Baldassare Pistorini: Kurz gefasste Beschreibung des Palastes, Sitzes der Erlauchtesten Fürsten von Bayern - Descrittione compendiosa de Palagio sede de' Serenissimi di Baviera. Herausgegeben und kommentiert von Lucia Longo-Endres, deutsche Übersetzung von Jürgen Zimmer (= Quellen zur Neueren Geschichte Bayerns IV; Bd. 2), München: C.H.Beck 2006, 199 S., 5 Abb., ISBN 978-3-7696-6610-6, EUR 24,00
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Im August 1644 überreichte Baldassare Pistorini, Bassist in der Münchner Hofkapelle, seinem Fürsten Maximilian I. eine ausführliche, knapp hundert Seiten umfassende Beschreibung des kurfürstlichen Residenzschlosses, was ihm zusätzlich zu seinen 828 Gulden Jahresgehalt eine Sonderzahlung von 150 Gulden einbrachte. Als Musiker genoss Pistorini einen guten Ruf. Er war seit 1641 in München tätig und blieb dort über den Tod Maximilians I. hinaus bis 1655, wobei er sich wohl der besonderen Förderung durch dessen Witwe Maria Anna erfreute. Die letzten Jahre bis zu seinem Tod 1660 verbrachte Pistorini am Wiener Hof. Als Autor nicht ungeübt - es sind von ihm einige Gelegenheitsdichtungen überliefert -, schloss er sich mit seiner Residenzbeschreibung einer Tradition der Enkomiastik an, die bis in die Antike zurückzuverfolgen ist, die aber in der Spätrenaissance eine neue Ausrichtung erhalten hatte. Wie die Herausgeberin in ihrer Einleitung zu Recht hervorhebt, entwickelte sich im späten 16. Jahrhundert ein Typus der Architekturbeschreibung, bei dem der Akzent auf der Explikation des Ausstattungsprogrammes lag. Die in Dialogform verfassten "Ragionamenti" Vasaris (entstanden seit 1558, gedruckt 1588) und Giuseppe Betussis "Ragionamento sopra il Cataio" (1573) sind wichtige Beispiele dafür.
Pistorinis "Descrittione compendiosa", die hier erstmals ediert wird, ist in drei Handschriften überliefert, von denen sich eine die auf Grund von Zusätzen als spätere Abschrift zu bezeichnen ist, in der Münchner Universitätsbibliothek befindet. Die beiden andern sind in der Bayerischen Staatsbibliothek, von denen eine, als Handschrift A bezeichnet (Cod. ital. 409), dem Druck zu Grunde gelegt wurde. Dem italienischen Text wird eine von Jürgen Zimmer stammende, sorgfältige und gut lesbare Übersetzung gegenübergestellt. Eine ältere, von Edith Weinberger 1926 verfasste Übersetzung, die, obwohl sie nur maschinenschriftlich vorliegt, von der Forschung vielfach benutzt worden ist, wurde nur zum Vergleich herangezogen. Auch wenn Pistorinis Werk bislang nicht publiziert wurde, ist es intensiv rezipiert worden. Schon die erste gedruckte Residenzbeschreibung, Rodolfo Pallavicinos "I trionfi dell' Architettura nella sontuosa Residenza di Monaco", München 1667, die von Lucia Longo mit einer Einleitung versehen 1997 als Nachdruck herausgegeben worden ist [1], hat sich teilweise recht eng an Pistorini gehalten, und selbstverständlich hat die kunstgeschichtliche Forschung sich auf seine Beschreibung gestützt. Hingewiesen sei hier vor allem auf die ausführliche Behandlung der Bildausstattung der Residenz im "Corpus der barocken Deckenmalerei", auf die sich auch die Herausgeberin immer wieder bezieht. [2] Der hohe Quellenwert der Schrift, die den Zustand der Münchner Residenz gegen Ende der Regierungszeit Maximilians I. und nach Abschluss aller wesentlichen Bau- und Ausstattungsarbeiten mit einer bemerkenswerten Genauigkeit beschreibt, ist unbestritten. Schon von daher ist die jetzt vorgelegte Edition sehr zu begrüßen.
