Eva Schlotheuber: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des 'Konventstagebuchs' einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484-1507) (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe; 24), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, IX + 612 S., ISBN 978-3-16-148263-2, EUR 119,00
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Eva Schlotheuber / Birgit Emich / Wolfgang Brandis u.a. (Bearb.): Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (1510-1558). Herrschaft - Konfession - Kultur, Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011
Eva Schlotheuber / Hubertus Seibert (Hgg.): Böhmen und das Deutsche Reich. Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich (13.-16. Jahrhundert), München: Oldenbourg 2009
Patrizia Carmassi / Eva Schlotheuber / Almut Breitenbach (Hgg.): Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum, Wiesbaden: Harrassowitz 2014
Das Klosterleben insbesondere weiblicher Ordensgemeinschaften zählt heute zu den am meisten nachgefragten Themenfeldern des öffentlichen Geschichtsinteresses. Nur selten kreuzt sich, wie in diesem Fall, das öffentliche mit dem fachwissenschaftlichen Interesse und es verbindet sich in beiden mit einem weiteren Thema, demjenigen der Bildung und des Wissens, nicht nur der offiziellen Gelehrsamkeit, sondern auch des eher im Geheimen gehandelten Wissens der einzelnen und begrenzter Gemeinschaften. Hier kommen insbesondere Frauen in den Blick und deren früher unterschätztes, heute umso mehr faszinierendes Wissen inner- wie außerhalb der bekannten institutionellen Formen. Dass es auf diesem komplexen Gebiet möglich ist, wissenschaftlich solide Kenntnisse als aktuellen Forschungsstand an die Öffentlichkeit zu vermitteln, ist maßgeblich den Arbeiten von Eva Schlotheuber zu verdanken, die derzeit als eine der besten Kennerinnen der Materie gelten darf. [1] Bei dem hier anzuzeigenden, 2004 erschienenen Buch handelt es sich um ihre zunächst in Braunschweig begonnene, dann in München auf einer Assistentur bei Claudia Märtl abgeschlossene Habilitatonsschrift.
Im methodischen Zugriff besteht die Arbeit aus drei Teilen: einer Institutionengeschichte des Klosters, wissens- und sozialgeschichtlichen Untersuchungen zu Klostereintritt und Ordensleben einer weiblichen Gemeinschaft und einer kritischen Edition des Tagebuches einer Nonne. Nur selten gelingt es heute, Edition und kontextuelle Überlieferungsanalyse an einen übergreifenden Interpretationshorizont zu vermitteln und gerade damit weiterführende, für die Zeit, die zeitgenössische Kultur und eine exemplarische Region repräsentative Aussagen vorzulegen. Schlotheubers Arbeit wird diesem hoch gesteckten methodischen Anspruch vollauf gerecht.
Sie bietet zunächst eine Entstehungs- und Reformgeschichte (bislang nur in Ansätzen bekannt) des Braunschweiger Kreuzklosters, mit ausführlicher Würdigung der Umstände einer "Sühnegründung" und der wechselvollen Ereignisse während der Reformbewegung des späten Mittelalters (8-103). "Der Weg ins Kloster" (104-296) zeichnet das Prozedere bei der Aufnahme junger Frauen in eine Ordensgemeinschaft nach, sowohl allgemein als auch und besonders in jenen Konventen des heutigen Niedersachsens, die in der Reformzeit eine singuläre Entwicklung durchliefen, dann seit der Reformation und bis zur Gegenwart als evangelische Damenstifte weitergeführt wurden (insbesondere Ebstorf, Wienhausen und Lüne). Die zeremoniellen und liturgischen Schrittfolgen beim Eintritt von Mädchen in die Klostergemeinschaft werden eingehend beschrieben und näherhin die Praxis der Oblatio, der Übereignung einer Tochter an das Kloster, die man gewöhnlich aus dem frühen Mittelalter und in anderer Bedeutung kennt, als sie hier aus der Überlieferung für das 15. Jahrhundert erschlossen werden kann. Einem kurzen Resümee folgt (313-478) die Edition des Konventstagebuchs, mit einer umfangreichen kritischen Würdigung der handschriftlichen Überlieferungsstücke. Zuletzt finden sich Datenaufstellungen der bislang weitgehend unbekannten Prosopografie der Amtsinhaberinnen und Konventsmitglieder des Kreuzklosters (eine für künftige Arbeiten auch zu anders akzentuierten Themen nützliche Zusammenstellung, 479-526). Das den umfangreichen bibliografischen Nachweisen folgende Register (593-612) hätte die Zusammenstellung von Sachlemmata verdient, die es erlauben würden, die facettenreiche Untersuchung leichter zu erschließen. Ansonsten wird der Leser aber durch einen ansprechend gestalteten, stringent und übersichtlich gegliederten Text geführt und, im Apparat wie in den Anhängen, immer wieder zu Respekt vor der gelehrten Leistung der Autorin genötigt, wenn sie aus der Fülle ihrer handschriftlichen Quellen zitiert, deren Erschließung - soviel sei nur angedeutet - erhebliche Anforderungen schon an die paläografische Kenntnis der Bearbeiterin stellt.
