Rezension über:

Diethard Aschoff (Hg.): Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Hamm. Von den Anfängen bis zur Zeit des Großen Kurfürsten 1287-1664 (= Westfalia Judaica; 3.2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 448 S., ISBN 978-3-8258-8333-1, EUR 49,90
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Rezension von:
Bernd-Wilhelm Linnemeier
Münster
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Bernd-Wilhelm Linnemeier: Rezension von: Diethard Aschoff (Hg.): Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Hamm. Von den Anfängen bis zur Zeit des Großen Kurfürsten 1287-1664, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/02/10291.html


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Diethard Aschoff (Hg.): Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Hamm

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Zum zweiten Mal legt Diethard Aschoff hiermit eine lokale Quellensammlung zur Geschichte der Juden im frühneuzeitlichen Westfalen vor. Der Band übertrifft in seinem Umfang noch den zur Stadt Münster [1], der bereits als wissenschaftliches Wagnis gelten kann. Denn er stellt Quellen zur jüdischen Geschichte einer Stadt vor, in deren Mauern seit 1554 bis zum Ende des Alten Reiches für Juden ein striktes Niederlassungsverbot bestand. Mit dem jüngsten Band 3.2 der "Westfalia Judaica" und seinem Zeitrahmen 1287-1664 durchbricht Aschoff das Periodisierungsschema der Reihe, deren dritte Abteilung eigentlich der Periode von 1500 bis 1650 vorbehalten war. Diese Vorgehensweise hat allerdings ihren Grund, sieht sich der Autor doch vor dem Problem, eine lokale Quellen- und Regestensammlung zur jüdischen Geschichte vorzulegen, ohne auf eine lokale Überlieferung zurückgreifen zu können, da die Bestände des Hammer Stadtarchivs infolge eines Bombenangriffs 1944 restlos untergegangen sind.

An eine kurze Einleitung nebst Literaturverzeichnis (I) schließt sich als Hauptteil II die aus 527 Nummern bestehende Quellen- und Regestensammlung an. Nach Datum und zumeist ausführlichem Regest werden die Quellen als Volltexte bzw. umfangreiche Zusammenfassungen inklusive Überlieferungs-, Druck- und Literaturnachweisen sowie Anmerkungen präsentiert. Bei lateinischen Vorlagen wird eine Übersetzung angefügt. Unter den in streng chronologischer Folge dargebotenen Texten entfallen sieben auf die Zeit bis 1350; der für andere westfälisch-niedersächsische Regionen ansonsten eher überlieferungsschwache Zeitabschnitt bis zum Jahre 1500 ist mit insgesamt 27 Nummern vergleichsweise gut bestückt. Dies hat seinen Grund u.a. darin, dass Aschoff auch solche Texte aufnimmt, die keinen direkt erkennbaren Bezug zu Hamm aufweisen (so etwa die eindeutig auf Dortmund bezogenen Quellen Nr. 9,15 und 17). Auch der Umstand, dass eine spätmittelalterliche Serienquelle wie das Volmarsteinsche Einnahme- und Ausgabenregister von 1380-1389 (Nrn. 11-16) in einzelne Auszüge zerlegt wird, die keineswegs alle einen Hammer Bezug aufweisen, führt zu einem numerischen Textzuwachs und suggeriert eine Überlieferungsdichte, die bei genauerem Hinsehen nicht gegeben ist.

Nach der schwach belegten ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzt der quantitative Schwerpunkt der Quellensammlung ein. Hier stehen insgesamt sechs Prozesse im Mittelpunkt, die letztinstanzlich vor dem Reichskammergericht zu Speyer ausgetragen wurden. Ergänzt wird die Sammlung durch Materialien zur Frankfurter Versammlung von 1603, zum Mendener Hochverratsprozess von 1604 und durch Auszüge aus den Bonner Verhören von 1607, die in den Zusammenhang des Hochverratsprozesses gegen die Juden im Reich gehören. Hierzu hat bereits Birgit E. Klein eine umfangreiche Analyse vorgelegt. [2] Der von Aschoff im Zusammenhang mit der Versammlung von 1603 häufig verwandte Begriff "Rabbinerverschwörung" sollte, da in der Sache unzutreffend, auch in relativierter Form nicht mehr zur Anwendung kommen. Auch Angehörige der westfälisch-jüdischen Führungselite wie Moses ben Josef von Hamm waren von diesen Vorgängen betroffen.

