Markus Pilgram: Kritik und Wahrnehmung im Werk von Daniel Buren. Vom unmittelbaren Sehen des unauffällig Aufdringlichen, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2005, 207 S., 64 Farb-, 36 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01327-3, EUR 49,00
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Markus Pilgram betritt mit seinem Buch kein kunstwissenschaftliches Neuland, denn zahlreiche Kataloge, Artikel und Publikationen befassen sich mit dem Werk des 1938 geborenen Daniel Buren. Mit Catherine Francblin und Guy Lelong nennt Pilgram zwei Autoren, die zu Buren publizierten und bemerkt: "Lelong verdanken wir das Wort vom 'virtuellen Werk', welches eine Arbeit Burens seiner Ansicht nach darstellt, indem sie erst mit der Betrachtung zur Existenz kommt." (11) In seine Recherche bezog Pilgram auch Schriften mit ein, die von Buren selbst stammen; dass auch diese Primärquellen eine breite Basis bilden, zeigt Pilgrams Bibliografie. Darüber hinaus zieht der Autor explizit "die eigenen Erfahrungen mit den Werken Burens" heran, welche ihm "Einsichten in die Notwendigkeit des leibhaften Erlebens" der Arbeiten brachten und bezeichnet das 1988 veröffentlichte Album der Erinnerungsfotos als "unentbehrliche Quelle" (10). Bereits dort thematisierte Buren das Problem des "Photo-Souvenirs", welches er für das Gedächtnis als "Stütze und Irreführung zugleich" beschrieb. [1] Der Farbabbildungsteil in Pilgrams Buch macht deutlich, dass sich das Werk gegen die fotografische Repräsentation sperrt. Mit der Aneinanderreihung von 64 Farbfotos potenziert sich die Schwäche der Dokumente sogar. Dies ist jedoch ein Problem, das sich aus den ortsspezifischen und sich im Betrachterblick entwickelnden Kunstwerken ergibt und dass innerhalb einer wissenschaftlichen Beschäftigung nicht zu umgehen ist. Es verwundert aber, dass in keiner Fußnote die offizielle Homepage des Künstlers erwähnt wird, die dem Interessierten, zum Beispiel durch die neuesten "Photos-Souvenirs", einen stets aktualisierten Einblick in das künstlerische Schaffen liefern könnte. [2] Zu bedauern ist ebenfalls, dass stellenweise kein Lektorat des Buches erfolgte.
Markus Pilgram schlägt über einem noch nicht abgeschlossenen Werk, welches eine umfangreiche künstlerische Produktion umfasst, einen Bogen, der eine angemessene Spannung behält und die verschiedenen Werkphasen absolut nachvollziehbar macht. Bereits die Einleitung geht auf Burens "visuelles Werkzeug" ein, das aus vertikalen, 8,7 cm breiten Streifen besteht und später zur Signatur wird. Das zweite Kapitel zeigt anhand Burens Malerei der 1960er-Jahre den Weg vom Gemälde zum visuellen Werkzeug. Pilgram fasst am Ende des zweiten Kapitels zusammen: "Die Finalität eines Kunstwerkes mit einer bestimmten Aussage wurde vertauscht zu Gunsten der Gestaltung einer offenen Situation, in der die Streifen als 'visuelles Werkzeug' den Hebel ansetzten zu einer Reihe von Fragen." (66) Zuvor beschreibt ein Unterkapitel Burens künstlerische Anfänge als Mitglied der Gruppe "BMPT", deren Name sich aus den Anfangsbuchstaben der Nachnamen Burens und seiner Kollegen Olivier Mosset, Michel Parmentier und Niele Toroni zusammensetzte. In einem weiteren Unterkapitel geht Pilgram auf das "Nullniveau der Malerei" ein, das abgeleitet aus Roland Barthes' Theorien zur Literatur [3], die Aktionen von "BMPT" bezeichnet und auch "für Burens weiteres Vorgehen von Bedeutung" war (32). Spannend zu lesen sind die danach zusammen gefassten Einstellungen, die Buren Duchamp gegenüber kultivierte. Pilgram schreibt: "Von zum Teil ganz oberflächlicher Bosheit getragen, suchte er sich von Duchamp zu distanzieren." (47) Doch die "instrumentalisierte Interpretation des Ready-mades wurde in keiner Weise der wirklichen Komplexität des Duchampschen Œuvres gerecht" (49), außerdem war "die von Buren stets betonte Differenz zu Duchamp sehr viel schmaler", als Burens Texte suggerierten (52).
