Rezension über:

Heiko Droste: Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert (= Nordische Geschichte; Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, 432 S., ISBN 978-3-8258-9256-2, EUR 39,90
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Rezension von:
Sebastian Olden-Jørgensen
SAXO-Instituttet, Københavns Universitet
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Sebastian Olden-Jørgensen: Rezension von: Heiko Droste: Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/10584.html


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Heiko Droste: Im Dienst der Krone

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Im 17. Jahrhundert war Schweden eine europäische Großmacht und durchlief als solche eine rapide Entwicklung der inneren wie der äußeren Staatsbildung. Die großen Persönlichkeiten wie Gustav Adolf und Axel Oxenstierna, die diese Entwicklung lenkten, genießen einen hohen Bekanntheitsgrad und sind Gegenstand intensiver Forschung geworden, auch außerhalb Schwedens. Anders sieht es mit ihren unentbehrlichen Helfern aus wie z.B. den ständigen diplomatischen Vertretern. Diese stehen im Mittelpunkt der Kieler Habilitationsschrift von Heiko Droste aus dem Jahr 2002.

Das Buch bietet einerseits viel mehr, andererseits aber auch etwas weniger als der Titel unmittelbar verspricht. Auf der einen Seite sind mit den "schwedischen Diplomaten" nur die residierenden diplomatischen Vertreter und nicht die zahlreichen diplomatischen Gesandtschaften gemeint. Insgesamt handelt es sich genau um 115 Männer, von denen weniger als die Hälfte gebürtige Schweden waren; meist handelte es sich um Deutsche in Diensten der schwedischen Krone, die hier prosopographisch und in Gestalt von individuellen case studies erfasst werden. Auf der anderen Seite bietet das Buch viele Einblicke in kulturgeschichtliche Themen wie die ständischen Lebenswelten und den höfischen Lebensstil, die Phänomene der Patronage, des Klientelismus und der Briefkultur.

Letzter Aspekt bildet den theoretisch-methodischen Angelpunkt. Zahlreiche Briefe, die zwischen den Diplomaten und ihren meist hochadeligen Patronen gewechselt wurden, bilden die empirische Grundlage der Untersuchung, die auf ausgedehnte Studien des diplomatischen Briefverkehrs in schwedischen und deutschen Archiven basiert. Das ganze Buch ist geradezu durchtränkt von dieser intensiven Brieflektüre, die auch in einer Reihe von 79 sorgfältig ausgewählten Briefen oder Briefausschnitten, die, wo es nötig war, ins Deutsche übersetzt wurden, ihren Niederschlag gefunden hat.

Dieser methodische Ansatz hat Vor- und Nachteile. Vor allem mangelt es an einem übergreifenden, scharf formulierten Erkenntnisinteresse. Die Darstellung selbst zerfällt in drei Hauptteile, die weitgehend denselben Stoff und dieselben Fragestellungen behandeln. Zur Erschließung des aufbereiteten Materials trägt am Ende des Buches ein ausführliches Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Quellen bei, dazu ein biographischer Anhang zu den hier erfassten Diplomaten sowie ein systematisch-thematisches Register zu den Quellenzitaten und ein Personenregister.

Der erste Teil der Darstellung beinhaltet eine Einleitung, die in die allgemeine theoretische Perspektive der Staatsbildung, des symbolischen Kapitals und der neueren Kulturgeschichte einführt sowie eine erste Diskussion zentraler Begriffe wie "Vertrauen", "höfischer Lebensstil" usw. bietet. Darauf folgt eine straffe Darstellung der schwedischen Großmachtzeit, des Ausbaus und der Entwicklung der schwedischen Diplomatie im 17. Jahrhundert. Hier werden nationale Herkunft, Stand und Karrieremuster, Länge der Dienstzeit usw. auch statistisch erfasst. Abgeschlossen wird dieser erste Durchlauf mit einer Einführung in die Briefkultur des Barocks und einer sehr anschaulichen Analyse der Briefe des Hamburger Juristen Georg Schröttering, eines letztendlich erfolglosen Klienten des schwedischen Grafs Nils Gyldenstolpe.

