Georg Satzinger (Hg.): Die Renaissance-Medaille in Italien und Deutschland (= Tholos. Kunsthistorische Studien; Bd. 1), Münster: Rhema Verlag 2004, 400 S., 344 Abb., ISBN 978-3-930454-53-2, EUR 62,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Folker Reichert: Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009
Frei Vicente do Salvador: Geschichte Brasiliens 1500-1627. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Franz Alto Bauer, Regensburg: Schnell & Steiner 2023
Joan Cadden: Nothing Natural Is Shameful. Sodomy and Science in Late Medieval Europe, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2013
Der vorliegende Band, der die Ergebnisse einer Tagung der Fritz-Thyssen-Stiftung in Bonn am 24. und 25. Oktober 2004 enthält, führt mit thematisch und methodisch durchaus verschiedenen Beiträgen in das weite Feld der Medaillenkunde ein, Medaillenkunde verstanden als Grenzgebiet zwischen Numismatik, Kunstgeschichte und geschichtlicher Quellenkunde im Sinne einer kritischen Sichtung von Überlieferung und historischer Genese. Paradigmenhafte Tendenzen lassen sich wie bei Tagungsbänden vergangener Jahre nicht ausmachen. Zwei für die Medaillengeschichte so verschiedene Länder wie Italien und Deutschland unter das Motto einer Tagung zu bringen, erscheint dabei gewagt, hat doch die Medaille in Deutschland erst gut achtzig Jahre nach ihrem Auftauchen in Italien ihren Anfang erlebt, mit dem Augsburger Reichstag 1518 und der beispielgebenden Medaille auf Conrad Peutinger von Hans Schwarz. Der überwiegende Teil der Beiträge ist jedoch Medaillen in Italien gewidmet.
Den Band in seiner ganzen Inhalts- und Gedankenfülle darzustellen, ist hier unmöglich, deshalb einzelne Hinweise. Zu den anregenden und stoffübergreifenden Beiträgen gehören die von Georg Satzinger (Baumedaillen: Formen und Funktionen. Von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, 97-137) und von Nicole Riegel (Medaillen für Kardinäle - eine Skizze, 213-269), deren Themenstellungen zwar für die Medaillengeschichte nicht eigentlich konstitutiv sind, da sie keinem Gattungsbegriff folgen, doch die eine breite Übersicht über das Material vermitteln. Satzinger führt dabei eingehend in die schon früh nachweisbare Funktion der Medaille als "abergläubische Bauopferpraxis" ein, doch löst sich dieser Zusammenhang im späteren Gebrauch auf. Nicht immer sind allerdings die von Satzinger behaupteten Traditionsmuster wirklich offensichtlich, wie z.B. der Verweis bei der Medaille Papst Sixtus' IV. auf den Ponte Sisto von 1473 zeigt (106): für die "Antiken-aemulatio als Motiv des Papstes" und die Contorniaten als Vorbild wünscht man sich numismatische, literarische oder epigrafische Quellenbelege. Quellenkritische Beweisführung ist jedoch auch ein an manch anderen Stellen des Bandes anzutreffendes Desiderat, das aus der geringen Aufarbeitung der Geschichte der Medaillen überhaupt resultiert. Bei der in viele Richtungen sich ausprägenden "Baumedaille" macht Satzinger das Oszillieren des Mediums zwischen Darstellung von Bauplan, dem Bau selbst und der historischen Funktion der jeweiligen Medaille deutlich. Der Beitrag von Nicole Riegel über die Medaillen auf Kardinäle, von denen sie zwischen 1431 bis 1600 ca. 180 Beispiele ausmacht und in einem tabellarischen Anhang chronologisch aufführt, muss viele Fragen ausblenden, ist doch die Gattung nicht eigentlich definierbar: Medaillen sind nicht, wie Münzen, durch Hoheitsrechte begründet, sondern sind Privatsache. Entsprechend schwierig ist es, aus den Befunden allgemeine Erkenntnisse zu ziehen. Gerade für diese beiden Tagungsbeiträge ist es bedauerlich, dass der monumentale quellenkritische Katalog von Philip Attwood, Italian Medals, ca. 1530 - 1600 (2003) nicht eher herauskam, wenn auch die Katalognummern in den Tagungsband eingearbeitet wurden.
