Unn Plather et al. (eds.): Painted Altar Frontals of Norway 1250-1350, London: Archetype Publications 2004, ISBN 978-1-87313-293-7
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1811 fand in Christiania (Oslo) die Gründung einer Art königlichen Kommission für die Erhaltung nationaler norwegischer Antiquitäten statt, wie sie im Jahr zuvor in Kopenhagen für die Erhaltungen dänischen Kulturguts ins Leben gerufen worden war. Wilhelm Christi war um diese Zeit Bezirksgouverneur für die Provinzen nördlich von Bergen, Gustav Blom sein Nachfolger. Zusammen mit dem Bischof und Antiquar Jacob Neumann fuhren sie landauf, landab und besuchten Kirchen etc., um das kulturelle Erbe Norwegens für die besagte Kommission zu entdecken und zu sichern. Als ganz wichtig stellten sich die Altarfrontale heraus: große Holztafelbilder von etwa ein Meter Höhe (min. 89 cm, max. 108 cm) und bis gegen zwei Meter Breite, gefertigt aus quer verlaufenden, dicken Brettern. Sie sind bemalt, die Malereien ähneln im Stil den Buchminiaturen des 12. - 13. Jahrhunderts.
1825: Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung des ersten dieser Antependien in Weise im Jahrbuch der "Royal Norwegian Society of Science" in Trondheim stammt von Blom, andere folgten. Christie gründet im gleichen Jahr das Bergen Museum, das die ersten dieser mittelalterlichen Meisterwerke norwegischer Malerei in seinen Bestand eingliedern kann: gegen Ende des Jahrhunderts waren es dort bereits 19 derartiger Altarvorsätze, alle datiert zwischen 1250 und 1350. Später kamen noch einige ins Universitätsmuseum von Oslo, vier waren am originalen Standort in Kirchen verblieben (heute zwei) und einige außer Landes geraten (nach Island und Dänemark). In der Schweiz befindet sich ein spanisches Antependium in der Abegg-Stiftung.
Heute sind 31 dieser Holztafelmalereien in Norwegen bekannt, vermutlich ein eher kleiner Rest einer weit größeren Anzahl. Anfang des 20. Jahrhunderts begann dann die kunsthistorische Bearbeitung dieser phänomenalen Objekte und 1971 war die Zeit für die norwegische Akademie der Wissenschaften reif, ein Projekt mit dem Namen "Mittelalterkunst in Norwegen" zu lancieren, gerade drei Jahre nach dem holländischen "Rembrandt Research Project".
In der Sammlung der Universität von Oslo befinden sich einige "frontals". Unn Plahter, heute emeritierte Professorin für Chemie an eben dieser Institution und Leif Plahter, ihr Ehemann und damaliger Chefrestaurator der Nasjonal Galleriet in Oslo, waren bei diesem Projekt von Anfang an dabei, also seit nunmehr über 30 Jahren. "Painted Altar Frontals from Norway 1250 - 1350" ist das dreibändige Resultat dieses außergewöhnlichen nationalen Forschungsprojektes.
Volume 1: Artists, Styles and Iconography
Band 1 führt in das Projekt ein, zeigt den europäischen Kontext und stellt die Forschungsgeschichte dieser Antependien dar. Kapitel 4 befasst sich mit der Datierung; das darauf Folgende mit der Ikonografie der Antependien. Dem folgt der Katalog aller 31 "altar frontals" in Norwegen, eingeführt durch eine generelle Beschreibung, die auch die Verifizierung der Herkunftsorte beinhaltet. Dem gemäß ist für die ikonografische Struktur der Antependia typisch, dass ein Kultbild (devotional image) in dessen Mitte steht, etwa eine Madonna mit dem Kind, die Kreuzigung oder Heiligendarstellungen. Diese Figur ist seitlich eingefasst von je zwei oder vier Medaillons mit ikonografisch auf das Zentralbild bezogenen Szenen. Wenn es keine Zentralfigur gibt, ist eine einfache oder doppelte Reihe von Medaillons mit Passionsszenen zu sehen. Die Rahmen sind auf die Vorderseite montierte, farbig gefasste Leisten. Die Hintergründe sind in den älteren Bildern versilbert, oder versilbert und goldgelb lasiert. Die Motive sind oft inzisiert, darüber wird das Motiv mit dem Pinsel als Kontur angelegt, oft in Schwarz, aber auch in Ocker, Terra die Siena und Grün. Die figürlichen Darstellungen sind dann mit meist lasierenden Ölfarben über die sichtbar bleibende Konturzeichnung hinweg gemalt, die dadurch zu einem entscheidenden Faktor der Bildgebung wird.
Der dieser Generalisierung folgende Oeuvre-Katalog der Einzelobjekte ist gemäß kunsthistorischen Kriterien angelegt. Jeder Aspekt (ikonografisches Programm, Provenienz, Rahmen, Einteilung der Szenen, Hintergrund, Einzelszenen etc.) wird beschrieben. Die Beschreibungen der einzelnen Szenen sind ebenso detailliert, wie die Diskussion ikonografischer Einzelheiten oder Probleme. Technologischen Gegebenheiten hingegen werden hier nur summarisch angegeben.
