Rezension über:

Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Hg.): Raumkunst in Burg und Schloß. Zeugnis und Gesamtkunstwerk. Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Regensburg: Schnell & Steiner 2005, 262 S., ISBN 978-3-7954-1760-4, EUR 34,90
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Rezension von:
Katja Heitmann
Kunstgeschichtliches Institut, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Katja Heitmann: Rezension von: Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Hg.): Raumkunst in Burg und Schloß. Zeugnis und Gesamtkunstwerk. Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Regensburg: Schnell & Steiner 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/10520.html


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Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Hg.): Raumkunst in Burg und Schloß

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Die Hauptinhalte dieses Jahrbuchs bilden die Ergebnisse zweier Tagungen, die im Jahr 2004 von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten durchgeführt wurden. Einige zusätzliche, thematisch ergänzende Aufsätze sowie Informationen über die Restaurierungs- und Sicherungsmaßnahmen der Liegenschaften runden die Publikation ab.

Die erste der beiden genannten Tagungen, die Valentinstagung, widmete sich baupraktischen Fragestellungen und problematisierte die "Feuchteschäden im Denkmal". Den thematischen Schwerpunkt dieses Jahrbuchs bildet jedoch das zweitägige Herbstsymposium, das im Oktober 2004 in Schloss Sondershausen stattfand. Unter dem Titel "Raumkunst in Burg und Schloss. Zeugnis und Gesamtkunstwerk" wurde der Versuch unternommen, ausstattungsgeschichtlich den Bogen vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, von der Burg zum Schloss und darüber hinaus zu spannen. Den Autoren, so heißt es in der Einleitung, gehe es um eine "ganzheitliche Betrachtung von Burg und Schloss, die gattungsübergreifende Dimension, Dimension der Raumkunst, die Anerkennung des Denkmalcharakters architekturbezogener Ausstattung und die Maxime einer dem Tradieren verpflichteten Denkmalpflege" (11). Die acht in dem Tagungsband publizierten Aufsätze, deren thematische Schwerpunkte aufgrund der notwendigen Akzentsetzung unterschiedlich gelagert sind, beleuchten dabei sowohl die wissenschaftliche als auch die museale Seite. [1]

In den ersten beiden Aufsätzen von G. Ulrich Grossmann sowie Anja Grebe und Hans-Heinrich Häfner wird der Versuch unternommen, die immobile und mobile Ausstattung und die räumliche Funktion mittelalterlicher Burgen aus unterschiedlichen Ländern zu rekonstruieren. Die Vielfalt sakraler und profaner Bildthemen in der räumlichen Ausmalung spiegeln ihrer Auffassung zufolge in erster Linie den modischen Geschmack des Auftraggebers wider. Was die Frage der Möblierung und Wohnkultur betrifft, seien aufgrund fehlenden Bildmaterials häufig schriftliche Quellen aufschlussreicher. Diese vermittelten das Bild einer eher schlichten Einrichtung, die durch vielerlei Textilien aufgewertet wurde. Da mittelalterliche Wohnräume häufig multifunktional genutzt wurden, lassen sich zum heutigen Stand der Forschung bisher keine allgemein gültigen Regeln bezüglich der Ausstattung und Funktion ablesen. Ausstattungsrelevante Fragestellungen bilden im Rahmen der Burgenforschung ein recht junges Forschungsgebiet. Die Autoren haben anschaulich und detailliert erste Forschungsergebnisse präsentiert. Es dürfen in Zukunft weitere spannende Erkenntnisse diesbezüglich zu erwarten sein.

Im Beitrag von Hendrik Bärnighausen stehen Schloss Sondershausen und die museale Präsentation der noch vorhandenen Ausstattungselemente im Blickpunkt. Vor dem Hintergrund der Frage nach dem Gesamtkunstwerk analysiert der Autor die Räume und deren Ausgestaltung dieser über Jahrhunderte gewachsenen Schlossanlage und führt die schriftliche und bildliche Quellenlage und den historisch gesicherten Möbelbestand kenntnisreich vor Augen. Die positiven Ergebnisse könnten zukünftig, "höfische Lebenswelten aus fünf Jahrhunderten, ihre Typologie, Nutzung und Dekoration" (58) in Schloss Sondershausen lebendig werden lassen, wenn alle Beteiligten aus der thüringischen Politik, Kultur und Wissenschaft dies als ein gemeinsames Ziel vor Augen hätten. Insofern ist dieser Artikel kunsthistorisch und historisch solide recherchiert und auf die museale Praxis bezogen, versteht sich jedoch mehr als kulturpolitischer Appell, diese Visionen auch real werden zu lassen.

Georg Habermehl und Verena Friedrich stellen aus rein wissenschaftlicher Sicht zwei konkrete Neubau- und Ausstattungsprojekte des 18. Jahrhunderts vor und stützen sich dabei auf forschungsrelevante Quellen: Schloss Heidecksburg in Rudolstadt und die fürstbischöfliche Residenz in Würzburg. Habermehls Artikel basiert vornehmlich auf einigen Bauberichten des Baumeisters und dessen Nachfolger sowie den Verträgen mit Handwerkern und Künstlern. In einem sehr kurz gefassten Überblick gibt er einen Abriss über die Jahrzehnte dauernde Bau- und Ausstattungsgeschichte des Westflügels der Heidecksburg und der beteiligten Künstler und Handwerker. Dieser Artikel bietet insgesamt keine neuen Forschungserkenntnisse als die bereits aus mehreren Publikationen des Schlossmuseums bekannten. Ein zusammenfassendes Fazit unter Bezugnahme auf das Tagungsthema wäre hier zu wünschen gewesen.