Im zweiten und dritten Teil wird der Stoff, der anhand von Schröttering kurz und exemplarisch analysiert wurde, systematisch dargestellt und erweitert. Das System der Patronage war ein System der Teilhabe am Herrschaftssystem der Krone Schweden, und die oft bürgerlichen Diplomaten bekamen dadurch Anschluss an die Ressourcen der Krone, die sie selbst wiederum durch ihren eigenen Kredit stärkten. Der zeitliche Abstand zwischen Investition (Korrespondenz, Kredit im weitesten Sinne usw.) und Belohnung (wiederum mit Kredit, aber auch Gütern, Nobilitierung usw.) konnte viele Jahre umfassen. Somit stellten die unregelmäßig ausgezahlten Gehälter viel weniger eine Entlohnung dar, sondern dienten vielmehr dazu, den Kredit und die Ehre des Diplomaten und dadurch mittelbar auch der Krone Schweden zu erhalten. So stellte das System oder vielleicht besser die Kultur- und Lebensform der Patronage in den Jahrzehnten der schwedischen Expansion Formen der Staatlichkeit bereit, die von der nur schwach institutionalisierten Bürokratie nicht geleistet werden konnten.

In dieser Perspektive erscheint Patronage nicht als Hemmschuh in der Entwicklung der Staatsbildung (Schmarotzerperspektive), sondern als eine, wie das Beispiel Schwedens deutlich werden lässt, unumgängliche Stufe der Staatsbildung. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems war jedoch, dass Schweden eine Wachstumsgesellschaft blieb. Als in der zweiten Jahrhunderthälfte die Eroberungsphase erst durch Konsolidierung und dann durch militärische und finanzielle Krisen abgelöst wurde, entfiel vieles von dem, was die Partizipation am Patronagesystem der Krone hatte erstrebenswert scheinen lassen. Statt des Zusammenbruchs folgte jedoch der schwedische Absolutismus Karls XI., der einen Schub der Institutionalisierung und Bürokratisierung einleitete, aber dadurch auch das goldene Zeitalter der schwedischen Patronage beendete.

Die hier hervorgehobene Staatsbildungsperspektive ist gewiss sehr pointiert herausgearbeitet und lässt sich deshalb auch am leichtesten kurz und bündig resümieren. Sie fußt auf einer differenzierten Darstellung der "Lebenswelt der Diplomaten Schwedens in ihren Institutionen und ihrer historischen Entwicklung" (44). Mit dieser Beschreibung ist auch am deutlichsten das Ziel der Untersuchung benannt (vgl. dazu auch 14 und 56). Denn es muss deutlich festgehalten werden: Heiko Droste steht (zu) großen Theorien und (zu) breiten Begriffen skeptisch gegenüber. Er möchte viel lieber konkret und differenziert beobachten und analysieren. Manchmal geht er dabei zu weit, z.B. mit der Behauptung, es gebe "weder den typischen Diplomaten noch die typische Residentur" (53). Glücklicherweise hindert ihn dies nicht, seine hauptsächlich auf die Hamburger Residentur beschränkten Studien sinnvoll mit anderen schwedischen Residenturen im Reich zu vergleichen und in die historische Entwicklung einzubetten.

Drostes Vorhaben lässt sich vielleicht am besten als ein zutiefst hermeneutisches begreifen, und als solches gelingt es. Die Lebenswelt der ständigen diplomatischen Vertreter Schwedens im 17. Jahrhundert wird detailliert und anschaulich, aber auch theoretisch reflektiert dargestellt. Eine besondere Stärke Drostes ist die exakte Arbeit mit den Fachtermini, die in der Einleitung, aber auch im dritten Teil ausführlich diskutiert werden. Hier ist vor allem die kritische Stellungnahme zum Forschungsfeld Klientelismus/Patronage/Verflechtung zu nennen. Er vertritt hier gewissermaßen eine historistische Position, die eine konkrete Einbettung der Begriffe und Respekt für die großen Unterschiede der jeweiligen Adels-, Hof- und Patronagekulturen fordert. Dass Patronage bei der Staatsbildung direkt zu berücksichtigen und nicht als ein Anachronismus oder Korruption zu verstehen sei, wird in dieser Untersuchung nochmals nachdrücklich vorgeführt, ist aber auch nicht wirklich kontrovers. Der Weg von dieser Einsicht in die "Meisterzählung" der europäischen Staatsbildung ist aber noch weit, wie Droste auch unlängst an anderer Stelle dargelegt hat. [1]

Die Studie führt anschaulich in die Welt der schwedischen Diplomaten des 17. Jahrhunderts ein und beleuchtet damit einen wichtigen Aspekt der Zeit, als Schweden eine europäische Großmacht war. Auch die überzeugende Verwendung von Bourdieus Begriff des symbolischen Kapitals sowie die oben angesprochenen Thesen zur Bedeutung von Patronage für den Prozess der Staatsbildung dürften allgemeines Interesse beanspruchen und dieser Abhandlung eine grundlegende Bedeutung verleihen, die weit über die frühneuzeitliche schwedische Geschichte hinausreicht.


Anmerkung:

[1] Heiko Droste: Patronage in der Frühen Neuzeit. Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), 555-590.

Sebastian Olden-Jørgensen