Ulrike Riemer: Die römische Germanienpolitik. Von Caesar bis Commodus, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, 166 S., 17 Abb., ISBN 978-3-534-17438-6, EUR 34,90
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Das vorliegende Buch versteht sich als der Versuch, eine seit langem bestehende Forschungslücke zu schließen. Ulrike Riemer strebt, wie sie in ihrem Vorwort hervorhebt, eine Synthese der römischen Germanienpolitik an. Dass sie sich dabei im Wesentlichen auf die schriftlichen Zeugnisse beschränkt, wohingegen archäologische Quellen, abgesehen von den Reliefs der Trajan- und Marcus Aurelius-Säulen in Rom, weitgehend ausgeblendet werden, erweist sich dabei als ein Manko des Bandes, da die Überlieferung der römischen Historiographie naturgemäß einseitig bleibt. Umso wichtiger wäre gewesen, die verwendeten Quellen in ihren jeweiligen Kontext zu stellen, um so die causae scribendi der Autoren zu beleuchten. [1] Dies wäre vor allem im Hinblick auf Riemers Analysen der Taciteischen Werke, der Historia Augusta und auch bei Cassius Dio von einigem Nutzen gewesen.
Im einleitenden Kapitel wird zunächst die Herkunft des römischen Germani-Begriffes erläutert, bevor eine generelle Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Römern und Germanen erfolgt. Diese territorial bedingte Koexistenz sei über "weite Zeiträume hinweg friedlich" (13) verlaufen. Der Konflikt zwischen Caesar und Ariovist wird im zweiten Abschnitt untersucht. Letzterer wird in der Darstellung der literarischen Quellen zu einem Gegenspieler Caesars stilisiert, der diesem auf Augenhöhe begegnen konnte, letztlich aber wegen seines Barbarentums doch scheitern musste. Caesars Kampf gegen die Belger, Usipiter und Tenkterer sowie die Rheinübergänge des Feldherrn beschließen diesen Teil. Unklar bleibt allerdings, wieso die Germanienpolitik Caesars mit einer Karte des Römischen Reiches unter Kaiser Trajan illustriert wird (16).
Der folgende Abschnitt ist der Germanienpolitik unter Augustus und Tiberius gewidmet, in dem freilich der Niederlage des Varus breiter Raum zugestanden wird und eine kritische, wohltuend sachliche Begutachtung des (wenigen) zur Verfügung stehenden Quellenmaterials erfolgt. Eine Einbeziehung der Debatten um die Lokalisierung des Schlachtfeldes, oder besser der Schlachtfelder bei Kalkriese, wäre sicher im Hinblick auf das bevorstehende Jubiläumsjahr 2009 spannend gewesen. Das dritte Kapitel ist mit dem Titel "Widerstand gegen Rom" überschrieben. Zwar suggeriert diese Überschrift eine Behandlung der militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien, doch wird der Leser hier auch ausführlich über Kulturkontakt in den rheinischen Grenzgebieten informiert. Gerade an dieser Stelle hätten Ergebnisse der archäologischen Forschung eine Schärfung dieses Aspektes erbringen können. Im vierten Teil untersucht Riemer die Zeit von den flavischen Kaisern bis zu Antoninus Pius, wo etwa das propagandistische Konzept der Germania Capta-Münzen vorgestellt wird und eine Beschreibung der Dakerfeldzüge erfolgt. Das abschließende fünfte Kapitel beschäftigt sich vornehmlich mit den Markomannenkriegen des Marc Aurel und der Wertung Marc Aurels in der römischen Historiographie. Riemer kommt hinsichtlich der Germanienpolitik des Commodus zu der Überzeugung, dass dessen Friedensschluss im Jahre 180 nicht etwa ein Bruch mit der Politik seines Vaters gewesen sei, sondern vielmehr die von Marc Aurel erdachten Pläne zum Abschluss gebracht habe. Zur Sicherung der römischen Grenzen hatte dieser zwei neue Provinzen errichten wollen (eine dakische und eine sarmatische). Diese Interpretation passt gut zur Hauptthese des Buches: Nach dem gängigen althistorischen Forschungsbild der römischen Germanienpolitik habe es in der Zeit zwischen der ersten Rheinüberquerung Caesars (55 v.Chr.) und dem Ende des Markomannenkrieges 180 n.Chr. ein ständiges Schwanken zwischen verschiedenen Expansionsversuchen und einem eher defensiven Verhalten gegeben. Diese Ansicht wird von Riemer zurückgewiesen und durch eine neue - durchaus bedenkenswerte - These ersetzt. Das maßgebliche und somit kontinuierlich verfolgte außenpolitische Ziel der Römer sei gewesen, die Grenzen an Rhein und Donau zu schützen. Die Gebiete jenseits dieser Flüsse hätten gar keinen Anreiz zu einer Eroberungspolitik gegeben. Man darf gespannt sein, welchen Anklang Riemers Interpretation in der Forschung finden wird.
Nach einem Exkurs über die "Wunder für den Kaiser" und einem Ausblick - der hier verwendete Germanenbegriff, der ja gerade in der deutschsprachigen Forschung der vergangenen Jahre intensiv hinterfragt worden ist [2], hätte im Übrigen einer stärkeren Differenzierung bedurft - folgen eine Zeittafel, der Anmerkungsapparat, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Register, das der leichten Erschließung des Buches förderlich ist.
Flüssig und verständlich geschrieben, erfüllt Riemers Buch weitestgehend die Erwartungen des Lesers an eine Überblicksdarstellung der römischen Germanienpolitik und dürfte sich, besonders angesichts der Publikation in der WBG, eines breiten Leserkreises erfreuen.
Anmerkungen:
[1] Walter Pohl, Die Germanen (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 57), München 2000.
[2] Jörg Jarnut: Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittelalterforschung, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters ( = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse, Denkschriften 322), hg. von Walter Pohl, Wien 2004, 107-113.
Guido M. Berndt