Mario Rigoni Stern: Geblendet und betrogen. Eine italienische Jugend. Aus dem Italienischen von Verena v. Koskull. Mit einem Nachwort von Friederike Hausmann, Berlin: Berenberg 2005, 124 S., ISBN 978-3-937834-08-5, EUR 19,00
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Es ist lange her, dass ein Buch des italienischen Schriftstellers Mario Rigoni Stern ins Deutsche übersetzt worden ist. Vor mehr als fünfzig Jahren erschien sein erstes Buch "Il sergente nella neve" unter dem Titel "Alpini im russischen Schnee" auch in deutscher Sprache. Dabei handelte es sich um die Erinnerungen Rigoni Sterns, der als Unteroffizier der italienischen Gebirgsjäger an der Ostfront mit der Wehrmacht gegen die Rote Armee gekämpft und den mörderischen Rückzug vom Don überlebt hatte - anders als Tausende seiner Kameraden, die in der eisigen Steppe im Süden der Sowjetunion den Tod fanden. Rigoni Stern erzählte seine Geschichte klar und unprätentiös, ohne Pathos und ohne die gequälten Versuche, eine Rechtfertigung für einen verbrecherischen Krieg zu finden, die nicht wenigen Erinnerungsberichten deutscher Veteranen über die Schlachten im Osten eigen sind.
In seinem ersten Buch hatte Rigoni Stern nur wenig von sich selbst, seiner Herkunft und seiner Familie preisgegeben. Sein letztes Buch dagegen führt den Leser zurück in seine Jugend, die der Schriftsteller in den Alpenhochtälern der Sieben Gemeinden, genauer gesagt in Asiago, verbrachte, zwischen faschistischer Jugendorganisation und katholischer Aktion und in eher schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, die den Siebzehnjährigen neben aller Abenteuerlust dazu bewogen, sich 1938 freiwillig zu den Alpini zu melden. Rigoni Stern berichtet ausführlich über seine Ausbildung, die als vergleichsweise unbeschwerte Zeit erscheint, die er freilich selbst mit der Lebenserfahrung eines alten Mannes und dem Wissen um die kommende Katastrophe immer wieder kritisch hinterfragt: Wie konnten wir so lange so blind sein und selbst nach dem desaströsen Winterfeldzug 1940/41 gegen Griechenland mit seinen unzähligen Toten und Verwundeten weiterhin den Parolen der faschistischen Propaganda vertrauen?
Einen wirklichen Bruch brachten erst die grauenvollen Erfahrungen, die Rigoni Stern auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz machen musste - einen doppelten Bruch mit dem Faschismus und mit den deutschen Bündnispartnern, von denen man sich verachtet, verheizt und in der Stunde der Not verraten fühlte. Zudem, so Rigoni Stern, habe ihre grausame Besatzungspraxis, die öffentlichen Hinrichtungen und Massengräber, auf die die Alpini immer wieder gestoßen seien, dazu beigetragen, das Weltbild nachhaltig zu erschüttern, mit dem viele italienische Soldaten in die Sowjetunion gekommen waren. Das Reflexionsvermögen des Schriftstellers und Zeitzeugen reicht freilich nicht so weit, dass er die Rolle der italienischen Russland-Armee im Rahmen der deutschen Besatzungsherrschaft hätte problematisieren oder das schwierige Verhältnis zwischen Italienern und Deutschen hätte eingehender analysieren können. An diesem Punkt sind bei Rigoni Stern im Gegenteil immer wieder tief sitzende Ressentiments und Stereotypen zu beobachten, die man dem Autor freilich nicht verdenken kann, wenn man in Rechnung stellt, dass er zwischen September 1943 und April 1945 zwanzig Monate als so genannter Militärinternierter in deutscher Gefangenschaft verbringen musste, deren von Demütigungen und Hunger geprägter Alltag sich tief in seine Erinnerung eingebrannt hat.
Rigoni Stern, der die Schrecken des Krieges und der Gefangenschaft überlebte, wurde nach 1945 zu einem weithin bekannten Chronisten seiner Heimat in den Bergen, deren widerspenstigen Eigen-Sinn und Besonderheit an der Nahtstelle zwischen deutschen und italienischen Siedlungsräumen er wiederholt und eindringlich beschrieben hat. Davon erfährt der Leser in "Geblendet und betrogen" allerdings nur wenig, weshalb man auch Büchern wie "Storia di Tönle" oder "Le stagioni di Giaccomo" eine deutsche Übersetzung wünschen würde.
Thomas Schlemmer