Orietta Filippini: La coscienza del re. Juan di Santo Tomás, confessore di Filippo IV di Spagna (1643-1644) (= Testi e documenti; XX), Florenz: Leo S. Olschki 2006, 201 S., ISBN 978-88-222-5560-0, EUR 19,00
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Die Frage, welche Bedeutung der Moraltheologie für die Gestaltung und Konzeptualisierung frühneuzeitlicher Politik zukommt, wird in den letzten Jahren immer stärker diskutiert und auf verschiedenen Ebenen analysiert. Dabei treten auch die Personen, die diese Ideen umsetzen und verkörpern in den Vordergrund, d.h. in erster Linie die verschiedenen geistlichen Berater, Prediger oder eben für die katholischen Höfe die Beichtväter. Orietta Filippini untersucht in ihrer Studie die Bedeutung des Dominikaners Juan de santo Tomás (bürgerlich João Poinsot, 1589-1644), der für weniger als zwei Jahre (Februar 1643-Juli 1644) die Position des Beichtvaters Philipps IV. von Spanien innehatte.
Angesichts seiner kurzen Amtszeit könnte man leicht verleitet sein, ihn für eine Randfigur zu halten. Doch weit gefehlt, denn Poinsots Amtszeit fällt genau mit dem Sturz des Günstlingsministers Olivares zusammen und stellt, wie Filippini beweist, das Scharnier zum Übergang in eine Phase spanischer Politik dar, wie sie schließlich unter Olivares' Neffen Don Luis de Haro Gestalt annahm. Es handelt sich also um den Moment des Sturzes des klassischen großen Günstlingsministers und des Übergangs zu einem Günstling neuer, wenn man will "gemäßigterer" Natur. Obgleich der Sturz Olivares' in den Studien von Elliott, Stradling und Marañon bereits unter verschiedenen Aspekten untersucht wurde, blieb die Rolle Juan de santo Tomás' weitgehend im Schatten. Sein Auftritt galt zumeist als Ausdruck und Phänomen der veränderten Konstellation der Hofkabalen und politischen Orientierungen, während die Autorin ihn hier als Protagonisten und Gestalter eben dieser Übergangssituation "rehabilitiert". Sie zeigt die weitreichenden Ambitionen politischer Umgestaltung, die der Beichtvater artikulierte und vertrat, sowie die Grenzen der Umsetzung derselben, wobei der Tod des Beichtvaters wahrscheinlich seinem Scheitern und seinem Rückzug vom Hof zuvorkam.
Die Autorin untersucht die Monate der Amtszeit in ihrer genauen Abfolge und berücksichtigt neben den bereits ausgewerteten Dokumenten vor allem die verschiedenen Gesandtenberichte aus Madrid, die vergleichend herangezogen werden. Hierbei werden einige Fehler der bisher etablierten Ereignisabfolge und Chronologie deutlich, was auch die daraus abgeleiteten Erklärungsmuster in Frage stellt. Grundsätzlich wird der Beichtvater wieder in den Hof als Ganzes und sein Handeln in seinen sozialen und "ideologischen" Kontext eingebunden. Dies ist überzeugend und trägt der Tatsache Rechnung, dass Kleriker nicht Beiwerk, sondern integraler Bestandteil des frühneuzeitlichen Hofes waren.