Zu bemerkenswerten Aufschlüssen kommen die Beiträge, die die Medaille von der Seite des künstlerischen Produzenten betrachten. Wolf-Dieter Löhr (Höfische Stimmungen - Künstlerkonkurrenz und Fürstenrepräsentation auf einer Medaillenserie Giovani Boldùs von 1457, 9-56) zeigt, wie die hohe Bedeutung der Musik an den Renaissancehöfen, hier Ferrara, zu besonderen Medaillenerfindungen seit Pisanello geführt hat. Giovanni Boldù hat 1457 eine stilistisch homogene Serie von vier Medaillen auf Musiker geschaffen, die mit dem Besuch des jungen Galeazzo Maria Sforza bei Borso d'Este in Verbindung zu bringen ist. Ob von diesem einmaligen Fall einer klar als solche konzipierten Serie ausgehend allerdings die Behauptung "durch ihre spezifische Rezeptionssituation [sei] jede Medaille des Quattrocento von Beginn an als Teil einer Serie konzipiert" (34) uneingeschränkt gültig ist, mag dahingestellt sein. - Einen eigenwilligen Wettbewerb um die Stellung eines päpstlichen Münzmeisters zeichnet Tobias Kämpf ("Non si può far più in quell'arte" - Benvenuto Cellini und die Medaillen des Papstes, 139-168) nach. Cellini, seit 1529 Stempelschneider Papst Clemens' VII., schuf in diesem Amt eine Reihe ungewohnter neuer Darstellungen für die Rückseiten der Münzen. Als er 1534 sein Amt verlor, schuf er zu seiner Rehabilitation die heute so berühmten Medaillen auf den vom Künstler sonst wenig geschätzten Papst mit den Rückseiten "Clauduntur belli portae" (nach antiken Münzbildern) und "Ut bibat populus" (nach Raffaels Fresko), letztere wurde dem Papst noch auf dem Totenbett vorgelegt. - Eine komplizierte Deutung in der Zusammenarbeit zwischen Künstler und Portraitiertem stellt Andreas Schumacher vor (Leone Leonis Michelangelo-Medaille - Porträt und Glaubensbekenntnis des alten Buonarotti, 169-194). Leoni hatte einen prestigeträchtigen Auftrag für ein Grabmal dank Michelangelos Vermittlung erhalten und fertigte dafür 1560, zwei Jahre vor Michelangelos Tod, eine Portrait-Medaille. Die Rückseite mit der Darstellung eines blinden Pilgers und dem Zitat aus dem Bußpsalm 51, 15 geht auf Michelangelo zurück, der in dem bewusst falsch angegebenen Lebensalter von 88 Jahren mittelalterliche Zahlenallegorese von Sündhaftigkeit und Auferstehung aufgegriffen habe. Die Allegorie des Pilgers mit ihrer Verbindung von Blindheit, Erkenntnis und Glaubenskraft zeigt auf vielschichtige Weise Michelangelos Kunstauffassung, in den Psalmenworten nimmt er die Nachfolge des David als "Botschafter göttlicher Herrlichkeit" (188) in Anspruch.
In welche Falle eine an Bild-historischen Methoden ausgerichtete Betrachtung führen kann, zeigt der Beitrag von Philine Helas (Name, Bildnis, Blut - Manifestationen Christi in der Medaille des Quattrocento, 55-96). Die Verfasserin will darin einer einseitigen Betrachtung der Quattrocento-Medaillen "als Medium der Antikenrezeption und Ort profaner Bildthemen" entgegenwirken und fragen, ob nicht "das 'neue' Medium für die christliche Bildersprache fruchtbar" gemacht wurde, ein Ausgangspunkt, der zu sehr Fragen der modernen Renaissance-Forschung verhaftet ist und dem Funktionscharakter von Medaillen nicht genügend gerecht wird. Frau Helas nimmt als Beispiele die Portraitmedaille auf Bernardin von Siena (1444) von Antonio Marescotti mit dem "Markenzeichen" des Heiligen, dem Jesus-Monogramm im Zentrum einer Strahlensonne, die Christus-Medaille von Matteo de' Pasti und die Medaille auf Papst Pius II. von Andrea Guazzalotti von 1464 mit dem Bild des sich für die Jungen aufopfernden Pelikan, Kopie einer Medaille Pisanellos. Das letzte Werk birgt Probleme: Frau Helas stellt - beeinflusst durch die theologischen Diskussionen jener Zeit um die Göttlichkeit des Blutes Christi - den christologischen Bezug bei Pius II. zu sehr in den Vordergrund und übersieht den Zitatcharakter bei einem Medailleur (Guazzalotti), der kein Talent zur Erfindung von Rückseiten hatte, und den bei allen Beispielen maßgeblichen humanistischen Kontext. Gerade "Blut" ist kein Beispiel für die Verwendung religiöser Symbole, sondern für Profanisierung. [1]
Einen geschlossenen Komplex bilden die Beiträge zur deutschen Medaillenkunst. Jeffrey Chipps Smith (Medals and the Rise of German Portrait Sculpure, 271-299) beschreibt die Andersartigkeit der deutschen Medaillen: den großen zeitlichen Verzug nach der italienischen Entwicklung, den häufigen Verzicht auf eine Rückseite, die Eigenständigkeit der Holz- und Steinmodelle, den Einfluss auf Reliefplastik, Druck und Bildnismalerei. - Annette Kranz (Zur Portraitmedaille in Augsburg im 16. Jahrhundert, 301-342) geht dem Problem nach, aus welchen Wurzeln die Medaille in Augsburg 1518 entstanden sei, von den ersten Medaillensendungen des Ulrich Gossembrot 1459 aus Italien an die Augsburger Frühhumanisten über die Sammlungen Peutingers, Willibald Pirckheimers und der Fugger bis zu den Medaillenaufträgen des Fugger-Mitarbeiters Georg Hörmann (gestorben 1552). - Hermann Maué (Antike und vermeintlich antike Quellen deutscher Renaissance-Medaillen, 344-365) behandelt das Interesse der Humanisten am Aussehen der Judas-Silberlinge und führt die durch den Nürnberger Humanisten Conrad Celtis in die antiquarische Forschung eingeführte und in Medaillen und Grafik übernommene Gestalt des Putto, der auf einem Totenschädel schläft, auf eine pseudo-antike Medaille des Giovanni Boldù zurück. - Den Band beschließt Margaret Daly Davis (Die antiken Münzen in der frühen antiquarischen Literatur, 367-398) mit einem Überblick über die mit den "Illustrium imagines" von Andrea Fulvio 1517 aufkommenden, numismatisch-antiquarischen Bildhandbüchern, deren Grundstruktur nach Plinius bis auf die Portraitsammlung des römischen Polyhistor Marcus Terentius Varro zurückgehe.
Anmerkungen:
[1] Zu dieser Medaille auf Papst Pius II. vgl. künftig Markus Wesche, im Pirckheimer-Jahrbuch 2005.
Markus Wesche