Andrew C. Isenberg (ed.): The Nature of Cities. Culture, Landscape, and Urban Space (= Studies in Comparative History; Vol. 8), Rochester, NY: University of Rochester Press 2006, xx + 200 S., ISBN 978-1-58046-220-4, GBP 45,00
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Die Anzahl der Publikationen zur urbanen Umweltgeschichte ist in den letzten Jahren erheblich angewachsen, was nicht zuletzt mit der Ausdifferenzierung der Umweltgeschichte zu tun hat. Dennoch sticht der hier zu besprechende Sammelband in vielerlei Hinsicht heraus. Er ist das Ergebnis der 2003 an der Princeton University abgehaltenen Tagung "Nature of Cities: New Perspectives in Urban Environmental History". Und obwohl die einzelnen Beiträge so unterschiedliche Städte wie etwa New York, New Orleans, Venedig oder Paris behandeln, und somit auf dem ersten Blick recht heterogen wirken, erweist sich der Band beim genaueren Hinsehen als erstaunlich kohärent. Die im Tagungstitel angekündigte Neuakzentuierung wird weitgehend umgesetzt. Die Beiträge fokussieren weder, wie lange Zeit in der Umweltgeschichte dominierend, die Rolle der Industrie oder des Staates, noch, wie gegenwärtig in der deutschen Forschung zu beobachten, den Umweltschutz. Aber allen Beiträgen ist die kulturwissenschaftliche Orientierung und die Konzentration auf urbane Machtverhältnisse, "race politics" und Fragen umweltbezogener sozialer Ungleichheit gemein.
Der Herausgeber gibt in der Einleitung einen knappen Literaturüberblick zur Historiografie der urbanen Umweltgeschichte und fasst die übergreifenden Thesen des Bandes zusammen. Die hier vorgetragenen, programmatischen Ziele stapeln nicht gerade tief: Es geht um nichts weniger als um die Markierung neuer Sichtweisen in der urbanen Umweltgeschichte. "No longer concerned with proving the relevance of urban places to environmental history, no longer beholden to the organism or central place models of urban studies, no longer afraid that environmental history will be subsumed by other fields through greater attention to social, labor, or cultural history, the essays in this collection mark a new direction in urban environmental history." (XIV) Angesichts der noch relativ jungen Umweltgeschichte können diese Worte ebenso beruhigend wie beunruhigend wirken oder aber als publikationswirksames Getöse abgetan werden. Dennoch bietet das Buch außerordentlich spannende und anregende Ansätze und führt eindrucksvoll das beträchtliche Forschungspotenzial einer kulturgeschichtlich orientierten urbanen Umweltgeschichte vor.
Die neun Beiträge sind in drei Blöcke gegliedert. Im ersten Block "Urban Spaces, Death, and the Body" werden am Beispiel von Städten wie New York, London, San Fransisco oder New Orleans Umweltverschmutzung, Epidemien, Krankheit und Tod behandelt, wobei von allen Autoren deren Wahrnehmung und Deutung vor dem Hintergrund rassischer oder sozialer Ungleichheit in den Vordergrund gerückt werden. So analysiert etwa Ari Kelman, dass in New Orleans Mitte des 19. Jahrhunderts die große Mehrheit der Opfer des Gelbfiebers Weiße waren, und die Angst davor auch immer die Furcht vor Sklavenaufständen beinhaltete. Ein gutes Beispiel ist auch der Artikel von Peter Thorsheim. Der Autor untersucht den Bau einer städtischen Parkanlage auf dem ehemaligen Gelände eines Gefängnisses in einem Arbeiterbezirk Londons. Er bleibt aber nicht bei der nahe liegenden Feststellung stehen, dass dies eine Art "Rückholaktion der Natur" in einem ihr entrückten Raum darstelle, sondern fokussiert die damit zusammenhängenden Motive im Kontext der damals populären "Degenerationsthesen" und interpretiert die Parkerrichtung als eine neue Form der sozialen Kontrolle im städtischen Raum.
Eher klassische Fragestellungen der urbanen Umweltgeschichte dominieren die Beiträge des Abschnitts "The Geography of Power and Consumption". Sie behandeln das Beziehungsgeflecht der Stadt zu der sie umgebenden Umwelt. Der Gegenstand der Aufsätze von Karl Appuhn und Andrew Isenberg ist der in dieser Hinsicht besonders lohnende Hochwasserschutz. Isenberg nimmt hierzu Sacramento in den Blick, während Aphun als Einziger am Fallbeispiel Venedig des 17. Jahrhunderts die "Vormoderne" berücksichtigt. Beide machen deutlich, dass die hierfür getroffenen technischen Maßnahmen nicht allein als eine Reaktion auf einen drängenden Problemdruck auf Grund naturräumlicher Gegebenheiten interpretiert werden können, sondern mindestens genauso von wirtschaftlichen Erwägungen, Fragen der politischen Legitimation und der der städtischen Repräsentation getragen waren. Matthew Klingle dagegen nimmt die in der Einleitung eingeforderte konsumhistorische Perspektive am deutlichsten auf. Vor dem Hintergrund der aufkommenden modernen Freizeitökonomie in den USA untersucht er urbane Rekreationsräume, bezieht sich allerdings nicht wie Thorsheim auf innerstädtische Parkanlagen, sondern auf die zunehmende Umgestaltung des Umlandes von Seattle in neue Räume städtischer Freizeitgestaltung. "The new geography of leisure was also a new geography of inequality" (124) lautet Kringels Hauptthese und dementsprechend bilden in diesem außerordentlich lehrreichen Aufsatz die Nutzungskonflikte zwischen kommerziellen Fischern und Sportfischern, sozialistischen "Campern" und dem neu entstehenden kommerziellen Bergsteigen, Picknicken und Wilderern den Kern seiner Überlegungen.
Das letzte Kapitel ist mit "Cities Deconstructed" betitelt. Dieser Abschnitt beinhaltet mit Emmanuel Kreikes "The Palenque Paradox" einen der interessantesten und zugleich fragmentarischsten Aufsätze. Keike untersucht die Auflösung von Siedlungen im Ovamboland im Südwesten Afrikas unter dem Druck der europäischen Kolonisation und die Umwandlung dieser Gebiete in Nationalparks. Dieser Artikel ist aus zwei Gründen aufschlussreich. Zum einen lenkt er den Blick auf Regionen, die in der Umweltgeschichte weitgehend unbeachtet bleiben. Zum anderen stellt er den Topos von der urbanen Umwelt als Gegenstück zur "jungfräulichen Natur" und den quasi natürlichen Entwicklungspfad von der Natur zur Stadt als Einbahnstraße eindrucksvoll in Frage.
Insgesamt wäre ein etwas ausführlicheres Einleitungskapitel, das die einzelnen Stränge der Beiträge detaillierter aufnimmt und sie mit Blick auf die Forschungsfragen stärker akzentuiert, wünschenswert gewesen. Doch dies ändert nichts daran, dass die hier behandelten Grundsatzfragen zum Verhältnis von kulturellen und sozialen Konflikten und deren Analyse weit über die Umweltgeschichte hinaus von außerordentlichem Interesse sind. So ist der Band "Nature of Cities" nicht nur ein deutliches Zeichen für die zunehmend kulturgeschichtliche Orientierung der Umweltgeschichte, er bietet darüber hinaus für alle eine fruchtbare Lektüre, die sich mit Fragen der sozialen Ungleichheit und Machtverhältnisse im urbanen Raum beschäftigen.
Noyan Dinçkal