In ihrer Auswertung bietet Schlotheuber bedeutenden Erkenntniszugewinn gleich zu mehreren zeitgenössischen Milieus. Schon das Zusammenspiel von Stadt, (adeliger) Ministerialität, Kirche und regierendem Fürstenhaus in Braunschweig innerhalb einer vielschichtigen Durchdringung von Laiengesellschaft und Klerus gehört dazu. Wenn eine Tochter aus adeligem Haus ins Kloster gegeben wurde, spielte neben Religiosität und Frömmigkeit auch anderes eine wichtige Rolle, vor allem die personelle Familienplanung. Erziehung und Ausbildung einerseits, Versorgung und standesgemäße Ausstattung andererseits waren die der Entscheidung vorgegebene Koordinaten und bei alledem immer auch das Spiel zwischen der Endgültigkeit des Übertritts in eine geistliche Gemeinschaft und nach einer Gestaltungsfreiheit familienpolitischen Kalküls. Dass flexible Selbstorganisation, funktionaler Pragmatismus und geradezu unkonventionelles Denken die Realität des späten Mittelalters weit eher kennzeichnen als es das hartnäckige Vorurteil von einer Epoche vorreflexiver Beschränktheit wahrhaben will, wird hier aus den Lebenszeugnissen der Zeitgenossen heraus eindrucksvoll gezeigt. Eher vertikal als horizontal beispielsweise sind die sozialen Differenzierungen zu verstehen. Innerhalb eines sozialen Umfeldes (Stadtbürgertum, Niederadel) war die Grenze zwischen Laien und Klerus mitunter durchlässig, mental oder sogar real. In der alltäglichen Lebensplanung wurde damit gerechnet und nicht weniger bei der Handhabung von Konflikten. Für die Mendikantenkonvente in den Hansestädten beispielweise ist dies seit Langem bekannt, für Frauenkonvente stand der Beweis aus der "Innenperspektive" der Klöster noch aus - und sie ist es, über die Schlotheuber zu berichten weiß, aus umfangreicher Überlieferung schöpfend und so insbesondere aus dem anonymen Notizbuch einer Nonne.
Vernetzungen von Personen und Institutionen, heute ein aktueller Gegenstand historischer Forschung, führt zu aufschlussreichen Erkenntnissen über die Folgewirkung von bislang zu oft isoliert betrachteten Phänomenen: Indem Ministerialenfamilien nach berechnetem Kalkül die kirchliche Pfründwirtschaft der Klöster zu einer wirtschaftlich rentablen und sozial repräsentativen Versorgung ihrer Töchter nutzten, und weil sie damit keinesfalls auf die eigene Entscheidungshoheit über das Leben der (geistlichen) Mädchen verzichten wollten, mussten sie notwendigerweise einer Kirchenreform entgegentreten, die sich zum Ziel setzte, den Laieneinfluss zurückzudrängen. Deshalb konnten observante Tendenzen in den betreffenden norddeutschen Nonnenklöstern nicht greifen und es kam allenfalls zu einer "moderaten Reform", die allen beteiligten Interessengruppen gerecht wurde.