Das dritte, umfangreichste Kapitel ist mit "Kritik und Subversion im Museum" überschrieben und setzt sich mit dem komplexen Wirkungs- und Beziehungsgeflecht zwischen Künstler, Kunstwerk, Präsentationsort und Betrachter auseinander. Eine Institution wirkt auf ein ausgestelltes Werk, weil sie automatisch einen bestimmten Rahmen liefert. Buren untersucht in seinen Arbeiten, die fast immer "in situ" stattfinden, die Symbolkraft von Galerie und Museum, denn ihn beschäftigen "Wertesysteme, Interessenlagen und Entscheidungen" (114) und er zeigt, dass Ausstellungen nicht nur orts- sondern auch zeitspezifische Ereignisse sind. Was den Betrachter betrifft, so ist für Pilgram "eine der Grundbedingungen der Burenschen Arbeit augenfällig: Die Abhängigkeit ihrer Wahrnehmung von der nicht objektivierbaren Situation des einzelnen Betrachters." (82) Pilgram geht auf die 1971 für Buren gescheiterte Gruppenausstellung im New-Yorker Guggenheim-Museum ein, die "Guggenheim International Exhibition", aus der Burens Beitrag entfernt wurde. Mit dem Titel "The Eye of the Storm" fand am gleichen Ort im Jahr 2005 eine Ausstellung statt, mit der Buren sein Nachdenken über Frank Lloyd Wrights Architektur und deren Verhältnis zur darin ausgestellten Kunst weiter führte. Zwangsläufig stellt er, für seine Installation mit der Rotunde wiederholt den prominentesten Platz im Museum wählend, die Verbindung zur Gruppenausstellung her. Diese Ausstellung konnte Pilgram jedoch nicht berücksichtigen, da sie im Erscheinungsjahr seines Buches stattfand. Hingegen passt auch auf diese Ausstellung Pilgrams Ausführung, dass mit Beginn der Achtzigerjahre die kritische Dimension der Arbeiten "in den Hintergrund rückte und die reine Visualität der Werke [...] an Gewicht gewann." (133)
Im vierten Kapitel wird thematisiert, wie Burens Kunstwerke vom Betrachter wahrgenommen werden wollen: Die Werke entfalten sich erst mit der aktiven Seherfahrung (135). Was sich für den Konsument, der zum Mitarbeiter werden muss, ergibt, erfasst Pilgram sehr präzise: "Die Aufhebung des traditionellen Verhältnisses zwischen Betrachter und Kunstwerk führte in den besten Arbeiten Burens über eine vertiefte Erfahrung des Ortes durch das visuell-verstehende Erarbeiten der dem Werk zu Grunde liegenden, sich auf diesen Ort beziehenden Prinzipien hinaus zu einem exemplarischen Seherlebnis, zu einem Gewahrwerden der eigenen Wahrnehmung anhand des einzelnen Sehvorgangs." (139)
Im Schlusskapitel stellt der Autor eine formale Entwicklung fest, die sich aus dem um Farbflächen und Spiegel erweiterten "visuellen Werkzeug" begründet. Pilgram schließt mit der Einschätzung, dass sich in der aktuellen Werkphase "die Frage nach der Malerei nach dem 'Ende der Malerei', die kritische Befragung der Rahmenbedingungen von Kunst und die Erzeugung eines unvermittelbaren Kunsterlebens in der Wahrnehmung des Einzelnen" (172) vereinigen. Seiner Aussage, die mit der Kapiteleinteilung seines Buches übereinstimmt, folgt ein Buren-Zitat aus einem Interview. Dass zwei Drittel des kurzen Schluss-Kapitels aus einem Zitat bestehen, kann verschieden aufgefasst werden: Zum einen als würdigende Geste in Richtung des lebenden Künstlers, zum anderen könnte es auch als Verstecken hinter dem Meister, mit dem man sich beschäftigt, gedeutet werden. Das Verstecken verdoppelt sich, indem es sich um ein altes, nicht durch den Autor geführtes Interview handelt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Daniel Buren: Erinnerungsphotos 1965-1988, Basel: Wiese 1988, 3.
[2] http://www.danielburen.com/
[3] Roland Barthes: Am Nullpunkt der Literatur, Hamburg: Claassen, 1959.
Anne-Kathrin Auel