Rezension über:

Norma Broude / Mary D. Garrard (eds.): Reclaiming Female Agency. Feminist Art History after Postmodernism, Oakland: University of California Press 2005, viii + 478 S., ISBN 978-0-520-24251-7, GBP 45,00
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Rezension von:
Anja Zimmermann
Institut für Kunstgeschichte, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sigrid Ruby
Empfohlene Zitierweise:
Anja Zimmermann: Rezension von: Norma Broude / Mary D. Garrard (eds.): Reclaiming Female Agency. Feminist Art History after Postmodernism, Oakland: University of California Press 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/12850.html


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Norma Broude / Mary D. Garrard (eds.): Reclaiming Female Agency

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Die beiden amerikanischen Kunsthistorikerinnen Norma Broude und Mary D. Garrard haben nach 'Feminism and Art History: Questioning the Litany' (1982) und 'The Expanding Discourse: Feminism and Art History' (1992) nun einen dritten Band zur Genderforschung in der Kunstgeschichte vorgelegt. Alle drei Titel versprechen zugleich Einführung und Bestandsaufnahme eines wissenschaftlichen Feldes, das sich seit den 1970er-Jahren kontinuierlich weiterentwickelt.

Wie jede Einführung in die feministische Kunstgeschichte, muss auch diese ein leider immer noch prekäres Verhältnis zur mainstream-Kunstgeschichte klären: Positioniert sie sich als 'Ergänzung' einer ikonographischen, soziologischen, stilgeschichtlichen oder noch welcher Kunstgeschichte auch immer? Oder erhebt sie Anspruch auf eine grundlegende Revision des Faches? Letzteres bedeutet, geschlechtertheoretische Fragestellungen nicht als einen möglichen 'Ansatz' unter vielen zu begreifen, sondern als Auseinandersetzung mit einer Kategorie, deren Vernachlässigung grundsätzlich ein schiefes Bild vom behandelten Gegenstand zurücklässt.

Broude und Garrard erheben selbstverständlichen Anspruch auf dieses Revisionspotenzial feministischer Kunstgeschichte, womit man sich - auch angesichts wissenschaftspolitischer Realität in Deutschland - nur ganz und gar einverstanden erklären kann. Sie markieren mit ihrem Buch aber auch eine distinkte Position innerhalb kunstgeschichtlicher Geschlechterforschung, die sich in den Jahrzehnten ihres Bestehens methodisch stark ausdifferenziert hat. Der Untertitel des Buches, "Feminist Art History After Postmodernism" zeigt dabei die Richtung an; das "after" ist nicht nur historisch, sondern auch programmatisch gemeint, betonen die Herausgeberinnen doch die erodierenden Effekte postmoderner Theorie auf die Geschlechterforschung. Als ein einschlägiges Beispiel führen sie eine weit rezipierte Prämisse postmoderner Theoriebildung an, für die Roland Barthes mit dem "Tod des Autors" eine griffige Kurzformel bereitstellte. Broude und Garrard monieren, dass der Autor just zu dem Zeitpunkt 'gestorben' sei, zu dem Frauen sowohl als zeitgenössische wie als historische Autorinnen und Künstlerinnen sichtbar wurden. Postmoderne Theorie ist in den Augen der Herausgeberinnen somit geradezu die Antithese feministischer Forschung.

Wie so oft in der Kritik an den angeblichen theoretisch-moralischen Verheerungen, die durch postmodernes anything goes ausgelöst würden, bleiben Broude und Garrard aber merkwürdig schwammig in ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung. So gilt für sie als ausgemacht, dass "[the] current of feminist scholarship and theory, that found its touchstones in Freud, Lacan and Saussure, in systems of psychology and linguistics grounded in masculinist principles, has in effect, if not by intention, reified existing power structures[...]" (2). Hier hätte man sich doch etwas substanziellere Ausführungen gewünscht, zumindest Hinweise, die das erwähnte "feminist scholarship" bibliografisch auffindbar machen würden. So bleibt der Eindruck von Spiegelfechtereien. Zumal sich beim Blick auf die entsprechende Forschung im Gegenteil belegen lässt, inwiefern gerade die von den Herausgeberinnen (nicht) zitierten postmodernen Referenzen in der feministischen Rezeption äußerst produktiv geworden sind.

Als eine "Zentralfigur der Kunstgeschichte" ist der Künstler, wie feministische Forschungen gezeigt haben, Angelpunkt geschlechtsspezifischer Entwürfe von Kreativität und Produktivität.[1] Die Infragestellung traditioneller Autorschaftskonzepte bildet die Grundlage für die feministische Kritik an der Vorstellung vom 'genialen Schöpfer' und hat somit keineswegs die anti-feministischen Effekte, die Broude und Garrard behaupten.[2] Vielleicht speist sich ihre Behauptung aus der unerfreulichen Tatsache, dass die beiden Herausgeberinnen, wie viele ihrer englischen und amerikanischen KollegInnen, deutschsprachige Forschungen zu diesem Thema konsequent nicht zur Kenntnis nehmen.

