Wim Janse / Barbara Pitkin (eds.): The Formation of Clerical and Confessional Identities in Early Modern Europe (= Dutch Review of Church History. Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis; Vol. 85), Leiden / Boston: Brill 2006, vii + 569 S., ISBN 978-90-04-14909-0, EUR 169,00
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Auch der neueste Band des Dutch Review of Church History leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Kirchengeschichte mit einer Untersuchung der klerikalen und konfessionellen Identitätsbildung im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Dabei ist positiv hervorzuheben, dass sich die 24 Artikel in diesem Band nicht nur auf den Protestantismus konzentrieren, sondern auch Aspekte der Identitätsbildung der katholischen Reformation untersuchen. Auch geographisch gesehen spannt sich der Bogen der Untersuchungen über die zu erwartenden calvinistisch und lutheranisch geprägten Länder hinaus bis zu Spanien, Italien und Frankreich.
Zu Beginn der Einleitung heben die Herausgeber hervor, dass das Ziel des vorliegenden Bandes nicht etwa sei, eine "clear and simple thesis" (1) zu präsentieren, was auch angesichts der Spannbreite des Themas nicht überrascht. Stattdessen sollen die verschiedenen Nuancen der frühneuzeitlichen Identitätsbildung aus verschiedenen Blickwinkeln rekonstruiert und damit die Eigenheiten dieser für die Geschichte so einflussreichen Epoche illustriert werden. Dies legt auch die Tatsache nahe, dass die Aufsätze dieses Bandes nicht einer Konferenz oder einem call for papers zu diesem Thema entstammen, sondern bei zwei Ereignissen aus dem Jahr 2004, dem Symposium on Reformed (Theological) Education in the Early Modern Period an der Vrije Universiteit Amsterdam und der Sixteenth Century Studies Conference der Sixteenth Century Society in Toronto, zusammengetragen wurden.
Der vorliegende Band gliedert sich in ein gerade in letzter Zeit in der Geschichtsforschung (außerhalb der Erziehungswissenschaften) immer mehr beachtetes Thema ein, die Geschichte der Bildung und Erziehung im Zusammenhang der Konfessionalisierung im Europa der Frühen Neuzeit. Damit ergänzt dieser Band die anderen beiden bedeutenden Beiträge der letzten Jahre zu diesem Thema. [1]
In drei Teile gegliedert, bemüht sich der Sammelband von Janse und Pitkin, aufgrund der Rolle der Bildung und Erziehung als "one of the most fundamental cultural transformation processes of early modern times" (3) weitere Aufklärung zu einem noch untererforschten Thema anzubieten. Teil I, Education and theological training, bietet mit dem Beitrag von Stefan Ehrenpreis eine Zusammenfassung der Erkenntnislage über die reformierte Bildung und Erziehung im frühneuzeitlichen Europa, basierend auf dem mit Heinz Schilling herausgegebenen oben erwähnten Werk. Bietet dieser Aufsatz damit wissenschaftlich nichts Neues, so gibt er doch dem weniger vertieften Leser einen Überblick über das Thema, das den anderen Beiträgen als Hintergrund dienen kann.
In einem Buch zu diesem Thema darf natürlich der Name Erasmus nicht fehlen, und so widmet sich auch gleich der erste Beitrag von Riemer A. Faber der unterschiedlichen Interpretation der humanitas bei Erasmus und Luther. Die übrigen Beiträge in diesem Teil befassen sich mit Fallstudien der Theologenausbildung im heutigen Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz. Leendert F. Groenendijk und F. G. M. Broeyer untersuchen die theologische Ausbildung an den Schulen und Universitäten der Niederlande des 17. Jahrhunderts. Während Broeyer den Universitätsprofessoren ein goldenes Zeitalter attestiert, bewertet Groenendijk den Beitrag der Katechisierung an Schulen zur Ausbreitung der Holländischen Reformierten Kirche als ungenügend. Im Zentrum des Beitrages von Andreas Mühling steht die Theologenausbildung an der Akademie in Herborn, die genauso wie das von Wim Janse dargestellte Gymnasium Illustre in Bremen auf die Herausbildung einer europäischen Elite abzielte, die in verschiedenen Sphären der Gesellschaft ihrer Heimatländer reformiertes Gedankengut umsetzen sollte, was im Falle des Bremer Gymnasiums spezifisch irenische Züge zeigte. Karin Maag schließlich untersucht die Diskrepanz zwischen der reformierten Betonung der Predigt und der oft mangelhaften Ausbildung der Theologen an reformierten Hochschulen, etwa in Genf und Zürich, aber auch in den französischen reformierten Gemeinden. Maag zeigt dabei die prominente Funktion von Andreas Hyperius' De formandis concionibus sacris, das den angehenden Pastoren die Aneignung ihrer homiletischen Fähigkeiten im Eigenstudium ermöglichte.
