Stéphanie Krapoth: France-Allemagne. Du duel en duo, de Napoléon à nos jours, Toulouse: Editions Privat 2005, 232 S., ISBN 978-2-7089-0813-0
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Auch in Frankreich erfreut sich die Beschäftigung mit der Geschichte des deutsch-französischen Verhältnisses ungebrochener Beliebtheit. Der größte Teil dieser Publikationen entfällt zwar weiterhin auf die politische Geschichte und dabei vor allem auf die jüngste [1], doch hat der Siegeszug der Kulturgeschichte zunehmend neue Untersuchungsfelder geöffnet. So entstanden in den letzten Jahren so unterschiedliche Studien wie etwa jene zu Deutschlehrern an französischen Gymnasien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts [2] oder eine Gegenüberstellung der Entwicklung von Lebensmittelindustrie und Landwirtschaftsmodernisierung in beiden Staaten (1870-1940). [3]
Die in Besançon lehrende Stéphanie Krapoth nimmt sich in ihrem Buch einer traditionelleren Fragestellung an, nämlich jener nach der Entwicklung der wechselseitig herrschenden Vorurteile. Untersuchungszeitraum soll laut Untertitel die Zeit seit Napoléon sein, doch gerade einmal fünf der insgesamt 197 Seiten Text beschäftigen sich mit der Zeit vor 1870. Zwei Quellengattungen dienen der Studie als Basis: zum einen die Schulbuchliteratur und zum anderen die satirische Presse beider Länder. Dort, wo diese nicht mehr weiterhelfen, d.h. in der jüngsten Vergangenheit, werden punktuell auch Enzyklopädien (79-84), Tagespresse (92-96) und literarische Zeugnisse (121-149) herangezogen. Doch im Gegensatz etwa zu den Schulbüchern, mit denen sich die Autorin wie schon in ihrer Dissertation ausgiebig beschäftigt [4], werden die sekundären Quellen keiner systematischen Auswertung unterzogen. Auch bleibt weitgehend im Dunkeln, weshalb gerade diese Quellen und nicht andere benutzt wurden. Bezüglich der satirischen Presse wird im Mittelteil des Buchs wenigstens noch nebenbei erklärt, dass die Satire die in der Öffentlichkeit herrschenden Vorurteile spiegelte und verfestigte (73, 102). Den Schulbüchern kann wohl eine ähnliche Rolle zugeschrieben werden, den Sekundärquellen jedoch nur schwerlich. Hier wäre zumindest eine kurze methodologische Einleitung angebracht gewesen, um dem Leser zu erklären, weshalb etwa Romane, Film und Fernsehen, private Briefwechsel, Werbung oder Tagebücher nicht zur Herausarbeitung der wechselseitigen Stereotypen hätten herhalten können.
An wirklich neuen Ergebnissen hat die Arbeit wenig aufzuweisen. Denn fast alle hier präsentierten Erkenntnisse finden sich in dieser oder einer leicht abgewandelten Form bereits anderweitig, etwa bei Uthmann, Leiner, Jeismann oder Florack, um nur einige Monografien zu nennen. [5] Einzig die Analyse der in der Schulbuchliteratur vermittelten Klischees bringt wahrlich Neues. Interessant erscheint hier vor allem die Rolle, die Ludwig XIV. und Friedrich der Große als Kristallisationsfiguren des vermeintlichen Volkscharakters spielten (52-65). Die ihnen zugeschriebenen Tugenden und Schwächen wurden im Nachhinein auf das gesamte Nachbarvolk übertragen. So wurden alle Franzosen im Gefolge des Sonnenkönigs als luxusverliebt, leichtlebig und herrschsüchtig gesehen, alle Deutschen hingegen so diensteifrig, diszipliniert, methodisch aber auch so gebildet wie Friedrich II. eingeschätzt (65).
Aufschlussreich ebenfalls, wie vor allem die deutsche Schulbuchliteratur in der Nachkriegszeit auf den offiziellen Annäherungskurs umschwenkte und unter größten Schwierigkeiten die vormals als negativ beschriebenen Charaktereigenschaften der Franzosen ins Positive umdeutete. So wurde die bislang kritisierte Unordnung zur Lebensart und der weitgehend gesetzlose Pariser Straßenverkehr zum Manifest politischer Reife (112).
Auch dass das deutsche Interesse an Frankreich im Untersuchungszeitraum merklich kleiner war als das französische an Deutschland, regt zu weiteren Überlegungen an. Diesen Umstand belegt Krapoth nicht nur anhand der Schulbuchliteratur und am Platz, den Enzyklopädien den Staatsmännern der Nachbarn einräumen (83 f.). Vielmehr kann sie den Befund in allen von ihr untersuchten Quellengattungen ermitteln (99).
