Rezension über:

Angelika Enderlein: Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Zum Schicksal der Sammlung Graetz, Berlin: Akademie Verlag 2006, 327 S., 16 Abb., ISBN 978-3-05-004255-8, EUR 49,80
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Rezension von:
Angela Reinthal
Deutsches Literaturarchiv, Marbach
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Angela Reinthal: Rezension von: Angelika Enderlein: Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Zum Schicksal der Sammlung Graetz, Berlin: Akademie Verlag 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/05/12640.html


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Angelika Enderlein: Der Berliner Kunsthandel in der Weimarer Republik und im NS-Staat

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Angelika Enderlein unternimmt mit ihrer Untersuchung eine Expedition in bisher kaum erforschtes Gelände: Liegen zu Kunsthandel und privater Sammlertätigkeit im deutschen Kaiserreich inzwischen einige Publikationen vor, gilt dies nicht hinsichtlich der Weimarer Republik und des 'Dritten Reichs'. Enderlein hat mit Archivrecherchen und mit systematischer Durchsicht von Fachzeitschriften und Auktionskatalogen aus den Jahren 1919 bis 1945 eine erste begrüßenswerte Schneise in das Dickicht geschlagen, und es ist zu hoffen, dass weitere Einzelstudien durch diese Arbeit angeregt werden. Angesichts der Washingtoner Erklärung über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust vom Dezember 1998 und der in Deutschland inzwischen angelaufenen Provenienzforschung bietet sich der kunsthistorischen Forschung hier ein weites Feld.

Das vorliegende Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird der Kunsthandel in Berlin sowie die Entwicklung öffentlicher und privater Sammlungen vorgestellt. Die Sammlungspolitik der Gemäldegalerie, der Nationalgalerie und des Kronprinzenpalais wird ebenso betrachtet wie der Zusammenhang zwischen den Museen und den Privatsammlungen, die sich ja immer im Wettstreit befinden. Erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs gewann der Kunsthandel in Berlin überhaupt erst eine beachtenswerte Position - Entscheidendes spielte sich bis dahin woanders ab: in München, Frankfurt/Main, Köln, Hamburg, Leipzig und Düsseldorf. Der wirtschaftliche Aufschwung der Gründerjahre führte zu privater Sammlertätigkeit, repräsentierte eine Kunstsammlung doch auch immer den Erfolg und die gesellschaftliche Stellung des Eigentümers.

Besonderes Augenmerk legt die Autorin einerseits auf die Geschichte der großen Auktionshäuser, darunter das im Jahr 1853 von Rudolph Lepke gegründete Kunstauktionshaus, die auf Autographen spezialisierten Häuser von Karl Ernst Henrici und J. A. Stargardt, die 1898 von Paul und Bruno Cassirer gegründete Kunsthandlung, das 1907 von Paul Graupe eröffnete Buchantiquariat und viele weitere mehr. Andererseits kommen die Sammler in den Blick: Hugo von Tschudi, der 1896 bis 1909 Direktor der Berliner Nationalgalerie war, sowie sein Nachfolger Ludwig Justi, auf den 1918 die Eröffnung der modernen Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais zurückgeht, sowie vor allem Wilhelm von Bode, der in seiner mehr als fünfzig Jahre währenden Tätigkeit in den Museen in Berlin zwischen 1872 bis 1929 mit weit reichenden Kenntnissen und großem Engagement eine einmalige Sammlung zusammengestellt hat. Von Bode war darüber hinaus für viele Privatsammler ein wichtiger Ratgeber. Auf seinen Einfluss und auf den seines Assistenten Max Friedländers hin kauften die Berliner Privatsammler bevorzugt Werke der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, daneben vor allem solche aus der italienischen Renaissance.

Die folgende Darstellung des Berliner Kunsthandels in der Weimarer Republik und im 'Dritten Reich' bezieht ihre Kenntnisse vor allem aus der sorgfältigen Recherche von Kunstzeitschriften ("Der Kunstmarkt", "Die Kunstauktion", "Der Kunstwanderer", "Jahrbuch für Kunstsammler" und andere) und der Auktionskataloge. Die Aufzählung der einzelnen Auktionen, der angebotenen Bilder und Kunstgegenstände und der erzielten Preise wirkt gelegentlich ein wenig ermüdend, andererseits ist es manchmal überraschend, welche Werke in dieser Zeit noch im freien Kunsthandel verfügbar waren. Für die gezielte Recherche nach dem Verbleib einzelner Werke ist die Darstellung sicherlich aufschlussreich. Besonders hervorzuheben ist, dass die Untersuchung über das rein kunsthistorische Terrain hinausgeht und sowohl wirtschafts- und politikgeschichtliche Sachverhalte integriert als auch die Gesetzgebung der Nationalsozialisten einbezieht, wobei der sensible und sachliche Umgang mit der NS-Terminologie zu begrüßen ist.