In ihrer Einleitung bietet die Herausgeberin zunächst einen konzisen, quellengestützten Überblick über die Biografie Pistorinis, sodann eine Beschreibung der drei Handschriften, von denen aber wohl keine das eigentliche Dedikationsexemplar war. Die folgende Zusammenfassung des Inhalts rekapituliert den Weg des Autors durch die Residenz und kann mit Verweisen auf die Manuskriptseiten als ausführliches Inhaltsverzeichnis verwendet werden. Die "Würdigung" des Textes begnügt sich auf knapp 6 Seiten mit der Einordnung in die neuere Tradition der Baubeschreibung als Textsorte und gibt knappe Hinweise auf die Eigenarten von Pistorinis Text. Pistorini fingiert eine Führung durch die Residenz, fokussiert seine Beschreibungen auf die Bildinhalte, zitiert die vorgefundenen Inschriften in extenso und bietet ansatzweise eine Ausdeutung der Raumprogramme. Eine eigentliche literarische Analyse seiner Texte im Kontext der barocken Architekturenkomiastik leistet die Einleitung allerdings nicht. Hier wären beispielsweise die immer wieder eingeflochtenen Topoi des Erstaunens genauso zu untersuchen, wie die Topoi der Amplificatio (fol. 71v: "Di maniera tale che questa fabbrica reale più che ducale feconda di lussi e di pompa e gravida di signorie e di grandezza d'haver figliato molti palagi"), oder die verschiedentlich benutzte Figur des Schlusses von der Magnifizenz des Baues auf den Bauherrn (fol. 96v zum Abschluss der Beschreibung des Hofgartens: "In somma guardando quelle spatiose aperture, dicevo che erano apertissimi simboli della magnanima capacità di quel gran cuore che sa formare etiandio le fabriche della propria generosità figuratrici"). Mit diesen Eigenarten kann der Text auch als Quelle für die Rekonstruktion des historischen Betrachters aus dem Kreis der höfischen Gesellschaft gelesen werden. Bemerkenswert ist auch Pistorinis Beschreibung der Gartenanlagen, die das, was wir als künstliche Zurichtung der Natur empfinden, als deren Verlebendigung beschreiben.
Text und Übersetzung werden von drei Typen von Anmerkungen begleitet. Ein erster Typus begleitet die Edition und verzeichnet Abweichungen von den anderen Abschriften, verweist auf Fehler und bietet mögliche Alternativen an. Die Anmerkungen des Übersetzers erläutern schwierige Textpassagen oder einzelne Worte. Die Sachkommentare der Herausgeberin schließlich sind ungleichmäßig ausführlich. Es ist eine Eigenart Pistorinis, dass er grundsätzlich keine Künstlernamen nennt. Bei besonders prominenten Werken, wie der Patrona Bavariae Hans Krumpers, oder dem später so genannten Wittelsbacher Brunnen Hubert Gerhards und seinem Perseusbrunnen, oder bei den Gemälden im Kaisersaal wird in den Anmerkungen auf Künstler, Entstehungsgeschichte und neuere Literatur verwiesen. Das geschieht jedoch nicht durchgängig, sodass der Leser den aktuellen Residenzführer oder andere Beschreibungen zu Rate ziehen muss. Für den, der sich in der Materie nicht gut auskennt, bleibt manches im Unklaren. Beispielsweise wird die komplizierte Geschichte des Traktes der 1614-16 geschaffenen so genannten Steinzimmer, ihre Zerstörung beim Residenzbrand 1677 und die Neuausstattung nach altem Programm ab 1692, nicht zu Beginn der Beschreibungssequenz (fol. 29v) erwähnt, sondern erst in einer Anmerkung zu fol. 41r. Es wäre auch wünschenswert gewesen, stets darauf