Verena Friedrich erläutert den Verlauf der Ausstattung, die in der Würzburger Residenz unter mehreren Bauherren und in unterschiedlichen Flügeln vonstatten ging. Dabei konzentriert sie sich auf die ornamentalen Stilbrüche, die sowohl der Zeit als auch der Intention des jeweiligen Auftraggebers geschuldet waren, aber dennoch harmonisch in die bisherige Dekoration eingefügt wurden. Die Autorin macht in ihrer Untersuchung deutlich, dass ein Raumkunstwerk nicht fest und unabänderlich ist, sondern ein gewachsenes, Tradition und Moderne vereinendes Konglomerat darstellt. Die Frage nach der Funktion der jeweiligen Räume und Raumfolgen rücken bei ihr jedoch in den Hintergrund.

Rekonstruieren oder Dokumentieren, Restaurieren und Wiederherstellen sind die Themen, mit denen sich Wolfgang Wiese und Carl-Ludwig Fuchs am Beispiel des Mannheimer und Schwetzinger Schlosses auseinandersetzen. Ersterer erläutert die Bemühungen der Staatlichen Schlösserverwaltung in Baden-Württemberg, die komplett verloren gegangenen Raumausstattungen des Mannheimer Schlosses gänzlich neu zu rekonstruieren und museal erfahrbar zu machen. In dem seit Jahrzehnten universitär genutzten Räumen soll eine Raumfolge aus dem 19. Jahrhundert neu eingerichtet werden, die aufgrund von Inventaren gut dokumentiert ist. Die hier beschriebene Praxis entspricht dem derzeitigen, kritisch beobachteten Wiederaufbauwillen vollständig verlorener Architekturen und damit dem Zeitgeist. Der Autor vermeidet es jedoch, dies eingehender zu thematisieren beziehungsweise zu problematisieren.

In Schloss Schwetzingen ergibt sich ein ähnliches Problem, allerdings in umgekehrtem Maße, da hier eine Überfülle an Mobilien und Raumausstattungen überkommen ist: Welchem Zeitschnitt sollte man im Zuge der Restaurierungsarbeiten den Vorrang gewähren, welche Räume dekoriert man zum Nachteil bestehender Ausstattungen ausnahmslos um, um in sich geschlossene Appartements vorführen zu können? Die Wahl der Jahre 1775 und 1804 in unterschiedlichen Appartements markieren zum einen den endgültigen Abschluss baulicher Veränderungen und zum anderen das Ende der regulären Nutzung. Fuchs vermittelt auf anschauliche Weise die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, und schildert ebenso die Vor- aber auch die Nachteile dieser Vorgehensweise.

Der abschließende Text von Barbara Schock-Werner wurde als Festvortrag konzipiert und bietet einen Querschnitt durch die räumlichen Gestaltungsmethoden vieler Jahrhunderte. Ihre These, dass nur eine Innenraumgestaltung, "die ein über die irdische Welt hinausweisendes Programm hat und in dieses die Anwesenden bewusst einbezieht, [...] als Gesamtkunstwerk bezeichnet werden [kann]", versucht sie mit Beispielen zu untermauern. Sie beginnt mit dem prominenten Beispiel der karolingischen Königshalle in Aachen, und lässt ihren Blick quer durch die Gattungen, Länder und Epochen schweifen, bis sie mit der Beschreibung der Münchner Residenz im 19. Jahrhundert endet. Die Kölner Dombaumeisterin versteht es trotz der Materialfülle, das Thema der Tagung beständig lebendig zu halten und kritisch zu beleuchten.

Das Symposium hat deutlich gezeigt, dass das Thema Raumkunst hochaktuell und nicht nur in wissenschaftshistorischer Hinsicht interessant und immer noch Forschungsdesiderat ist, sondern dass es vor allem auch die museale Praxis vor häufig schwer lösbare Probleme stellt. Mag der Anspruch, Mittelalter und Frühe Neuzeit, Burg und Schloss, Funktion und Nutzung, sowie die zukünftige Dokumentation und Tradierung zu verknüpfen, für eine zweitägige Veranstaltung auch ein ambitioniertes Ziel sein, dass den Ansprüchen kaum gerecht werden kann, so ist der Versuch dennoch durchaus bemerkenswert. Ebenso wie die Bemühung, Theorie und Praxis in den Artikeln zu Wort kommen zu lassen - wenn auch in unterschiedlicher Qualität der Aufsätze.

Der in diesem Forschungszusammenhang immer wieder gern bemühte Topos des Gesamtkunstwerks ist - als Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts im Umkreis von Richard Wagner und Gottfried Semper - nach wie vor als problematisch anzusehen. Dennoch zeigt sich gerade daran die Schwierigkeit, den hochkomplexen Bereich raumübergreifender Ausstattungsstrukturen zu fassen und mit mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Begrifflichkeiten zu umgreifen.

Für die Zukunft wäre es daher wünschenswert, wenn das Forschungsgebiet der "Raumkunst" mehr in den Blickpunkt des Interesses gerückt würde und auch damit zusammenhängende Aspekte wie beispielsweise die Architekturtheorie oder das Zeremoniell des innerhöfischen Verkehrs Berücksichtigung fänden.


Anmerkung:

[1] Der Vortrag von Burkhard Göres über "Raumkunstwerke - Varianten des Gesamtkunstwerks in preußischen Schlössern" ist hier leider nicht abgedruckt.

Katja Heitmann