Die Auswirkungen der "Machtergreifung" auf den Kunstmarkt nehmen den zweiten Teil des ersten Abschnitts ein. Einerseits die Absicht, den Kunsthandel zu "entjuden", andererseits der Entschluss zur Emigration von jüdischen Sammlern nach dem Verkauf ihrer Kunstgegenstände hatte massiven Einfluss auf Preisgestaltung und Angebot im Kunsthandel. Zu korrigieren ist allerdings die bisher geltende Ansicht, der jüdische Besitz wurde zu geringen Summen veräußert. Es ging immer noch um die Qualität der Werke und nicht darum, ob die früheren Eigentümer jüdisch oder nichtjüdisch waren. Allerdings wurde der Erlös auf Sperrkonten eingezahlt, auf die der Verkäufer bzw. die Erben keinen Zugriff hatten. So wurde das Vermögen der Emigranten liquidiert. Die in der Weimarer Republik sehr gefragten expressionistischen Kunstwerke galten nun als "entartet" und fanden auf dem offiziellen Markt keine Käufer mehr. Altmeisterliche Gemälde dominierten nun den Kunstmarkt - viele davon wurden für Hitlers geheimes Museumsprojekt, den "Sonderauftrag Linz", mit großen finanziellen Mitteln erworben. Ende 1938 wurden jüdische Kunsthändler, die bis dahin den Berliner Kunstmarkt dominierten, vollständig aus dem Versteigerungsgeschäft ausgeschlossen. Die für Juden immer bedrohlichere Gesetzeslage führte zu einer neuen Ausreisewelle. Goebbels "totaler Krieg" seit Februar 1943 störte den Kunstmarkt empfindlich; seit September 1944 fanden im Deutschen Reich keine Kunstauktionen mehr statt.

Der zweite Teil des Buches widmet sich dem 1878 geborenen Geschäftsmann und Kunstsammler Robert Graetz, der am 14. April 1942 in das Vernichtungslager Trawniki bei Lublin deportiert wurde. Sein Todesdatum wurde offiziell auf den 31. Dezember 1945 festgelegt. Gerade Angelika Enderleins nüchterne Schilderung seines Schicksals auf dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung wirkt ergreifend. Robert Graetz gründete 1907 mit seinem Teilhaber Georg Glass eine Textilfabrik und kam damit rasch zu Wohlstand. 1919 kaufte Graetz eine Villa in Grunewald und stattete sie mit einer in den 1920-er und Anfang der 1930-er Jahre zügig wachsenden Privatsammlung aus. Sein Bruder Hugo Graetz, Kunsthändler in Berlin und Geschäftsführer der Künstlervereinigung "Novembergruppe", beeinflusste Graetz' Sammlertätigkeit und stellte seine eigene Wohnung für kleine Ausstellungen zur Verfügung. Robert Graetz lieh seine modernen Bilder für Ausstellungen im Kronprinzen-Palais und führte einen eigenen Künstlersalon. Seine etwa 200 Kunstwerke umfassende Sammlung von Gemälden, Skulpturen und Papierarbeiten beinhaltete unter anderem Werke von Ernst Barlach, Lovis Corinth, Otto Dix, Conrad Felixmüller, August Gaul, Erich Heckel, Georg Kolbe, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Max Pechstein, Franz Radziwill, Karl Schmidt-Rottluff, Max Slevogt und Lesser Ury. Der beigefügte Katalog der Sammlung Graetz gibt darüber genauen Aufschluss. Allerdings ist der Verbleib vieler Bilder unbekannt, und in Werkverzeichnissen zu einzelnen Künstlern ist selten ein Besitznachweis Robert Graetz' zu finden. Viele Kunstgegenstände aus der Sammlung fanden einen anderen Besitzer, als Graetz aus finanziellen Gründen Teile seiner Villa nach 1936 möbliert vermietete. Andere Werke vermachte Graetz an Verwandte, die im Laufe der 30-er Jahre Deutschland verließen. Bei der Versteigerung der Einrichtungsgegenstände und Resten der Sammlung am 25. Februar 1941 waren keine Werke von hohem künstlerischen Rang mehr vorhanden.

Die sorgfältig recherchierte Arbeit wird mit einem aus Tabellen und Grafiken bestehenden Anhang, mit Literaturverzeichnis sowie Personen- und Auktionshäuser-Register abgerundet. Schade, dass auf Seite 226 der Tippfehler "Casper David Friedrich" der Aufmerksamkeit der Korrektur entgangen ist. Dennoch bleibt sehr zu hoffen, dass weitere Darstellungen in diesem außerordentlich spannenden Gebiet dem lobenswerten Vorbild von Angelika Enderlein folgen werden.

Angela Reinthal