Die Position von Broude und Garrard reflektiert, das mag man zu Gute halten, die spezifisch amerikanische Wissenschaftslandschaft, in der die Gender Studies in viel größerem Maße als in Deutschland institutionalisiert sind und in verwandten akademischen Projekten, wie den Queer Studies, Gay and Lesbian Studies oder den Black Studies, eine zusätzliche Differenzierung erfahren haben. Die Schlussfolgerung aber, dass es diese Erweiterung des Feminismus in Feminismen gewesen sei, "whose agendas were differentiated by race, class, and ethnicity", die zum Verlust der "original feminist political urgency" (1) geführt habe, erscheint doch sehr gewagt. Der Mangel an Genderperspektivierungen in der Kunstgeschichte liegt wohl weniger an einer ausdifferenzierten Genderforschung als an institutionalisierten Hierarchien der Wissenschaftspraxis.

Nun besteht das Buch nicht nur aus der Einleitung, die zwar den programmatischen Rahmen vorgeben mag, an den sich die versammelten Beiträge aber nicht unbedingt halten. In diesem Fall bildet die Auswahl der Texte das große Verdienst der Herausgeberinnen. Zusammengestellt haben sie Artikel, die zwischen 1990 und 2004 erschienen sind und eine große Vielzahl an Themen, Methoden und Medien abdecken: von der Malerei der Renaissance (Mary D. Garrard: 'Sofonisba Anguissola and the Problem of the Woman Artist') bis zur zeitgenössischen Fotografie (John B. Ravenal: 'Shirin Neshat: Double Vision'), so dass die Lektüre der Texte ohne Zweifel einen exzellenten Einstieg in und Überblick über die Anwendung der Gender-Kategorie in der Kunstgeschichte bietet.

Die Artikel belegen die Vielfalt und Breite der Anwendungsmöglichkeit der Kategorie 'Geschlecht' für die Kunstgeschichte, gerade weil sie sich nicht an den engen methodischen Rahmen halten, den die Herausgeberinnen in der Einleitung vorgeben. Selbst der von Broude verfasste Beitrag zum Impressionismus vermag dies zu belegen, weist die Autorin darin doch überzeugend und elegant nach, wie sehr die Rezeption dieser Kunstrichtung durch geschlechtsspezifische Zuschreibungen von 'Natur', 'Wahrnehmung' und 'Künstlerschaft' geprägt wurde. Die vermeintliche Orientierung der Impressionisten an den zeitgenössischen Naturwissenschaften wird von Broude als rhetorische Strategie zur Rettung vor einer zu engen Assoziation mit der 'weiblichen' Tradition romantischer Landschaftsmalerei gedeutet. Broudes Text belegt damit die immer wieder formulierte Überzeugung, dass künstlerische Stile und auch Materialien als Teil der Geschlechterordnung gelesen werden müssen (z.B. Form als 'männlich' - Material als 'weiblich').[3]

Insgesamt empfiehlt sich der besprochene Band daher trotz aller Kritik ausdrücklich zur Einführung in die Fragestellungen und Ergebnisse der kunstgeschichtlichen Genderforschung; allerdings mit der Einschränkung, dass eine ausschließlich amerikanische Perspektive vorgestellt wird, in der viele der beispielsweise auf den deutschsprachigen Kunsthistorikerinnentagungen folgenreich diskutierten Fragen nicht auftauchen. Die LeserInnen werden daher in jedem Fall auch noch die verfügbaren deutschsprachigen Einführungen zu Rate ziehen wollen. [4]


Anmerkungen:

[1] Sigrid Schade / Silke Wenk: "Strategien des 'Zu-Sehen-Gebens': Geschlechterpositionen in Kunst und Kunstgeschichte", in: Hadumod Bußmann / Renate Hof (Hg.): Genus. Geschlechterforschung / Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Stuttgart 2005, 144-185, hier: 155.

[2] In der deutschsprachigen Kunstgeschichte ist die Auseinandersetzung mit dem Autorschaftsbegriff u.a. auf der 6. Kunsthistorikerinnentagung geleistet worden. Vgl. Kathrin Hoffmann-Curtius / Silke Wenk (Hg.): Mythen von Autorschaft und Weiblichkeit im 20. Jahrhundert, Marburg 1997.

[3] Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001.

[4] Hildegard Frübis: "Kunstgeschichte", in: Christina von Braun / Inge Stephan (Hg.): Gender-Studies. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2000, 262-257; Barbara Paul: "Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies", in: Hans Belting u.a. (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin 2003, 297-328; Sigrid Ruby: "Feminismus und Geschlechterdifferenzforschung", in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 04/2003, 17-28; Anja Zimmermann (Hg.): Kunstgeschichte und Gender Studies. Eine Einführung, Berlin 2006.

Anja Zimmermann