Nach einer ex silentio angenommenen und daher nicht unproblematischen Beleglücke zwischen 1623 und 1643 (Nr. 470/472 sowie Anm. 2 zu Nr. 443), schließt sich als wesentlicher Überlieferungsblock bis zum Jahre 1671 (und nicht, wie im Titel der Arbeit vermerkt, 1664!) orts- und territorialbezogenes Schriftgut aus der zentralbehördlichen Überlieferung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz zu Berlin) an. Die bei Aschoff präsentierten rund 50 Berliner Texte belegen einmal mehr die Unvollständigkeit und mangelnde Zuverlässigkeit älterer, gleichwohl nicht nur auf lokaler Ebene noch stets eifrig genutzter Quellensammlungen (etwa die von Selma Stern); sie zeigen aber auch, dass die territorialen Neuerwerbungen Brandenburgs innerhalb der älteren Forschung zur jüdischen Geschichte des Kurstaates respektive des späteren Königreichs Preußen stets einer übersteigerten Fokussierung auf die Zentralprovinzen und die Haupt- und Residenzstadt geopfert worden sind.

Dem Hauptteil ist unter III ein knapp 80-seitiger Anhang angefügt. Neben einer Regentenliste (1) für die Zeit von 1140-1688 enthält dieser Anhang eine Datensammlung zur Hammer Stadtgeschichte (2), eine Übersicht über die Geschichte der Juden in Hamm von 1288-1650 (3) sowie eine leider etwas knapp geratene Aufstellung zum familiären Umfeld des zeitweilig in Hamm ansässigen R' Jacob ha-Kohen (4). Es folgen Erläuterungen zu den "Rechtsgrundlagen für Juden in der früheren Neuzeit" (5) sowie zum "Gerichts- und Appellationswesen mit besonderer Berücksichtigung des Stifts Münster" (6), eine Zusammenstellung "reichs- und territorialrechtliche(r) Quellen zur Geschichte der Hammer Juden in der früheren Neuzeit" (7), hauptsächlich in Gestalt von Auszügen aus Reichspolizeiordnungen und Münsterschen Landesverordnungen, eine Übersicht über "die Prozesse der Hammer Juden" (8) sowie schließlich ein Orts- und Personenregister.

Ein ebenso ins Auge fallender wie vermeidbarer Schwachpunkt der vorliegenden Arbeit ist die konsequent chronologische Anordnung der Quellen. Ist dies für die Zeit des Spätmittelalters im Stile traditioneller Urkundensammlungen völlig legitim, so stellt sich angesichts der Darbietung des Schriftgutes in dieser Form nach 1500 die Frage, ob eine ebenso konsequente Auflösung gleich mehrerer geschlossener Aktenstücke in Einzeltexte und ihre anschließende Vermischung sowie Neuordnung nach streng chronologischen Gesichtspunkten unter Einstreuung weiterer Einzelbelege sinnvoll sein kann. Ist es methodisch vertretbar, das Werkzeug des Mediävisten auch im Umgang mit frühneuzeitlichen Aktenstücken zum Einsatz zu bringen - und dies unter gründlicher Missachtung der ebenso bekannten wie bewährten archivischen Ordnungsprinzipien nach Provenienz bzw. Pertinenz? Vor allem bei zeitlichen Überschneidungen stellen sich die solchermaßen aufbereiteten Quellen nämlich als ein kaum zu durchdringendes Dickicht dar, innerhalb dessen sich der Leser nur mühsam zurechtfindet. Dass sich auch geschlossene Aktenstücke in sinnvoll-chronologischer Ordnung präsentieren lassen, hat Uta Löwensteins Marburger Quellensammlung glänzend bewiesen [3].

