseitig auf Renzo De Felice rekurrierende Rezension von Rudolf Lill:
http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_faz.asp&wea=1100485&
artikelnummer=000001529595.
Patrick Bernhard