Teil II, Interpretation of Scripture and Confessional Preaching, befasst sich mit der Anwendung der theologischen Bildung, insbesondere der konkreten Auslegung von biblischen Texten und reformierten Dogmen, so etwa Calvins Kommentaren zu Josua (Raymond A. Blacketer) und Johannes (Barbara Pitkin). Besonders interessant sind hier auch die Beiträge zu weniger bekannten Theologen, wie dem spanischen Bibelübersetzer Casiodoro de Reina (Rady Roldán-Figueroa) und dem Augustiner Gabriele Fiamma (Emily Michelson). Die Untersuchung von Jason Sager zur Rolle François de Sales' in der katholischen Reform im Frankreich des 17. Jahrhunderts zeigt die Verbindung von Hof und Predigern im Prozess der Pazifizierung und zunehmenden Toleranz gegenüber den Hugenotten. Dies ist eine bewusste Kehrtwendung zu den leidenschaftlichen antiprotestantischen Predigten der Zeit der Religionskriege.
Der dritte Teil schließlich befasst sich mit der Construction of clerical and communal identities. Die Beiträge von Robert E. Scully, SJ, Gary W. Jenkins und Ellen A. Macek untersuchen die schwierige Situation der katholischen Missionare, Priester und Gläubigen im elisabethanischen England. Die komplexe Situation der Identitätsbildung im schottischen Perth (das ehemalige Sanctjhonstoun) wird von Margo Todd untersucht, die anhand von interessanten Beispielen aus (Kunst-) Geschichte und Archäologie zeigt, wie die schottische Stadt neben dem von John Knox geprägten strengen Puritanismus auf allen Ebenen des weltlichen und geistlichen Lebens doch nie das traditionelle katholische Erbe des mittelalterlichen Sanctjhonstoun vollständig aufgab - und dabei durchaus nicht unter einer gespaltenen Identität oder unter Rechtfertigungszwang litt. Patrick J. O'Banion und Kathleen M. Comerford zeigen die spezifischen Charakteristika und Herausforderungen der Kleriker im nachtridentinischen Katholizismus in Spanien bzw. Italien auf.
Es fällt schwer, die vielen Beiträge eines so interessanten und vielfältigen Bandes zusammenzufassen bzw. zu würdigen, gerade da das chronologische, geographische und auch konfessionelle Spektrum so weit definiert ist. Gerade dies jedoch ermöglicht einen differenzierten Einblick in einen zunehmend populären Aspekt der Geschichte des frühneuzeitlichen Europa, in dem Angehörige aller Konfessionen auch über die Grenzen hinweg darum bemüht waren, ihren Glauben zu definieren, zu verbreiten und zu konsolidieren. Mit diesem Band wird erneut aufgezeigt, wie zentral die Rolle der klerikalen Bildung und Erziehung für die Identitätsbildung im Europa der Frühen Neuzeit war.
Anmerkung:
[1] Heinz Schilling / Stefan Ehrenpreis (Hg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel, Münster 2003 und das eben erschienene Werk: Herman J. Selderhuis / Markus Wriedt (Hg.): Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung, Tübingen 2006.
Alexandra Kess-Hall