Auch inhaltliche Aspekte bedürfen der kritischen Erwähnung: So sind etwa die Angaben zum Höchstsatz des Jahreszinses 1604 und 1643 (Nrn. 230 und 472) schlichtweg unzutreffend, denn der Autor bestimmt die entsprechenden Werte aufgrund des münsterschen statt des hier anzuwendenden märkischen Talerfußes (Nrn. 230, Anm. 7 sowie 472, Anm. 1). So kommt er u.a. für 1643 zu Richtwerten von 46,42 bzw. 61,9 Prozent p.a.. Hätte er den damals in der Grafschaft Mark maßgeblichen Talerfuß von 52 Schillingen à 12 Pfennig zugrunde gelegt, wäre er zu genau 25 bzw. 33,3 Jahresprozent gelangt, welche den zeitgenössischen Gepflogenheiten in anderen Teilregionen Westfalens schon eher vergleichbar sind. Auch eine, zumal durch die Formulierung besonders betonte Feststellung, dass "zeitlich [...] mit dem Großen Kurfürsten für die Juden seiner Länder eine neue Zeit" angehoben habe (6), ist zu hinterfragen. Hierbei sollte man sich von generalisierenden, lange als überholt geltenden Einlassungen eines Fritz Baer und Ismar Freund lösen.

Die stark gestreuten Quellen zur Geschichte der Juden in Hamm von über einem Dutzend Archivstandorten in dem vorliegenden Band in mühevoller Arbeit zusammengeführt zu haben, ist und bleibt Aschoffs Verdienst. Dass die Sammlung seinem einleitend formulierten Anliegen gerecht werden möge, einer - bis dato freilich kaum wahrnehmbaren - Lokal- und Regionalforschung auf diese Weise den Zugang zu den Primärmaterialien zu erleichtern, sei der Arbeit mit auf den Weg gegeben. Den "kompletten Judaisten und Spezialisten" (so die merkwürdige Formulierung auf Seite 8 seiner Einleitung) werden wenigstens die frühneuzeitlichen Texte als gern genutzter Informationspool dienen. Gleichwohl sei in diesem Zusammenhang die abschließende Frage erlaubt, ob lokale Quellensammlungen wie die vorliegende noch die Mühen ihrer Schaffung rechtfertigen und ob es - um eine schon 1991 formulierte Anregung Stefi Jersch-Wenzels aufzugreifen [4] - nicht sinnvoller wäre, den Blick u.a. hinsichtlich der brandenburg-preußischen Westprovinzen Kleve, Mark und Ravensberg auf territoriale Entwicklungen und Zusammenhänge zu richten und damit dem Selbstverständnis der frühneuzeitlichen "Judenheiten" in diesen Teilregionen Nordrhein-Westfalens möglicherweise eher gerecht zu werden.

Zum Schluss muss die zweifelsohne dem Verlag zuzuschreibende Aufmachung des Bandes als eine Zumutung bezeichnet werden: Die Folge des vom Autor in der Einleitung (7) selbst eingeräumten "kleineren Druckes" der Quellentexte ist nämlich, dass die Lektüre vor allem längerer Textpassagen in diesem bis auf die allerletzte Seite drangvoll angefüllten Band nur unter größter Anstrengung zu bewältigen ist. Die äußere Gestalt der an sich verdienstvollen Veröffentlichung vermittelt somit den Eindruck liebloser Sparwütigkeit.


Anmerkungen:

[1] Diethard Aschoff (Hg.): Quellen und Regesten zur Geschichte der Juden in der Stadt Münster 1530-1650/1662 (= Westfalia Judaica, Bd. 3.1), Münster 2000.

[2] Birgit E. Klein: Wohltat und Hochverrat. Kurfürst Ernst von Köln, Juda bar Chajjim und die Juden im Alten Reich (= Netiva, Bd. 5), Hildesheim 2003.

[3] Uta Löwenstein (Hg.): Quellen zur Geschichte der Juden im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Bd. 1-3, Marburg 1989.

[4] Stefi Jersch-Wenzel, Juden in Preußen - Preußische Juden?, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 20 (1991), 437-448, hier 438.

Bernd-Wilhelm Linnemeier