hinzuweisen, wenn Bilddeutungen Pistorinis von denjenigen abweichen, die in der neuesten Literatur vertreten werden. Beispielsweise ist dies bei den Deckenbildern des Kaisersaales der Fall. Bei den großformatigen Historienbildern, die als Fries den Alten Herkulessaal schmückten, bietet der Kommentar nur einen Hinweis auf den entsprechenden Eintrag im Katalog der Wittelsbach-Ausstellung 1980. [3] Hier wäre ein Hinweis auf den Verbleib der Bilder und die Frage der Autorschaft angebracht gewesen. Die zitierten lateinischen Inschriften, denen Pistorini große Bedeutung beimaß, werden nicht übersetzt. Nicht selten handelt es sich um Zitate oder Paraphrasen, deren Herkunft aber nicht systematisch nachgewiesen wird. Manchmal fällt der Kommentar hinter den Stand des Corpus der Deckenmalerei zurück. Zu fol. 91v wird zur Inschrift "Qvod tibi non vis, alteri non feceris" angemerkt: "Undeutlicher Bezug zur Bergpredigt Mt Kap. 4-7", wo es sich doch um einen zwar nicht wörtlichen aber sachlich eindeutigen Bezug auf Mt 7,12 bzw. Lk 6,31 handelt. Die im Bild ebenfalls zitierte Negativform des ethischen Postulats bezieht sich auf Tobias 4,16. Die von Pistorini zur Personifikation der Prudentia im Antiquarium angeführte Inschrift: "RERVM EXPECTANDARVM SCIENTIA" hätte im Kommentar zurechtgerückt werden müssen, denn sie bezieht sich auf Cicero, De officiis I,153, wo es zur Prudentia heißt: "quae est rerum expetendarum fugiendarumque scientia". Im Fresko liest man korrekt "expetendarum". Die von fol. 74r bis 78r reichende lange Liste der Inschriften der Skulpturen im Antiquarium hätte mit Hilfe des Kataloges von Weski und Frosien-Leinz kommentiert werden sollen. [4]
Dem Band ist eine große Farbreproduktion des Hauptgeschoss-Grundrisses der Residenz, der so genannte Tambach-Plan beigegeben, der den Bauzustand zur Zeit Pistorinis wiedergibt. So erfreulich das ist: Für die Lektüre wäre es günstig gewesen, einen Plan mit Nummerierung der Räume zu haben, auf den am Rande des Textes hätte verwiesen werden können. Zu bedauern ist auch die sehr sparsame Illustrierung. Mit exemplarischen Abbildungen wichtiger Bilder hätte die Genauigkeit der Beschreibungen Pistorinis anschaulich gemacht werden können. Insgesamt ist es dankenswert, dass der für die Kunstgeschichte Bayerns wichtige Text jetzt in einem zitierfähigen Druck vorliegt. Seine Benutzbarkeit ist allerdings eingeschränkt, denn bei einer genauen Lektüre wird man nicht darauf verzichten können, wenigstens die wichtigsten Arbeiten aus der mittlerweile umfangreichen Literatur zur Kunstgeschichte der Münchner Residenz daneben zu legen.
Anmerkungen:
[1] Rodolfo Pallavicino: I trionfi dell' Architettura nella sontuosa Residenza di Monaco, München 1667, a cura di Lucia Longo (Reperti. Collana del Dipartimento di Scienze Filologiche e Storiche, vol. 5), Trento 1997.
[2] Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland, hrsg. von Hermann Bauer und Bernhard Rupprecht, Bd. 3: Stadt und Landkreis München, Teil II: Profanbauten, bearbeitet von Anna Bauer-Wild und Brigitte Volk-Knüttel, München 1989.
[3] Hubert Glaser (Hg.): Um Glauben und Reich. Kurfürst Maximilian I. Katalog und Aufsatzband, München 1980.
[4] Ellen Weski und Heike Frosien-Leinz: Das Antiquarium der Münchner Residenz. Katalog der Skulpturen, 2 Bde., München 1987.
Frank Büttner