Die Arbeit weist jedoch unübersehbare Schwächen auf. Zum einen betrifft dies Äußerlichkeiten, die aber wohl eher dem Verlag als der Autorin anzulasten sind, so etwa das wenig ansprechende Layout (hier insbesondere die grau abgestuften Zitatkästen), die zuweilen bedauernswert schlechte Qualität der Abbildungen (12, 31, 75, 88, 188) oder das fehlenden Register. Zum anderen weist das Buch Schwächen in der Beweisführung auf. So gelingt es Krapoth nur selten, ihre verschiedenen Quellen einem einheitlichen Argumentationsstrang unterzuordnen. Auf weiten Strecken läuft die Auswertung der Schulbuchliteratur und der Satirepresse nebeneinander her, ohne sich jedoch gegenseitig zu stützen, sich zu ergänzen oder zueinander zu finden.
Die Studie büßt zudem dadurch an Überzeugungskraft ein, dass sich die Autorin das Anliegen der deutsch-französischen Aussöhnung sichtlich zu Herzen nimmt. Nicht nur der missionierende Ton, der die ganze Arbeit durchzieht, sondern vor allem die immer wieder bemühten "passeurs" dokumentieren diesen Mangel an Abstand. Diesem der Kulturtransferforschung entlehnten Konzept der Mittler misst Krapoth eine besondere Bedeutung zu. Die Mittler, d.h. hier Reisende, Exilierte, Diplomaten und Kulturwissenschaftler, werden für sie die einzigen, denen es gelingt, sich dem schädlichen Einfluss der nationalen Vorurteile zu entziehen, ja ihnen entgegenzuarbeiten (144-149, 152, 156 f., 162, 166, 174, 182). Ihnen werden schwarz-weiß-malerisch die "communs des mortels", die "Durchschnittsbürger", entgegengesetzt (169 f., 179). Diese vermögen es nicht, den Stereotypen zu entkommen und sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Den Mittlern, so die Autorin, obliegt es, ihre unter dem Einfluss von Klischees stehenden Mitbürger aufzuklären.
Diesem kulturgeschichtlichen Ansatz der Autorin gemäß spielen Ereignisse in der Studie eine untergeordnete Rolle. Allenfalls den drei letzten Kriegen und dem deutsch-französischen Vertrag wird eine gewisse Bedeutung zugemessen. Doch gerade in der jüngeren Vergangenheit wurden die wechselseitigen Vorurteile durch Ereignisse, selbst zweitrangige, am Leben gehalten. Für die französische Öffentlichkeit spielte dabei zweifelsohne die Halbfinalniederlage gegen Deutschland während der Fußballweltmeisterschaft 1982 eine wichtige Rolle [6], für die deutsche hingegen das Versenken des Greenpeace-Schiffes Rainbow Warrior durch den französischen Geheimdienst im Hafen von Auckland. Keines dieser Ereignisse findet bei Krapoth Erwähnung.
So ist die Erforschung der Entstehung, Verbreitung, Wandlung und Wirkung von Klischees im deutsch-französischen Verhältnis mitnichten abgeschlossen. Allenfalls die Auswertung der Schulbuchliteratur kann mit der vorliegenden Arbeit als erledigt gelten.
Anmerkungen:
[1] Als Beispiel seien hier nur folgende Titel genannt: Hélène Miard-Delacroix: Question nationale allemande et nationalisme. Perceptions françaises d'une problématique allemande au début des années cinquante, Villeneuve d'Ascq 2004; Corine Defrance / Ulrich Pfeil: Le traité de l'Élyseé et les relations franco-allemandes. 1945 -1963 - 2003, Paris 2005; Frédéric Bozo: Mitterrand, la fin de la guerre froide et l'unification allemande. De Yalta à Maastricht, Paris 2005.
[2] Jacques Brethomé: La langue de l'autre. Histoire des professeurs d'allemand des lycées (1850-1880), Grenoble 2004.
[3] Thierry Nadau: Itinéraires marchands du goût moderne. Produits alimentaires et modernisation rurale en France et en Allemagne (1870-1940). Textes posthumes rassemblés et édités par Marie-Emmanuelle Chessel et Sandrine Kott, o.O. 2005.
[4] France-Allemagne. Représentations réciproques, du lendemain de la Première Guerre Mondiale au milieu des années 60. Manuels scolaires et journaux satiriques, Besançon 2000.
[5] Jörg von Uthmann: Le diable est-il allemand? 200 ans de préjugés franco-allemands. Préface d'André Glucksmann, Paris 1984; Wolfgang Leiner: Das Deutschlandbild in der französischen Literatur, 2. Aufl., Darmstadt 1991; Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992; Ruth Florack: Tiefsinnige Deutsche, frivole Franzosen. Nationale Stereotype in deutscher und französischer Literatur, Stuttgart / Weimar 2001.
[6] Siehe dazu zuletzt: Pierre-Louis Basse: Séville 82. France-Allemagne: Le match du siècle, Paris 2005.
Jörg Ulbert