Filippini geht zunächst davon aus, dass der Sturz Olivares' im Januar kein punktuelles, unumstößliches Ereignis war, sondern sich vielmehr über mehrere Monate hinzog: Er war erst dann vollendet und abgeschlossen, als auch seine Frau im Oktober 1643 den Hof verlassen musste und ihre Hofämter verlor. In dieser Zwischenzeit waren die Würfel keineswegs gefallen, vielmehr rangen verschiedene Gruppen um die königliche Gunst und um die Orientierung der spanischen Politik. Die Karten wurden also neu gemischt, und an diesem "reshuffle" war der Beichtvater in vorderster Linie beteiligt. Juan de santo Tomás suchte Philipp IV. dazu zu bewegen, ganz auf einen Günstlingsminister zu verzichten, und in dieser Kampagne fand er die Unterstützung verschiedener Hofparteien. Teilweise trat er dabei in das von Olivares hinterlassene Machtvakuum ein. Der Beichtvater gestaltete seine Politik auch dadurch, dass er den König zum Beispiel mit Maria de Agreda bekannt machte, mit der er selbst schon lange in Verbindung stand. Sor Maria de Agreda gehörte zu den zahlreichen Stimmen, die Philipp IV. aufriefen, persönlich zu regieren und auf einen Günstlingsminister zu verzichten. In der von Juan de santo Tomás gestifteten Freundschaft zwischen der Nonne und dem spanischen Herrscher liegt vielleicht das bedeutendste Vermächtnis des Beichtvaters, das angesichts des Einflusses von Sor Maria de Agreda auch weit über den Tod des Beichtvaters wirksam blieb. Neben Sor Maria de Agreda meldeten sich auch einige "Propheten" und politische Seher zu politischen Fragen und vor allem zur Frage des Günstlingsministers zu Wort. Sie wurden, wie hier deutlich wird, von Juan de santo Tomás bewusst befördert. Olivares' Sturz wurde erst durch die vom Beichtvater veranlassten Neuorientierungen zu jenem unumstößlichen Ereignis, als das es heute erscheint. Juan de santo Tomás ließ die Gegner des Günstlings zu Wort kommen und stattete die selbst ernannten Propheten mit der moralischen Autorität seines Segens aus. Doch es blieb nicht nur bei "ideologischen" Akzentverschiebungen, der Beichtvater griff auch in das sensible Getriebe der Hoffaktionen ein und bemühte sich, die Anhänger Olivares vom Hof zu entfernen. Hierzu gehörte auch das Wiederaufrollen des Inquisitionsprozesses gegen den Protonotar von Aragón Jerónimo de Villanueva, der zugleich eine ganze Gruppe von "Olivaristen" diskreditierte.
Das Wirken des Beichtvaters blieb allerdings weder in theologischer noch personeller Hinsicht unangefochten. Die von Juan de santo Tomás beförderte "junta de profetas" wurde vom Jesuitenorden als Ganzes theologisch bekämpft. Auf der Ebene der Hofkabalen fand die jesuitische Opposition gegen die Propheten in der Unterstützung der Faktion des Don Luis de Haro ihren Ausdruck. Haro und seine Anhänger drängten daher vermehrt auf die Entlassung des Beichtvaters, indem sie einerseits seine theologische Kompetenz in Frage stellten (in der Prophetenfrage) und andererseits die Überschreitung seiner Kompetenzen anprangerten. Dass Haro sich letztendlich mit seiner neuen Variante des Günstlings durchsetzte, zeigt die Grenzen des Einflusses des Beichtvaters. Sein Tod fällt so mit dem teilweisen Scheitern seiner Strategie zusammen. Dennoch hatten Juan de santo Tomás und seine Mitstreiter in wenigen Monaten das ideologische und personelle Koordinatensystem des Hofes so verändert, dass eine Rückkehr zu dem von Olivares geprägten System nicht mehr möglich war.
Die detailreiche Studie beleuchtet nicht nur die komplexe Struktur eines zentralen Ereignisses der frühneuzeitlichen Geschichte neu, sie erlaubt auch theologische Positionsbestimmungen im Zusammenhang mit mikropolitischen Entwicklungen am Hof zu lesen. Leider führt die Autorin ihre Gedanken nicht vergleichend weiter, so dass nicht ganz deutlich wird, ob es sich hier um einen interessanten Einzelfall handelt oder ob hier ein Strukturelement der Geschichte des (spanischen) Hofes aufgezeigt wird.
Nicole Reinhardt