Im Gegenzug wird erst aus dieser Innensicht verständlich, wo genau die Grenzen lagen zwischen einem Zugriff der Laiengesellschaft und der Geschlossenheit geistlicher Ordnung: Mit der Profess war die Frau endgültig dem Konventsleben übergeben. Ihre geistige Ausbildung, ein vorrangiges Erkenntnisinteresse Schlotheubers, fand dann räumlich wie institutionell innerhalb der Klostermauern statt. Keine Rede konnte davon sein, dass auch Laienkinder am Unterricht der geistlichen Frauen hätten teilnehmen können. Die heute noch beliebte Vorstellung, in mittelalterlichen Klöstern hätten stets öffentliche Schulen bestanden, ist, zumal für weibliche Gemeinschaften, unbegründet. Wieder öffnet sich eine Parallele zu den Mendikantenorden, die ganz ähnlich wie die Zisterzienserinnen keinerlei Unterweisung an Laien erteilten - während etwa die Benediktinerkonvente hier weit offener waren -, dafür aber eine überaus anspruchsvolle Bildung an die Konventsangehörigen vermittelten. Auch hier kann Schlotheuber einen bedeutenden Schritt weitergehen als es gewöhnlich möglich ist: Die von ihr ausgewertete Überlieferung zeigt, dass die untersuchten Frauenkonvente eine insgesamt bescheidene, aber grundsätzlich lateinische Bildung kannten. Erst jetzt kann es den Leser nicht mehr überraschen, dass das edierte Konventstagebuch nicht, wie allgemein hätte erwartet werden dürfen, in dialektal gefärbter deutscher Sprache, sondern in einer (wenn auch bisweilen etwas ungelenkt gehandhabten) lateinischen Sprachform gehalten ist. Lateinische Lese- und Schreibfähigkeit war für diese Frauen selbstverständlich! Nun mag man weiter nachdenken und wird schnell darauf kommen, dass hier Rückwirkungen in die Laiengesellschaft der Ministerialenfamilien bestanden haben könnten. Wenn neuere Untersuchungen in anderem Zusammenhang (Christine Reinle) zeigen, dass man im Niederadel des Spätmittelalters eine aktive Briefkommunikation kannte, so schließen sich jetzt Forschungslücken wie diejenige, die über Generationen dazu geführt hatte, die Bildung der Frauen im Mittelalter zu unterschätzen. Wer schließlich als niederadeliger Familienplaner darauf bedacht war, den Töchtern seines Hauses eine solide Wissensgrundlage vermitteln zu lassen, war gut beraten, sie zur Erziehung und Unterweisung in einen Nonnenkonvent zu geben und sie im Bedarfsfall rechtzeitig vor der Ablegung der unwiderruflichen Profess wieder zurückzuholen.
Manches mehr ließe sich berichten: Die Lektüre der Arbeit von Schlotheuber nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch die alltägliche Lebenswelt des späten Mittelalters, die eine Fülle von Perspektiven eröffnet und ein revidiertes (dabei stets wissenschaftlich solide gesichertes) Bild insbesondere von der Erfahrungsrealität von Frauen zwischen Gesellschaft und Kirche zeichnet.
Anmerkung:
[1] S. u. a. Eva Schlotheuer: Sprachkompetenz und Laienvermittlung, in: Nathalie Kruppa /Jürgen Wilke (Hg.): Kloster und Bildung im Mittelalter (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 218; Studien zur Germania Sacra, 28), Göttingen 2006; Falk Eisermann / Eva Schlotheuber / Volker Honemann (Hg.): Studien und Texte zur literarischen und materiellen Kultur der Frauenklöster im späten Mittelalter. Ergebnisse eines Arbeitsgesprächs in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 24.-26. Febr. 1999. (= Studies in Medieval and Reformation Thought 99), Leiden / Boston 2004.
Martin Kintzinger