Volume 2: Materials and Technique
Ähnlich angelegt wie der erste Band, findet sich auch hier eine begriffsklärende Einführung. Es folgen drei Hauptkapitel: Als Erstes "Bildträger" in Material und Konstruktion, Holzarten, die Brettbearbeitung und deren Verwerfungen, Rahmen-Applizierung und Formgebung, Querleisten und ihre Verwendung, Nagelarten und Vorsichtsmaßnahmen für deren Einsatz. Ich fand allerdings keine Angaben zur individuellen Dicke der konstituierenden Bretter. Abgerundet wird das Ganze mit Kommentaren und einer Reihe sehr interessanter, kumulativer (statistischer) Tabellen.
Als zweites Kapitel folgt: "Malerei: Material und Technik". Angefangen mit der Grundierung finden hier auch radiografische Ergebnisse, Farbschichten und Malereiaufbau, die Vorzeichnungssysteme und Pigmente ausreichend Platz. Die Bindemittelanalysen sind in einem kurzen Abschnitt zusammengefasst. Die Malerei spielt nachweislich mit Matt- und Glanz-Effekten und stellt sehr bewusst opake Malerei gegen lasierende; auch gibt es zweifarbige Schattengebung, der sehr wahrscheinlich Symbolwert beizumessen ist; sie könnte hierarchische Bezeichnungsfunktion haben. Das vorwiegende Bindemittel ist Leinöl. Die verschiedenen Blaus (u. a. Lapis Lazuli, Azurit, Indigo) wurden in der Regel mit Tempera gebunden, wobei allerdings keine Definition des Terminus Tempera gegeben wird. Gefirnisst wurde mit Eiklar - mit einer Ausnahme, wo ein farbloser Ölfirnis als Zwischenschicht verwendet wurde.
Das dritte Kapitel behandelt die "Maltechniken", hier werden auch die Pigmente tabellarisch aufgelistet. Mittels Makro-Aufnahmen von gut ausgewählten Details wird die analysierende Beschreibung der Malweisen sehr verständlich illustriert. Kapitel 4 widmet sich u. a. dem Vergleich mit anderen norwegischen bemalten Objekten und mit den spanischen Antependien und setzt dies in Beziehung zu den Trends der Farbgebung im 12., 13. und 14. Jahrhundert.
Hierzu gibt es in den Akten der Zwischenbilanz-Konferenz des Projektes von 1989 einen Beitrag von Patricia Stirnemann vom "Institut de recherche et d'histoire des textes", Paris, der sich mit Farbangaben auf Kunstwerken und deren Materialität befasst und mit der "symbolischen und soziologischen Bedeutung von Farbe im Mittelalter", s.o. Basierend auf den faszinierenden Forschungen des Farbhistorikers Michel Pastoureau, schreibt Stirnemann, dass "wir in das Verständnis mittelalterlicher Ästhetik und Bedeutung von Malerei nur sehr oberflächlich eindringen können, wenn wir nicht vorher gelernt haben, mit mittelalterlichen Augen zu sehen, und noch spezieller mit denen des mittelalterlichen Künstlers" (Stirnemann, 143).
Auch Volume 2 verfügt über einen zusammenfassenden Katalog, diesmal kunsttechnologisch ausgerichtet und führt für jedes Antependium alles auf, was dazu in Erfahrung gebracht werden konnte; es gibt je eine genaue Beschreibung der Konstruktion und des Zustands. Der Bildaufbau wird detailliert beschreiben und durch die Wiedergaben von Farbschnitten bereichert.
Volume 3: Illustrations and Drawings
Band 3, von Unn Plahter allein verfasst, zeigt jedes "frontal" in ganzseitiger Farbaufnahme, gefolgt von der Durchzeichnung der charakteristischen Umrisszeichnungen, den Konstruktions-Zeichnungen der Tafel bis ins Detail, mit Anstückungen, Nagel- und Dübelpositionen, Überklebungen etc. Wo strukturierte Gründe vorliegen, sind auch diese als Strichzeichnung genau wiedergegeben, meist allerdings etwas sehr kleinteilig. Auch wären einige zusätzlich Maßangaben von Vorteil gewesen. Alle Umrisszeichnungen sind in Folge nebeneinander angebildet, was vergleichende Arbeit erheblich erleichtert.
Es steckt eine ungeheure und großartige Arbeitsleistung in diesem (fast Lebens-) Werk. Leider lassen die Reproduktionen einiger Aufnahmen etwas zu wünschen übrig, die jeweilige Information ist aber trotzdem gut ablesbar. Dieses Werk über ein so vielfältiges, komplexes und so reichhaltiges Thema verdient höchste Anerkennung, ja es wäre auszuzeichnen. Gäbe es einen Oscar für kunst- und kunsttechnologische Publikationen, "Painted Altar Frontals from Norway, 1250 - 1350" wäre mein Kandidat.
Anmerkung:
Diese Rezension wurde ursprünglich für RESTAURO geschrieben und dort in Heft 4/2006 (219-222) publiziert.
Hans-Christoph vom Imhoff